Wer vollständig gegen das Coronavirus geimpft ist, kann laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei Lockerungsschritten nach der dritten Corona-Welle bestimmte Freiheiten zurückbekommen. "Wer geimpft ist, kann ohne weiteren Test ins Geschäft oder zum Friseur. Zudem müssen nach Einschätzung des RKI vollständig Geimpfte auch nicht mehr in Quarantäne", sagte Spahn der "Bild am Sonntag". Dies sei eine wichtige Erkenntnis, wenn man nach dem nun dringend notwendigen Brechen der dritten Welle über testgestützte Öffnungsschritte etwa für den Einzelhandel rede.
Spahn bezog sich bei seinen Äußerungen auf eine Auswertung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse durch das Robert Koch-Institut (RKI), die auch an die Bundesländer gegangen sei. Die Erkenntnisse würden nun zeitnah in Gesprächen mit den Ländern in die Praxis umgesetzt. Der Minister sagte: "Wer vollständig geimpft wurde, kann also in Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde." Das erleichtere den Alltag in der Pandemie.
In dem RKI-Bericht an Spahns Ministerium, der auch der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und über den die "Bild am Sonntag" zuerst berichtet hatte, heißt es: "Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen."
Das Risiko einer Virusübertragung erscheine "nach gegenwärtigem Kenntnisstand in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung wahrscheinlich keine wesentliche Rolle mehr spielen". Das Risiko könne durch weitere Vorgaben wie Selbstisolierung bei Symptomen sowie das weitere Einhalten der sogenannten AHA+L-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske plus Lüften) zusätzlich reduziert werden, heißt es in dem von RKI-Chef Lothar Wieler unterzeichneten Schreiben weiter.
In einigen regionalen Modellversuchen können Menschen mit tagesaktuellem negativen Corona-Schnelltest einkaufen gehen, in Berlin zum Beispiel seit Mittwoch. Allerdings wird die Möglichkeit wenig genutzt. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, beklagte am Samstag eine geringe Auslastung der Läden zwischen zwei und zehn Prozent. "So bringt das nichts, das kann kein Modell für länger sein", sagte Busch-Petersen der dpa. Die Kosten lägen für solche Nachfrage zu hoch.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte unterdessen, die Corona-Regeln sollten in Deutschland einheitlich per Bundesgesetz verankert werden. "Es gibt die große Sehnsucht in der Bevölkerung nach einheitlichen Regeln. Mein Vorschlag ist deshalb, die einheitlichen Regeln durch ein Bundesgesetz festzulegen", sagte er der "Welt am Sonntag". "Dieses Gesetz sollte genau vorschreiben, welche Schritte bei den jeweiligen Inzidenzwerten unternommen werden müssten – von der Verschärfung bis zur Lockerung."
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vor einer Woche in der ARD-Sendung "Anne Will" einen Teil der Länder dafür kritisiert, dass sie die vereinbarten Beschlüsse gegen die Pandemie nicht umsetzten. Wenn das nicht "in sehr absehbarer Zeit" geschehe, müsse sie sich überlegen, wie sich das vielleicht auch bundeseinheitlich regeln lasse. "Das ist mein Amtseid, das ist meine Verpflichtung", sagte Merkel und verwies auch auf das Infektionsschutzgesetz.
Am Karsamstag sagte ein Regierungssprecher der dpa, um die dritte Corona-Welle zu brechen, werde derzeit überlegt, ob und wie der Bund einheitliche Vorgaben zur Eindämmung von Corona machen solle – falls das Vorgehen der Länder nicht ausreiche. "Die Länder haben das ganze Instrumentarium zur Verfügung. Und wir beobachten, dass in vielen Ländern jetzt auch zusätzliche Maßnahmen umgesetzt werden", hieß es.
Seehofer sagte, ein Bundesgesetz könne in kürzester Zeit beschlossen werden. "Da es wie alle Bundesgesetze durch den Bundestag und den Bundesrat verabschiedet würde, wäre auch größtmögliche Legitimation hergestellt, was die Opposition immer wieder gefordert hat."
Auch CSU-Chef Markus Söder plädierte für ein Bundesgesetz. Der "Bild am Sonntag" sagte der bayerische Ministerpräsident: "Um Corona effektiv zu bekämpfen, braucht es einen einheitlichen bundesweiten Pandemieplan anstelle eines Flickenteppichs mit unüberschaubaren Regeln in den einzelnen Bundesländern." So sei eine einheitliche konsequente Anwendung der Notbremse über einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen nötig. Söder nannte für diesen Fall Ausgangsbeschränkungen, eine Testpflicht in den Schulen sowie eine flächendeckende Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken.
Zudem sei zu überlegen, ob ein erneuter kurzer, aber dafür konsequenterer Lockdown nicht ein besserer Weg wäre als ein "halbherziges und dafür endloses Corona-Konzept, das die Zahlen der Neuinfektionen auch nicht wirklich reduziert hat".
(andi/dpa)