Bald sollen auch Hausärzte gegen Corona impfen können.Bild: iStockphoto / Antonio_Diaz
Deutschland
Das Vorgehen der Bundesländer bei den
Corona-Impfungen sorgt für Diskussionen. Nach Angaben des
Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, setzen
sich die Länder eigenmächtig über die Impfverordnung des Bundes
hinweg. Der Ulmer Virologe sagte der Deutschen Presse-Agentur: "De
facto wird in den Ländern schon lange gegen die Priorisierung
verstoßen." Es seien schon jetzt viele geimpft worden, die nach
wissenschaftlichen Kriterien der Priorisierung noch nicht an der
Reihe wären - etwa Erzieher, Lehrkräfte oder Polizisten. Ein Lockern
der Priorisierung dürfe nicht dazu führen, dass die Schwächsten und
Gefährdetsten für schwere Covid-19-Verläufe benachteiligt würden.
Ab April sollen die niedergelassenen Ärzte in Deutschland
flächendeckend mit Corona-Impfungen beginnen sollen. Darauf einigten
sich die Fachminister von Bund und Ländern am Montag in der
Gesundheitsministerkonferenz. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung
(KBV) stehen fürs Impfen 75 000 Haus- und Facharztpraxen in
Deutschland bereit. Wenn es genug Impfstoff gibt, kann es nach
Modellrechnungen der KBV gelingen, am 1. August einen Impfvollschutz
der gesamten Bevölkerung zu erreichen. Bis Sonntag wurden laut
Bundesgesundheitsministerium 2.5 Millionen Menschen in Deutschland
vollständig geimpft. Das sind drei Prozent der Bevölkerung. 5.2
Millionen Menschen haben mindestens eine Impfdosis erhalten.
Halten sich Hausärzte an die Empfehlung der Stiko?
Virologe Mertens erwartet mit der beginnenden Impfung durch
Hausärzte eine weitere Aufweichung der Impfreihenfolge. Diese würden
"eine Priorisierung möglicherweise schwieriger machen". Aber er traue
den Hausärzten zu, sich möglichst bei ihren Patienten an die
Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) zu halten.
Zur zum
Teil lautstarken Kritik am schleppenden Fortgang bei den
Corona-Impfungen sagte Mertens, er könne beide Seiten verstehen. Die
Länder müssten den Mangel an Impfstoff verwalten, zugleich möchten
viele Menschen, die laut Priorisierung noch nicht an der Reihe sind,
geimpft werden. "Die Priorisierung war und ist nicht das eigentliche
Problem, sondern der Mangel an Impfstoff", sagte Mertens. Auch die
fehlenden Möglichkeiten zur Umsetzung der Impfreihenfolge seien ein
Problem.
Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Tschentscher: "Wir sind bereits in einer dritten Welle"
Unterdessen warnte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher
(SPD) vor der Gefahr eines erneuten Lockdowns. "Ich sehe durchaus die
Gefahr eines erneuten Lockdown, deswegen habe ich ja für größere
Zurückhaltung bei den Öffnungen plädiert", sagte Tschentscher dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland.
"Wir sind bereits in
einer dritten Welle, die von den neuen Virusvarianten bestimmt wird.
Es kommt jetzt darauf an, dass sie nicht zu heftig wird und wir die
Zeit überbrücken, bis die Impfungen ausreichend vorangeschritten
sind." Klar sei: "Wir sind immer noch in einer kritischen
Pandemielage. Viele Mediziner und Virologen haben die Befürchtung,
dass wir mit der beschlossenen Öffnungsstrategie zu weit gehen."
Obwohl die Infektionszahlen in vielen Regionen steigen, wurden in
den meisten Bundesländern am Montag weitere Corona-Regeln vorsichtig
und Schritt für Schritt gelockert. Parallel gingen die kostenlosen
Corona-Schnelltests an den Start. Das lief am ersten Tag teils wegen
mangelnder Verfügbarkeit noch nicht überall reibungslos.
Der Vize-Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV),
Stephan Hofmeister, warf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)
vor, für ein Test-Chaos gesorgt zu haben. Zwar kämen nun vermehrt
Schnelltests zum Einsatz, "doch leider in einer absolut
kurzfristigen, ja formal sogar rückwirkenden Umsetzung, die direkt
beim Start zum Chaos geführt hat", sagte Hofmeister dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland. Erst am Montag sei die
neue Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums, die die Grundlagen
der Testungen regele, bei den Kassenärzten eingegangen. "Kein Wunder,
dass die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sich überrollt
fühlen."
(hau/dpa)