
Das Robert-Koch-Institut hält die neusten Corona-Zahlen für alarmierend. Es kritisiert, dass die Abstandsregelnnicht mehr konsequent eingehalten werden.Bild: www.imago-images.de / Ralph Peters
Deutschland
28.07.2020, 18:2628.07.2020, 18:26
Steigende Infektionszahlen
schüren auch in Deutschland verstärkt die Sorge vor einer
zweiten Corona-Welle. "Die neueste Entwicklung in Deutschland
macht mir und uns allen im Robert-Koch-Institut große Sorgen",
sagte RKI-Chef Lothar Wieler am Dienstag in Berlin. Obwohl man
die Epidemie lange im Griff gehabt habe, gehe der Trend
deutschlandweit nun nach oben. "Wir sind mitten in einer sich
rasant entwickelnden Pandemie", sagte er auch mit Blick auf
steigende Zahlen im Ausland. Er wisse nicht, ob dies der Beginn
einer zweiten Welle in Deutschland sei – möglich sei das aber.
Nachlässigkeit bei den Corona-Regeln als Grund für den Anstieg
Aus Sorge vor importierten Corona-Infektionen soll ab
kommender Woche eine Testpflicht für Urlaubs-Rückkehrer aus
Risikogebieten gelten. Natürlich seien auch
Reise-Rückkehrer unter den Corona-Infizierten, sagte Wieler.
"Aber der allergrößte Teil hat sich in Deutschland angesteckt."
Die Menschen hielten sich nicht mehr ausreichend an Hygiene- und
Abstandsregeln. Dies sei aber das Mittel, um die Lage in den
Griff zu bekommen. "Wir haben es in der Hand", sagte Wieler.
Die Abstands- und Hygieneregeln einschließlich des Mund- und
Nasenschutzes würden noch viele Monate gebraucht. "Diese dürfen
nie infrage gestellt werden", forderte Wieler. Nach den
Sommerferien sollten zwar wieder die Schulen geöffnet werden.
Aber auch hier brauche man Schutzkonzepte.
Die Zahl der täglichen Neu-Infektionen hat gerade in den
vergangenen sieben Tagen zugelegt und lag zeitweise über 800. Das ist ein Drittel mehr als in der Woche zuvor. Am
Dienstag meldete das RKI 633 neue Fälle. Ähnliche Fallzahlen wurden zuletzt bei einem großen Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies Mitte Juni berichtet. Im Gegensatz zu dem Ausbruch vor ein paar Wochen gibt es aber nun keinen lokalen Hotspot, der allein den Anstieg erklären würde. Diese Entwicklung sei beunruhigend, teilte das RKI mit.

Fallzahlen in Deutschland; Stand: 28.7.2020, 8:25 Uhr. quelle: rki "Virus kann an allen Stellen gleichzeitig hochkommen"
Der Wissenschafts-Journalist Jakob Simmank beschreibt im "Was jetzt?"-Podcast von der "Zeit", dass die Lockerungen und das Reiseverhalten der Menschen "sicherlich in irgendeiner Art und Weise Einfluss darauf haben, dass die Fallzahlen wieder steigen". Weiterhin meint Simmank: "Was wir jetzt schon sehen, was das RKI andeutet und Gesundheitsämter auch zunehmend erzählen, ist, dass das Virus sich so ein bisschen in die Gesellschaft diffundiert. Es ist nicht mehr so zentralisiert an einzelnen Punkten, wie zum Beispiel Heinsberg ein Hotspot war, sondern es scheint jetzt überall Infektionsketten zu geben, die man teilweise auch nicht so gut nachvollziehen kann."
Er betont:
"Das ist so ein bisschen wie Farbe, die ins Wasser fällt und sich ganz langsam verbreitet, und wir sind nun an einem Punkt, wo sie eigentlich schon recht viel des Wassers eingefärbt hat."
Gefährlich sei das laut Simmank, weil dann "das Virus an allen Stellen gleichzeitig hochkommen kann", wenn wir alle wieder sozialer werden und uns vielleicht nicht mehr so gut an Regeln halten. "An der Stelle sind wir möglicherweise gerade. Aber da müssen auch die nächsten Tage und Wochen noch zeigen, ob es dabei bleibt, dass die Fallzahlen gerade hochgehen."
Auswärtiges Amt rät vor Reisen nach Barcelona und Costa Brava ab
Auch in anderen Ländern Europas steigen die Infektionszahlen weiter an. Das Auswärtige Amt riet von nicht notwendigen Reisen in
bestimmte Regionen Nordspaniens ab. Betroffen sind neben
Katalonien mit der Metropole Barcelona und den Stränden der
Costa Brava auch die im Landesinneren liegenden Regionen Aragon
und Navarra. Das Auswärtige Amt verwies zur Begründung auf die
erneut hohen Infektionszahlen und örtliche Absperrungen. Die
erst im Juni aufgehobene Reisewarnung, die Urlaubern eine
kostenlose Stornierung ihrer Reise erlauben würde, wurde aber
nicht wieder inkraft gesetzt. Auch wurden die betroffenen
Regionen bislang nicht als Risikogebiete ausgewiesen.
Mit mehr als 270.000 nachgewiesenen Infektionen und über
28.000 Toten gehört Spanien zu den am stärksten von der
Corona-Pandemie betroffenen Ländern in Europa. Nachdem die Lage
zunächst unter Kontrolle schien, steigen die Zahlen seit einigen
Wochen wieder stark an und die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus
werden wieder verschärft. Madrids Regionalpräsidentin Isabel
Diaz Ayuso kündigte am Dienstag eine umfassende Ausweitung der
Maskenpflicht an. Bars müssen um ein Uhr morgens schließen, auf
Restaurantterrassen dürfen sich höchsten zehn Personen
gleichzeitig aufhalten. Auch Griechenland weitet ab
Mittwoch die Maskenpflicht aus.
Der katalanische Regionalpräsident Quim Torra hatte am
Montag vor einem neuen Lockdown gewarnt: "Die Lage ist
kritisch". Gleichwohl bedauerte die katalanische
Regionalregierung die Entscheidung des Auswärtigen Amts. Die
Regionalregierung handle verantwortungsvoll und bemühe sich,
Leben zu schützen. Aus der Region Aragon kamen Rufe, die
spanische Außenministerin Arancha Gonzalez Laya solle sich
offiziell beschweren.

Der katalanische Regionalpräsident Quim Torra (rechts) bespricht mit dem katalonischen Minister für Wirtschaft und Finanzen, Pere Aragones, das weitere Vorgehen. Bild: www.imago-images.de / Enric Fontcuberta
Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für
Spanien. Die Entscheidung Deutschlands ist für die Branche ein
weiterer Rückschlag, nachdem am Wochenende bereits
Großbritannien überraschend eine zweiwöchige Quarantäne für alle
Reisenden aus Spanien angeordnet hatte. Allein die
britische Entscheidung könnte die spanische Tourismusindustrie
zehn Milliarden Euro kosten, warnte der Branchenverband Cehat.
Bislang gibt es gegen das neuartige Corona-Virus keinen
Impfstoff. Zuletzt gingen zwei weitere Impfstoff-Kandidaten in
die letzte Phase der klinischen Entwicklung. Sie werden nun an
tausenden Menschen getestet.
(lau/dpa)