Im Beobachtungsraum im Stuttgarter Impfzentrum sollen frisch geimpfte Menschen etwa 20 Minuten warten für den Fall, dass eine Nebenwirkung auftritt.Bild: imago images / Tabea Guenzler/Eibner-Pressefoto
Deutschland
20.12.2020, 14:2321.12.2020, 08:53
Der Impfstoff gegen das Coronavirus wird weltweit von Menschen sehnsüchtig
erwartet. Zeitlich begrenzte Begleiterscheinungen nach Impfungen sind
aber nicht unwahrscheinlich – das ist auch beim Impfstoff von
Biontech und Pfizer nicht anders. Kopfweh, Müdigkeit, Schmerzen an
der Impfstelle: Solche Nebenwirkungen muss möglicherweise in Kauf
nehmen, wer sich schützen will. Impfexperten sagen: Nicht angenehm,
aber auch kein Anlass für größere Bedenken.
Der Impfstoff wurde von Ende Juli bis Mitte November in einer Studie
mit insgesamt 44.820 Männern und Frauen untersucht, die im "New
England Journal of Medicine" veröffentlichte wurde. Etwa die Hälfte
der Probanden bekam zweimal den Impfstoff verabreicht, die andere
Hälfte stattdessen ein wirkungsloses Placebo. Die Teilnehmer waren
mindestens 16 Jahre alt, rund 42 Prozent von ihnen waren älter als 55
Jahre.
Vorübergehende Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schmerzen an der Einstichstelle
Die Auswertung zeigt, dass etwa vorübergehende Schmerzen an der
Impfstelle, Kopfschmerzen oder Müdigkeit vorkommen können. Konkret
berichteten – je nach Altersgruppe und ob es sich um die erste oder
zweite Dosis handelte – 66 bis 83 Prozent von Schmerzen an der
Einstichstelle. Bei fünf bis sieben Prozent zeigten sich dort
Rötungen oder Schwellungen.
Teilnehmer klagten nach der Impfung außerdem über Müdigkeit (34 bis
59 Prozent) und Kopfschmerzen (25 bis 52 Prozent), Schüttelfrost (6
bis 35 Prozent), Durchfall (8 bis 12 Prozent), Muskelschmerzen (14
bis 37 Prozent) und Gliederschmerzen (9 bis 22 Prozent). Besonders
bei der zweiten Impfdosis bekamen Teilnehmer (11 Prozent der Älteren
und 16 der Jüngeren) Fieber. Die Nebenwirkungen waren demnach im
Allgemeinen schwach bis mäßig und klangen nach kurzer Zeit wieder ab.
"Ganz ohne geht es nicht"
Solche Begleiterscheinungen sind bei Impfungen üblich, wie Stefan
Kaufmann, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für
Infektionsbiologie, sagt: "Ganz ohne geht es nicht." Der Wiener
Impfexperte Herwig Kollaritsch beschreibt es im Buch "Pro & Contra
Coronaimpfung" so: "Eine Impfung ist kein Hustenzuckerl." Eine
vorübergehende Entzündungsreaktion ist erstmal nichts Negatives. Der
Körper müsse schließlich irgendwie merken, wo er mit seiner
Immunantwort hinsolle, erklärt Kaufmann. Kollaritsch verweist auf den
Pharmakologen Gustav Kuschinsky (1904 bis 1992): "Wenn behauptet
wird, dass eine Substanz keine Nebenwirkung zeigt, so besteht der
dringende Verdacht, dass sie auch keine Hauptwirkung hat."
Im Vergleich zu vielen etablierten Impfstoffen ist der
Biontech/Pfizer-Impfstoff "reaktogener", wie Christian Bogdan,
Direktor des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und
Hygiene an der Uniklinik Erlangen, erklärt. Die Nebenwirkungen treten
also häufiger auf als etwa bei Grippe-, Tetanus- oder
Diphtherieimpfungen. Impfexperten vergleichen die Reaktionen mit
denen nach einer Gürtelrose-Impfung. Kein Grund aber für stärkere
Bedenken, sagt Kaufmann: "Es ist halt ein bisschen unangenehm."
Ältere beklagten weniger Nebenwirkungen als Jüngere
Bei den Tests stellte sich außerdem heraus, dass über 55-Jährige den
Impfstoff als verträglicher empfanden und weniger Nebenwirkungen
beklagten als Jüngere. Grundsätzlich traten Begleiterscheinungen
öfter bei der zweiten Impfdosis auf. 64 Geimpfte berichteten über
geschwollene Lymphknoten. Über die leichteren Beschwerden hinaus gab
es vereinzelt schwerwiegendere "unerwünschte Ereignisse". Je eine
Person meldete eine Schulterverletzung, Herzrhythmusstörungen sowie
Taubheitsgefühl (Parästhesie) im Bein.
Die Aussagekraft über unwahrscheinlichere Reaktionen ist jedoch
begrenzt. Bogdan zufolge ließen sich Nebenwirkungen, die bei 1000
Personen im Schnitt einmal vorkommen, mit einer Wahrscheinlichkeit
von 95 Prozent erkennen. "Ereignisse, die seltener als 1 in 10.000
sind, lassen sich nicht zuverlässig detektieren", sagt er.
