Sind Kinder ansteckender als Erwachsene oder nicht? Nein, hieß es in einer Ende April veröffentlichten Corona-Studie des Virologen Christian Drosten und seinem Team. Es gebe "keine signifikanten Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen", was die Infektiösität betrifft.
Am Montag wollte die "Bild"-Zeitung kontrovers über das Thema berichten und veröffentlichte einen Beitrag mit dem Titel: "Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch", darunter die provokante Frage: "Wie lange weiß der Star-Virologe schon davon?"
Die Zeitung wirft dem Virologen vor, "unsauber gearbeitet" zu haben. Um diese These zu stützen, kommen unter anderem Professor Leonhard Held vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich, Statistik-Professor Dominik Liebl von der Universität Bonn und der Mannheimer Statistik-Professor Christoph Rothe zu Wort. Angefochten werden von den Experten die statistischen Methoden der Drosten-Studie sowie die Interpretation der Ergebnisse.
Liebl zum Beispiel kommt in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die mittlere Viruslast der Altersgruppe Kindergarten um 86 Prozent niedriger sei als die mittlere Viruslast der Altersgruppe der Älteren. "Dass derart große Unterschiede von den Autoren als 'nicht signifikant' eingestuft werden, liegt daran, dass die verwendeten statistischen Methoden sehr schwach sind", wird Rothe zitiert.
Doch auch Drosten selbst sollte zu Wort kommen dürfen. Die "Bild" bat ihn um eine Stellungnahme zu der angeblich falschen Studie.
Der Virologe kontert äußerst geschickt und wird dafür im Netz gefeiert.
Am Montagnachmittag, also noch vor Veröffentlichung des Beitrags, postet der 48-Jährige auf Twitter die Anfrage der "Bild" und schreibt dazu: "Interessant: die #Bild plant eine tendenziöse Berichterstattung über unsere Vorpublikation zu Viruslasten und bemüht dabei Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang. Ich soll innerhalb von einer Stunde Stellung nehmen. Ich habe Besseres zu tun." Dazu veröffentlichte er auch die Anfrage der "Bild"-Zeitung, in der ihm eine Stunde Zeit zur Beantwortung der Fragen eingeräumt wurde.
Zunächst hatte er die Anfrage der "Bild" auch mit den persönlichen Daten des Redakteurs veröffentlicht, den Tweet nach Kritik aber wieder gelöscht und die Anfrage ohne die Daten nochmal gepostet.
Die von "Bild" zitierten Experten distanzieren sich mittlerweile von der Berichterstattung der Zeitung.
Statistik-Professor Christoph Rothe springt Drosten bei: "Niemand von #Bild hat mit mir gesprochen und ich distanziere mich ausdrücklich von dieser Art der Berichterstattung."
Ebenso wie Dominik Liebl von der Universität Bonn schreibt, er habe nichts von der Anfrage der "Bild" gewusst und betont: "Wir können uns glücklich schätzen, Christian Drosten und sein Team im Wissenschaftsstandort Deutschland zu haben. They saved lifes! (zu Deutsch: Sie haben Leben gerettet!)"
Wirtschaftsexperte Jörg Stoye kritisiert die Berichterstattung. "Ich will nicht Teil einer Anti-Drosten-Kampagne sein. Ich stand und stehe in keinerlei Kontakt zur 'Bild'", schreibt er auf Twitter.
Stoye erklärt weiter, er habe "kritische Anmerkungen zur statistischen Auswertung in der Studie" und diese im Sinne einer wissenschaftlichen Diskussion, keines Gelehrtenstreits geäußert. Er habe auch betont, dass er Drosten keine Absicht unterstelle.
In einem Interview mit dem "Spiegel" erklärt Stoye noch einmal seine Kritik. Er lobt: "Drosten ist ein Gigant der Virologie. Ich habe von seiner Disziplin keine Ahnung, ich bin Statistiker."
Er kritisiert an dem fraglichen Artikel: "So, wie 'Bild' meine Zitate verwendet, stehe ich auf keinen Fall dazu." Kritik an der Studie von Drosten hatte er in einem Aufsatz vorsichtig geäußert. Er fasst die darin formulierte Kritik im Interview mit dem "Spiegel" so zusammen: "Die für die Studie untersuchten Kinder tragen weniger Viren in sich als Erwachsene. Die Frage ist nun: Ist das nur Zufall? Oder ist es ein Muster? Ich glaube an letzteres, anders als die Studie. Da sind wir tatsächlich unterschiedlicher Meinung."
"Bild" berichtete zudem, es gebe auch im Team von Drosten Kritik an der eigenen Studie. Auf Twitter schreibt der Charité-Virologe, der "Bild"-Reporter habe "unseren englischsprachigen Mathematiker am Telefon in die Irre geführt. Er bekam die Auskunft, dass wir grade an einem Update der Studie arbeiten, das aber das Ergebnis nicht ändert. Daraus wird dann eine interne Kritik gemacht".
Der Forscher erhält viel Solidarität.
Dass Drosten sich zur "Bild"-Anfrage nicht äußern wollte, wird im Beitrag übrigens ebenfalls erwähnt. Dass auch die anderen genannten Experten lieber nicht in diesem Kontext zitiert werden wollten, wie sie selbst auf Twitter deutlich machten, allerdings nicht.
(lin)