Kinder könnten so ansteckend sein wie Erwachsene: Mit dieser Schlussfolgerung aus ersten Daten von Corona-Infizierten hatte Christian Drosten 2020 viel Aufmerksamkeit erregt.Bild: dpa / Michael Kappeler
Deutschland
Nach der Veröffentlichung seiner Corona-Studie im
namhaften Fachblatt "Science" sieht sich der Virologe Christian
Drosten in seinen Einschätzungen zur Ansteckungsfähigkeit auch von
Kindern bestätigt. "Mein anfänglicher Eindruck einer ungefähr gleich
großen Infektiosität aller Altersgruppen hat sich bestätigt, nicht
nur hier, sondern auch in anderen Studien", sagte der Experte für
Coronaviren laut einer Charité-Mitteilung vom Dienstag. Am Abend
bekräftigte er im "Coronavirus-Update" bei NDR-Info: Anhand erster
Daten habe man als klinischer Virologe gesehen, dass alle ungefähr
gleich viel Virus hätten. Dieser Eindruck habe sich gehalten.
Für die am Dienstagnachmittag publizierte Studie bestimmten
Wissenschaftler um Drosten für mehr als 25.000 Covid-19-Fälle die
sogenannten Viruslasten, also die Menge des Viruserbguts in der
PCR-Probe. "Die Erbgutkopien repräsentieren näherungsweise die
Virusmenge im Rachen der Patienten und lassen daher Voraussagen über
deren potenzielle Infektiosität zu", erklärte die Charité. Von mehr
als 4000 Fällen lagen mehrere Proben vor, was Rückschlüsse auf den
Verlauf der Infektion erlaubte. In die Studie einbezogen wurden
Infizierte ohne Krankheitsanzeichen ebenso wie Patienten mit
unterschiedlich schweren Symptomen bis hin zu Krankenhausfällen.
Bei Erwachsenen zwischen 20 und 65 Jahren zeigten sich laut der
Charité-Mitteilung "keine nennenswerten Unterschiede" bei der
Viruslast. In den Proben der jüngsten Kinder zwischen 0 und 5 Jahren
seien die niedrigsten Viruslasten gefunden worden. Und bei älteren
Kindern und Jugendlichen hätten sich die Werte mit steigendem Alter
denen der Erwachsenen angeglichen, heißt es weiter.
Wenige Menschen für viele Ansteckungen verantwortlich
Die Werte von Kindern sieht Drosten durch eine andere Art der
Probenentnahme im Vergleich zu Erwachsenen beeinflusst: Es würden
deutlich kleinere Tupfer eingesetzt, die weniger als halb so viel
Probenmaterial einbrächten. Statt der schmerzhaften tiefen
Nasenrachen-Abstriche würden zudem oft einfache Rachenabstriche
gemacht, in denen sich nochmals weniger Virus finde. Deshalb seien
bei Kindern von vorn herein geringere Messwerte zu erwarten.
Erste, noch nicht von unabhängigen Fachleuten geprüfte Auswertungen
zu Viruslasten hatte Drosten bereits vor mehr als einem Jahr
vorgelegt. Die Schlussfolgerung, dass Kinder so ansteckend sein
könnten wie Erwachsene, war in der Debatte um die Öffnung von Schulen
und Kindergärten viel beachtet worden. Die aktuelle Publikation ist
deutlich umfangreicher. Es sei jetzt die wohl größte Untersuchung
überhaupt zu diesem Thema, sagte Drosten. Sie werde auch fortgesetzt.
Die Studie untermauert auch die Annahme, dass ein relativ kleiner
Teil der Infizierten für besonders viele Ansteckungen sorgt. Wie
Drosten schilderte, gibt es in allen Altersgruppen, auch bei Kindern,
Infizierte mit außergewöhnlich hohen Viruslasten. In der Studie
betraf dies etwa neun Prozent der untersuchten Fälle. In "erheblichem
Umfang" befinden sich darunter laut dem Virologen Menschen, die im
gesamten Krankheitsverlauf maximal milde Symptome bekommen. Auch
Menschen ohne Krankheitsanzeichen seien darunter.
Ansteckendste Phase vor Symptomen
In Anbetracht der Ansteckungsgefahr durch gesund wirkende Infizierte
betonen die Wissenschaftler in ihrem Fazit zur Studie die Bedeutung
von Maßnahmen wie Social Distancing und Maskentragen. "Das Maximum
der Virus-Ausscheidung liegt ein bis drei Tage vor dem
Symptombeginn", sagte Drosten über ein weiteres Ergebnis der Arbeit.
Darum sei das Virus so schwer zu kontrollieren. Und noch etwas sei
auffällig gewesen: "Die Leute, die später schwer krank werden, die
haben schon am Anfang durchgehend sehr viel Virus."
Weiter zeigt die Studie, dass Menschen, die mit der in Großbritannien
entdeckten Variante B.1.1.7 infiziert sind, offenbar ansteckender
sind als Infizierte mit anderen Varianten. Ihre Viruslasten seien im
Vergleich um den Faktor 10 erhöht, sagte Drosten. Das sei erheblich.
(ogo/dpa)