Verträglichkeit wird weiter geprüft
Noch gibt es keine Studienergebnisse dazu, ob und welche
Nebenwirkungen möglicherweise nach einem längeren Zeitraum auftreten.
Dafür gibt es den Impfstoff einfach noch nicht lange genug. Die
Verträglichkeit wird aber auch nach der Zulassung weiter überprüft.
In Deutschland sollen geimpfte Menschen unter anderem mögliche
Nebenwirkungen per App melden können.
Bei dem Präparat von Biontech/Pfizer und bei dem der US-Firma Moderna
handelt es sich um mRNA-Impfstoffe. Sie enthalten genetische
Informationen des Erregers, aus denen Körperzellen ein Virusprotein
herstellen. Ziel der Impfung ist es, den Körper zur Bildung von
Antikörpern gegen dieses Protein anzuregen, um dann bei einer
späteren Infektion die Viren frühzeitig bekämpfen zu können.
Wie der Biontech-Impfstoff funktioniert
Damit die mRNA überhaupt erst ins Innere der Zellen gelangen kann,
ist sie mit einer Hülle von Lipid-Nanopartikeln umgeben. Sie sind -
grob gesagt - winzige Fettmoleküle, die als Fremdkörper in den zu
großen Teilen aus Wasser bestehenden Körper kommen. "Fett und Wasser
trennen sich immer", erklärt Kaufmann. Geimpfte bekommen das
womöglich in Form einer zeitlich begrenzten Entzündungsreaktion zu
spüren – an sich gefährlich sind die Lipide aber nicht, wie Kaufmann
erklärt.
Teil der Hülle bei den Impfstoffen von Moderna und Pfizer/Biontech
sind laut Olivia Merkel vom Fachbereich Pharmazeutische Technologie
an der Ludwig-Maximilians-Universität München sogenannte
Polyethylenglykole (PEG). Der Körper kann Antikörper dagegen bilden.
Laut Merkel ist es denkbar, dass die Immunantwort gegen die PEG zu
allergischen Reaktionen nach der zweiten Impfdosis führt. Das könne
sich etwa in einem Ausschlag äußern. Solche allergischen Reaktionen
treten allerdings sofort oder innerhalb weniger Stunden nach
Verabreichung bei sehr sensitiven Patienten auf, die auch auf PEG in
Kosmetika oder Lebensmitteln reagieren. Langfristige Folgen seien
durch die PEG nicht zu erwarten.
Vereinzelt allergische Reaktionen bei hochallergischen Personen
In Großbritannien, wo bereits mehr als 140.000 Menschen den
Biontech/Pfizer-Impfstoff erhielten, zeigten zwei Geimpfte größere
allergische Reaktionen. Die Behörden riefen daraufhin Menschen mit
einer "signifikanten" Allergiegeschichte auf, sich vorerst nicht
impfen zu lassen. Auch in Alaska reagierte ein Mensch nach einer
Impfung mit starken Allergie-Symptomen. Der Impfexperte Kollaritsch
sagte, eine derartige Frequenz von allergischen Nebenwirkungen bei
hochallergischen Personen sei nicht ungewöhnlich.
Leif Erik Sander, Infektiologe an der Berliner Charité, sagt, bei den
beiden Fällen in Großbritannien handele es sich um Personen mit einer
Geschichte von schwersten, lebensbedrohlichen Allergien, die ständig
ein Notfallset mit sich tragen. Solche Menschen hätten bei jedem
Arzneimittel und bei jeder Impfung ein starkes Risiko und seien auch
nicht in der Zulassungsstudie berücksichtigt worden. Sehr wohl hätten
da aber auch Menschen mit Allergien teilgenommen. Allergische
Nebenwirkungen seien in der Studie jedoch nicht erhöht gewesen. "Ich
glaube daher nicht, dass wir ein generelles Problem haben", sagte er.
Wer konkret geimpft werden kann, wird laut Paul-Ehrlich-Institut
(PEI) zeitnah nach der Zulassung von der Europäischen
Arzneimittelagentur EMA veröffentlicht.
Keine Auffälligkeiten bei Diabetes und anderen Vorerkrankungen
In der Zulassungsstudie berücksichtigt wurden außerdem Probanden mit
Vorerkrankungen wie Diabetes, Rheuma, Herzinsuffizienz oder
Nierenerkrankungen. Andere oder stärkere Nebenwirkungen wurden in
diesen Gruppen nicht berichtet, wie der Infektionsimmunologe Bogdan
erklärt.
Keine Gefahr besteht dem PEI zufolge, dass durch den Impfstoff mRNA
in das menschliche Erbgut gerät. Ausgeschlossen ist laut Bogdan und
Kollaritsch zudem, dass man sich durch mRNA-Impfstoffe die Krankheit
holt, vor der man eigentlich geschützt werden soll. Laut Bogdan gilt
das auch für Vektor-Impfstoffe wie den von Astrazeneca. "So etwas
wäre nur möglich bei Verwendung von abgeschwächten Sars-CoV-2
Lebendimpfstoffen, die es bisher aber nicht gibt", sagte Bogdan.
(andi/dpa)