Politiker und Verbandsvertreter fordern vom Corona-Impfgipfel am Montag mehr Klarheit über Zeitpläne, Prioritäten für Bevölkerungsgruppen und verfügbare Impfstoffe.Bild: dpa / Rolf Vennenbernd
Deutschland
Ein Spitzentreffen soll mehr Klarheit über Zeitpläne und verfügbare Impfstoffe im Kampf gegen das Coronavirus bringen. Die Erwartungen an den Gipfel sind hoch. Die Hoffnungen auf baldige Lockerungen der Corona-Auflagen eher nicht.
Politiker und Verbandsvertreter fordern vom
Corona-Impfgipfel am Montag mehr Klarheit über Zeitpläne, Prioritäten
für Bevölkerungsgruppen und verfügbare Impfstoffe. Angesichts
erheblicher Kritik am schleppenden Impfstart und der
Produktionsprobleme bei einigen Herstellern will Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten über die Lage
beraten. Bereits am Sonntag will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen mit den Vorstandschefs jener Hersteller sprechen, mit denen
die EU Lieferverträge abgeschlossen hat.
Die Impfungen in Deutschland und der EU hatten kurz vor dem
Jahreswechsel begonnen. Begleitet waren die ersten Wochen von
Lieferschwierigkeiten einzelner Hersteller, Problemen bei der
Terminvergabe und viel Unmut über fehlenden Impfstoff.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zeigte am Samstag
Verständnis für Frust und Ungeduld, warb aber auch um Vertrauen. "Es
kommen jede Woche Impfstoffe, und es werden auch mehr, Zug um Zug."
Man habe ein Jahr nach Beginn der Pandemie drei zugelassene wirksame
Impfstoffe. Neben den Vakzinen von Biontech/Pfizer und Moderna hatte
die EU am Freitag auch jenes von Astrazeneca zugelassen.
Dreyer bemängelt Unklarheit bei Lieferungen
Laut Gesundheitsministerium wurden seit Beginn der Impfkampagne in
Deutschland über 3.5 Millionen Dosen ausgeliefert und 2.2 Millionen
Dosen gespritzt. Bis zum 22. Februar würden mindestens weitere 5
Millionen Impfdosen an die Länder geliefert. Biontech und Astrazeneca
lieferten den Bundesländern bis zum 22. Februar 1.747 Millionen Dosen
mehr als bisher geplant. Damit würden auch vorübergehende Engpässe
beim Moderna-Impfstoff "mehr als ausgeglichen", teilte das
Ministerium via Twitter mit.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD)
beklagte, trotz der angekündigten fünf Millionen weiteren Impfdosen
habe man nicht einmal für vier Wochen Lieferklarheit. "Die Mengen des
Impfstoffs von Moderna sind um 20 Prozent gekürzt, die Ankündigungen
von Astrazeneca stehen unter Änderungsvorbehalt. Auf dieser Basis
können wir noch immer nicht verlässlich Impftermine vergeben", sagte
Dreyer der "Bild am Sonntag". Hamburgs Bürgermeister Peter
Tschentscher (SPD) hatte am Samstag via Twitter moniert: "Gerade
teilt das Bundeskanzleramt mit, dass jetzt auch die zugesagten
Lieferungen der Moderna-Impfstoffe reduziert werden. Wie soll man da
Impfungen planen?"
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich fordert vom Gipfel "genauere und
verbindliche Aussagen darüber, wie die Pharmaindustrie ihre
Lieferverpflichtungen einhalten will und wie sie die Produktion von
Impfstoffen aufstocken kann, damit die Verimpfung vor Ort reibungslos
funktionieren kann". Gesundheitsminister Spahn müsse "einen
verlässlichen nationalen Impfplan" vorlegen, sagte Mützenich der
"Welt am Sonntag". Der Plan müsse aufzeigen, "welcher Impfstoff wann
und für welche Gruppe zur Verfügung steht. Und wie gegebenenfalls
Lücken gefüllt werden, wenn es Probleme gibt."
