Wie hier im Erzgebirge sind die Fußgängerzonen vielerorts derzeit leer.Bild: imago images / Bernd März
Deutschland
Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat Bund und Länder aufgefordert, bei der Entscheidung über eine Verlängerung des harten Lockdowns die Zielmarke von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner pro Woche zu überdenken. "Ob wir uns strikt an der Inzidenz von 50 orientieren, muss man mit Blick auf andere wichtige Faktoren, wie zum Beispiel die psychosozialen Folgen der Schulschließungen, genau abwägen", sagte Reinhardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Präsident der Bundesärztekammer verlangte zudem, endlich eine Langfriststrategie zum Schutz der besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen umzusetzen. Flankierend zu den Impfungen seien bundesweit einheitliche Maßnahmen zur Kontaktminimierung gerade für ältere und vorerkrankte Menschen nötig. "Warum ist es so schwer, deutschlandweit feste Senioren-Zeitfenster für Einkäufe im Einzelhandel zu schaffen oder spezielle Terminslots in öffentlichen Einrichtungen?", sagte Reinhardt.
Der Ärztepräsident forderte zudem nicht nur für Pflegeheime, sondern auch für pflegende Angehörige ausreichende Testmöglichkeiten und Schutzmaterial. "Das alles kostet Geld und die Umsetzung ist nicht trivial, aber mit solchen Mitteln können unter Umständen Menschenleben gerettet und Lockdowns verhindert werden", sagte Reinhardt zu seinen Vorschlägen für eine Langfriststrategie. "Da wünsche ich mir mehr Kreativität von Ländern und Kommunen", mahnte der Ärztepräsident.
Die Inzidenz von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gilt bislang als entscheidende Schwelle für starke Einschränkungen des öffentlichen Lebens in der Corona-Pandemie. Das Robert-Koch-Institut gab die bundesweite Inzidenz am Dienstag mit 149 an. Wegen der hohen Zahl von Neuinfektionen gehen viele Länderregierungschefs inzwischen davon aus, dass der bislang bis 10. Januar geltende Lockdown verlängert wird.
Ärztepräsident erwartet mehr Impfbereitschaft in nächsten Monaten
Reinhardt rechnet damit, dass die Bereitschaft für eine Corona-Impfung in den kommenden Monaten steigt. "Für Geimpfte verliert die Pandemie ihren Schrecken, sie werden sich besser fühlen und entspannter sein. Das wird ansteckend sein, aber im positiven Sinne", sagte er. Für eine Herdenimmunität ist mindestens eine Impfquote zwischen 65 und 70 Prozent nötig.
Der Ärztepräsident riet dazu, die Abstands- und Hygienevorschriften in Kraft zu lassen. "Solange nicht jeder, der geimpft werden will, ein Vakzin bekommen kann, müssen weiter Schutzregeln eingehalten werden - auch von den Geimpften", sagte er. Zwar sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend seien. Doch möglicherweise bestehe ein Restrisiko. "Hier müssen wir unbedingt weitere wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen."
Wenn genügend Impfstoff zur Verfügung steht, dürfen Impfgegner nach Ansicht von Reinhardt aber nicht mehr mit der Rücksichtnahme der Gesellschaft rechnen. "Sie müssen mit dem Risiko leben, unter Umständen auch schwer an Covid-19 zu erkranken. Sie können die Gesellschaft nicht in Geiselhaft nehmen", sagte der Ärztepräsident.
(hau/afp/dpa)