
Verschwörungstheoretiker bei einer Corona-Demo in Frankfurt. Auch Antisemiten waren bei diesem Protest.Bild: www.imago-images.de / Hannelore Foerster
Deutschland
Das Coronavirus macht Angst. Verschwörungstheorien bieten einfache Antworten. Und greifen nicht selten auf alte Feindbilder zurück.
31.05.2020, 20:0631.05.2020, 20:06
Ein gelber "Judenstern" auf dem Ärmel, mit
dem Wort "Ungeimpft". Ein Mann in gestreifter Kleidung, die der
Uniform eines KZ-Häftlings nachempfunden ist. In der Hand ein Schild
mit der Aufschrift "Maske macht frei" – eine Anspielung auf den
Spruch im Torbogen des Vernichtungslagers Auschwitz, "Arbeit macht
frei".
Bei den sogenannten Hygiene-Demonstrationen in Deutschland
sind auch Menschen unterwegs, die vor dem Vergleich der
Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust nicht zurückschrecken. Die
Sicherheitsbehörden warnen bereits vor einer Unterwanderung der Proteste
durch Rechtsextremisten.
In der Krise haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Die Anhänger der Theorien versuchen die diffuse, nur teilweise erforschte neue Bedrohung mit einem
Komplott zu erklären. Dabei kehren aber alte Feindbilder wie judenfeindliche Ideen zurück.
Auch die israelische Regierung ist besorgt
"Die
Corona-Krise wirkt sich dabei leider verstärkend aus, sodass wir
auch in diesem Jahr massiv mit Antisemitismus konfrontiert sind",
sagt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster.
Auch Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow war fassungslos, bei manchen Demonstrationen den Davidstern zu sehen. "Diesen Antisemitismus, der da gezeigt wird, finde ich abstoßend."
"Nicht jeder, der einem Verschwörungsglauben anhängt, muss
überzeugter Antisemit sein. Es gibt vielleicht auch
Verschwörungsmythen ohne explizit antisemitische Elemente", meint der
Antisemitismus-Forscher Samuel Salzborn. "Aber bei den großen
Verschwörungserzählungen gibt es immer auch Vorwürfe gegen Jüdinnen
und Juden."
Spätestens bei der zweiten Teilnahme an einer
Hygiene-Demo wisse jeder, mit wem er da protestiere.
Ob die Anhänger solcher Theorien Juden persönlich kennen, sei
irrelevant. "Es gibt markante Unterschiede zwischen Antisemitismus
und Rassismus", sagt Salzborn. "Antisemitismus hat nichts mit
Judentum oder Jüdinnen und Juden zu tun, sondern vielmehr mit dem
Antisemiten."
Die neue, alte Judenfeindlichkeit treibt nicht nur jüdische
Organisationen hierzulande um, sie beschäftigt auch die israelische
Regierung. "Leider ist es nicht neu, Juden für etwas verantwortlich
zu machen", sagt die Ministerin für strategische Angelegenheiten,
Orit Farkasch-Hacohen.
Tatsächlich tauchen bei den Demonstrationen
gegen die Corona-Maßnahmen Verschwörungstheorien auf, die sich seit
Jahrhunderten halten.
Coronavirus wird genutzt für Attacken gegen Israel
Eine Umfrage der Universität Oxford ergab kürzlich, dass vier Fünftel
der befragten Briten der These "Juden haben das Virus erschaffen, um
die Wirtschaft lahmzulegen und finanziellen Profit daraus zu ziehen"
nicht zustimmen. Ein Fünftel aber äußert zumindest ein wenig
Zustimmung. Die Verschwörungstheorie, die Juden oder Israel würden
das Virus einsetzen oder verbreiten, um politisch oder wirtschaftlich
zu profitieren, zählt zu den am meisten verbreiteten. In Israel wird
das natürlich genau verfolgt.
"Was wir nun sehen ist, dass anti-israelische Aktivisten schamlos den
Deckmantel des Coronavirus ausnutzen, um ihre Hassreden zu
verbreiten", sagt Farkasch-Hacohen. Ihr Ministerium sieht einen
"besorgniserregenden Aufwärtstrend von Antisemitismus und
Bestrebungen, den Staat Israel zu delegitimieren"
Demnach lassen sich die antisemitischen Verschwörungstheorien in zwei
Bereiche untergliedern: "klassischer Antisemitismus" gegen Juden, der
vor allem von Rechten betrieben wird und sich an jahrhundertealte
Verleumdungen anlehnt, und "neuer Antisemitismus", der sich gegen den
Staat Israel richtet und von Ländern wie dem Iran oder der
Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der Hamas verfolgt wird.
Behörden reagieren: München verbietet den gelben Stern
Antisemitismus-Forscher Salzborn sieht es so: "Wer sich antisemitisch
äußern möchte, nutzt oft den rhetorischen Deckmantel der
Israelkritik. Das soll einem tatsächlichen oder erwarteten
Antisemitismus-Vorwurf entgegentreten – lenkt damit aber vom Inhalt
des Gesagten ab." Das sei eine Strategie, um den demokratischen
Konsens in Deutschland zu unterlaufen, und sie sei von sachlicher
Kritik an Israel zu unterscheiden.
Dem israelischen Ministerium zufolge wird die zunehmende
antisemitische Rhetorik auch von Gewaltandrohungen gegen Juden und
Israelis begleitet. Diese könnten in die Tat umgesetzt werden, so die
Befürchtung, wenn die Corona-Beschränkungen alle wieder aufgehoben
sind.
Mittlerweile haben die Behörden in Deutschland aber auch auf den Antisemitismus bei Corona-Demos reagiert. Die Stadt München verbot den gelben "Judenstern" bei den Protesten, wie ein Sprecher der Polizei am Sonntag bestätigte.
(ll/dpa)