Klare Worte fand auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen
Städtetages, Helmut Dedy. "Die Städte erwarten keine vagen
Versprechungen mehr, sondern eindeutige Antworten auf die zwei
wesentlichen Fragen: Wann gibt es ausreichend Impfstoff? Wann wird
welcher Impfstoff ins Impfzentrum geliefert", sagte Dedy der
Deutschen Presse-Agentur. "Zurzeit können wir dort wegen der geringen
Impfstoffmengen nur mit angezogener Handbremse agieren", beklagte
Dedy. Aus seiner Sicht müssten auch die Städte beim Impfgipfel dabei
sein. "Wer hat denn die Impfzentren errichtet und hält sie jetzt
vor?", fragte Dedy.
Wirtschaft fordert mehr Tempo
Auf mehr Tempo beim Impfen setzt auch die Wirtschaft. "Die Anpassung
unserer Impfstrategie und die Steigerung der Impfgeschwindigkeit ist
ein zentraler Wettbewerbsvorteil. Hier müssen wir besser werden",
sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der dpa. Dulger betonte:
"Wir bewältigen diese Krise nur, wenn wir konsequent durchimpfen."
Die europapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion,
Franziska Brantner, dämpfte die Erwartungen an den Impfgipfel. "Ein
nationaler Impfgipfel allein hilft nicht weiter. Pharmaunternehmen
sind in der Regel multinational aufgestellt. Hier muss die EU tätig
werden", sagte Brantner dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
(RND/Sonntag).
Grünen-Chef Robert Habeck forderte in den Zeitungen der Funke
Mediengruppe (Sonntag) eine "Notimpfstoffwirtschaft", um mehr
Impfstoff zu produzieren. Alle Pharmakonzerne seien "unverzüglich
ihren Fähigkeiten entsprechend in die Produktion einzubeziehen",
verlangte Habeck. Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im
Europaparlament, Manfred Weber, sagte der "Bild am Sonntag": "Jede
mögliche Produktionsstätte muss auf Corona-Impfstoffe umgestellt
werden. Zugelassene Impfstoffe müssen im Notfall auch mit einer
Zwangslizensierung von anderen produziert werden."
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch,
forderte, mit der Verfügbarkeit des Impfstoffes von Astrazeneca in
der Fläche sollte das Impfen der Seren von Biontech/Pfizer und
Moderna an Menschen unter 65 Jahren vorerst gestoppt werden. "So kann
die ältere Generation mit den für ihre Altersgruppe hochwirksamen
Vakzinen schneller versorgt werden", sagte Brysch der dpa. Die Chefin
des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, verlangte in
den Funke-Zeitungen, Lehrkräfte früher zu impfen und nicht erst in
der dritten von drei prioritären Kategorien.
Altmaier schließt Lockdown-Verlängerung nicht aus
Auch mit dem bis 14. Februar befristeten Lockdown mit der Schließung
von Kneipen und Restaurants, vieler Geschäfte sowie Schulen und Kitas
hoffen Bund und Länder, die Pandemie in den Griff zu bekommen.
Kurzfristiges Ziel der Politik ist es, den Inzidenzwert von 50
Neuinfektionen je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen zu erreichen.
Am Samstagmorgen lag diese sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz laut
Robert Koch-Institut bei 90.9.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte der "Welt am Sonntag"
zwar, die aktuelle Entwicklung nähre die Hoffnung, "dass wir uns
relativ schnell einer Inzidenz von 50 nähern können". Der
CDU-Politiker schloss aber nicht aus, dass es sein könnte, dass der
Lockdown verlängert werden muss. Die Länge des Lockdowns hänge "auch
davon ab, inwieweit sich neue Mutationen des Coronavirus in
Deutschland verbreiten", sagte der Minister. Baden-Württembergs
Innenminister Thomas Strobl mahnte in den Funke-Zeitungen: "Freilich
wäre es fatal, jetzt den Fehler des Lockdowns light im November zu
wiederholen. Damals wurden Hoffnungen auf ein baldiges Ende der
Maßnahmen gemacht, die enttäuscht werden mussten."
(mse/dpa)