
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht. Bild: imago images / Florian Gaertner/photothek.net
Deutschland
04.08.2020, 06:2804.08.2020, 08:19
Nach der Berliner Großdemonstration gegen
staatliche Corona-Auflagen hat der Parlamentarische Staatssekretär im
Bundesinnenministerium, Stephan Mayer, gefordert, bei Genehmigungen
von Versammlungen gegebenenfalls restriktiver vorzugehen. Zwar seien
Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung "hohe, allen Bürgern
garantierte unveränderliche Grundrechte", schrieb der CSU-Politiker
in einem Gastbeitrag für die "Rhein-Neckar-Zeitung" (Dienstag).
"Allerdings eben immer nur so weit, als die Rechte Dritter oder die
öffentliche Sicherheit nicht erheblich verletzt werden".
Die Überwachung der Einhaltung der Hygieneregeln müsse weiter
höchste Priorität haben, schrieb er. "Hier obliegt es den
Landesbehörden abzuwägen, inwieweit Maßnahmen noch verschärft werden
müssen und man aufgrund der negativen Erfahrungen des
Demonstrationsgeschehens vom Wochenende bei der Genehmigung von
Versammlungen zukünftig restriktiver zu entscheiden hat", schrieb
Mayer.
Auch der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der
Polizei, Jörg Radek, forderte, die Genehmigung solcher
Demonstrationen genauer zu prüfen. "Die Behörden müssen sensibler
sein, was die Genehmigung solcher Demonstrationen betrifft", sagte
Radek der "Augsburger Allgemeinen" (Dienstag). Dazu müsse die Politik
Vorgaben machen.
Demo am Samstag lief aus dem Ruder
Gegen die staatlichen Beschränkungen zur Eindämmung der
Corona-Pandemie waren am Samstag in Berlin Tausende auf die Straße
gegangen. An einem Demonstrationszug beteiligten sich nach
Schätzungen der Polizei bis zu 17.000 Menschen. Etwa 20.000 waren es
danach bei einer Kundgebung. Weil viele Demonstranten weder Abstandsregeln einhielten, noch Masken trugen, löste die Polizei die
Kundgebung auf. Die Proteste in Berlin hatten eine Debatte über das
Vorgehen gegen Verstöße und das Demonstrationsrecht ausgelöst.
Lambrecht: nicht vorher untersagen
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht wandte sich gegen
Forderungen, solche Protestveranstaltungen notfalls von vornherein zu
untersagen. "Ich finde es ganz wichtig, dass wieder Demonstrationen
stattfinden können und Menschen dort ihre Meinung, auch zur aktuellen
Corona-Politik der Bundesregierung, frei und öffentlich äußern
können", sagte die SPD-Politikerin dem "Spiegel". Den bewussten
Verstoß gegen Corona-Vorschriften nannte sie "verstörend und nicht
hinnehmbar". Hier müssten die Vorschriften von Behörden vor Ort
konsequent angewendet werden, "unabhängig davon, welches Ziel die
jeweilige Demonstration hat".
Berlins Innensenator Andreas Geisel sagte dem Nachrichtenmagazin,
man dürfe Grundrechte nur zeitlich beschränkt und mit guter
Begründung einschränken.
"In Berlin stehen alle Corona-Ampeln noch auf Grün. Da sind neuerliche Verbote schwer zu begründen. Wir setzen aber die Auflagen und Regeln für Demonstrationen konsequent durch."
Berlins Innensenator Andreas Geisel
Der rheinland-pfälzische Innenminister
und SPD-Landeschef Roger Lewentz sagte dem "Spiegel": "Wir haben
ausreichend Mittel, Versammlungen aufzulösen, die aus dem Ruder
laufen." Eine Verschärfung sei nicht notwendig.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl erinnerte daran,
dass in Stuttgart die Versammlungsbehörde die Teilnehmerzahl an einer
Demonstration gegen Corona-Maßnahmen begrenzt habe. "Das
Versammlungsrecht bietet die Instrumente – nun muss man davon auch
konsequent Gebrauch machen", sagte der CDU-Politiker dem
Nachrichtenmagazin.
Sorge vor zeiter Welle
Angesichts der steigenden Zahl von Corona-Neuinfektionen sorgen
sich viele Politiker vor einer zweiten Corona-Welle, auch weil viele
Urlauber nach Deutschland zurückkehren und vielerorts auch die Schule
wieder beginnt. Mecklenburg-Vorpommern startete bereits am Montag ins
neue Schuljahr. Nach Einschätzung des Ärzteverbandes Marburger Bund
ist die zweite Welle bereits da. Die Krankenhäuser seien darauf
vorbereitet und könnten mit einem mehrstufigen Vorgehen reagieren.
"Wir befinden uns ja schon in einer zweiten, flachen
Anstiegswelle", sagte die Verbandsvorsitzende Susanne Johna der
"Augsburger Allgemeinen" (Dienstag). Sie sei aber nicht vergleichbar
mit den Zahlen von März und April. Dennoch steige die Zahl der
Neuinfektionen. "Damit ist die Gefahr, dass wir die Erfolge, die wir
bislang in Deutschland erzielt haben, in einer Kombination aus
Verdrängung und Normalitätssehnsucht wieder verspielen", warnte
Johna.
(lin/dpa)