Bund und Länder wollen am Mittwoch über die Umsetzung des Konjunkturpakets sprechen. Dabei soll es auch um weitere Pläne gegen die Corona-Krise gehen. Vor allem soll debattiert werden, wie sich die Länder finanziell an den Maßnahmen beteiligen wollen. Am Freitag wurde vom Kabinett das 130 Milliarden Euro Paket beschlossen. Zur Finanzierung sollen weitere Schulden von 62,5 Milliarden Euro aufgenommen werden.
Auch die Corona-App ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Pandemie. Mit der App will die Bundesregierung die Infektionsketten besser erkennen. Nach den Lockerungen soll sich das Virus im öffentlichen Leben nicht weiter ausbreiten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder warnte allerdings während einer Sitzung in München vor falschen Erwartungen: "Ich bin froh, dass es endlich geklappt hat, aber es hat ja auch lange genug gedauert." Trotz der App dürfte auf keine der bisherigen Schutzmaßnahmen verzichtet werden.
Im Gespräch mit Markus Lanz diskutierten am Dienstagabend Politiker Kevin Kühnert (SPD), Journalistin Dagmar Rosenfeld, Virologe Martin Stürmer und der ZDF-Reporter Christoph Röckerath, der aus Rio de Janeiro zugeschaltet wurde. Im Vordergrund stand dabei auch das Konjunkturpaket. Zu dem Thema gab es besonders zwischen Kühnert und Rosenfeld eine hitzige Diskussion. Stürmer zeigte sich hingegen skeptisch gegenüber der schnellen zurückkehrenden Normalität.
Gleich zu Beginn ging es um die Corona-App. Virologe Martin Stürmer stellte klar, dass er sie gerne früher gehabt hätte. Der Grund: "Gerade für die Lockerungen wäre es wichtig gewesen. Wenn man sich viel Zeit nimmt, die App zu entwickeln, wäre eine Kompatibilität mit Nachbarländern vor dem Sommer entscheidend. Ich hoffe, dass das nachgebessert wird." Kevin Kühnert meinte, dass es einen unterschiedlichen Umgang mit der App geben würde. Wenn am Ende 70 Prozent die App nicht herunterladen würden, wäre einem auch nicht geholfen.
Stürmer sagte zur aktuellen Corona-Lage: "Bis jetzt ist es so, dass die Zahlen erfreulich niedrig geblieben sind. Die Menschen halten sich an die Vorgaben, an die Hygiene und den Abstand. Mein Respekt geht an die vielen Menschen, die dazu beigetragen haben." Dennoch mahnte der Virologe gleichzeitig an: "Es kann sein, je länger das gut geht, dass die Menschen wieder nachlässiger werden." Auf Hendrik Streecks Annahme, dass es momentan schwierig sei, die Wahrheit zu sagen, offenbarte Stürmer:
Auch in Peking würde das Virus wieder hochkommen. Die Frage bleibe, ob es dort zu einer zweiten Welle komme. In China sei man sich nicht sicher, ob die präsentierten Fallzahlen komplett seien. Die Bilder aus einer vollbesetzten Maschine Richtung Mallorca sorgten hingegen für geteilte Meinungen. Stürmer sagte: "Beim allerersten Anblick dachte ich: mein Gott. Auf der anderen Seite ist es so, dass die Klimaanlagen hocheffektiv sind und kleinste Tröpfchen und Viren zurückhalten können." Wichtig hingegen sei es, nicht jede Party und Veranstaltung mitzunehmen. Darauf müssten die Urlauber verzichten.
"Welt"-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld wies jedoch darauf hin, dass es auch dort Regeln geben würde, an die sich jeder zu halten habe. "Insofern kann ich diese Besorgnis nicht nachvollziehen", so die Journalistin. Der Virologe könne es allerdings zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht einschätzen. Kühnert meinte: "Ich habe in den letzten Wochen auch schon kuschelige Situationen erlebt." Mit dem Flugzeug würde er allerdings nicht fliegen, sondern den Zug nehmen. Dort sei das anders geregelt und die Menschen würden nicht dicht an dicht sitzen.
Markus Lanz machte klar, dass Corona das Leben massiv verändern würde. Stürmer zeigte sich von diesem Effekt positiv gestimmt: "Das ist meine Hoffnung, dass die Menschen bewusster leben. Wenn wir Glück haben, werden aus den Urlaubsregionen nicht viele Infektionen zurückkommen. In Brasilien ist es eine Katastrophe. Die Todeszahlen schießen in die Höhe." Und weiter: "Weltweit steigen die Infektionszahlen dramatisch an, auch in Indien und in Afrika. Das Virus ist schwierig zu händeln. Wenn man eine Strategie gehabt hat, soll man sie konsequent durchziehen."
Brasilien ist das Land mit den zweitmeisten Covid-19-Toten. ZDF-Studio-Leiter Christoph Röckerath berichtet aus Rio de Janeiro. Er schilderte die Situation vor Ort folgendermaßen:
Brasilien sei das erste Land, wo am 50. Tag die Kurve nicht abflache. Und weiter: "Durch Corona wird die soziale Ungerechtigkeit mit tiefsitzendem Rassismus sichtbar. Zum großen Teil sind die Todesopfer schwarze Menschen. Die hygienischen Verhältnisse sind dort anders." Es hätte nie Integrationsprogramme für ehemalige Sklaven gegeben. 100.000 Menschen aus den armen Vierteln würden ins Reiche pendeln. Das sei überwiegend Schwarzarbeit. "Die Menschen sterben statistisch gesehen im Verborgenen. Jeder kann Geschichten von jemandem erzählen, der verstorben ist", so Röckerath.
Allein in Rio werden jeden Tag mehr als fünf Menschen erschossen. Der Journalist mahnte an: "Das ist ein trauriger Alltag. Das klingt hart. Es darf kein Alltag sein. Bei Schusswechsel mit der Polizei werden sogar mehr getötet. Die Menschen, die getroffen werden, sind oft unbeteiligte Kinder." Die Polizei sei schlecht ausgebildet. Bis jetzt habe die Politik keine Konsequenzen ziehen müssen. Das Leid der Afro-Amerikaner spiele hier keine große Rolle. Wegen der brisanten Lage in Brasilien habe der Reporter seine Familie bereits vor drei Wochen nach Deutschland fliegen lassen.
Kühnert sagte zu den Vorkommnissen, dass Brasilien ein Extrembeispiel sei. Der SPD-Vize und Juso-Chef betonte mit Blick auf Deutschland:
Philosoph Richard David Precht hätte laut Lanz gesagt, dass wir offenkundig überreagiert hätten. Dem wollte Kühnert so nicht zustimmen: "Das ist zu früh, um das zu bewerten. Der Rückhalt der Maßnahmen ist bis heute sehr, sehr hoch. Ich hatte das Gefühl, die Gesellschaft trägt die Maßnahmen mit. Das war nicht überreagiert. Für die Pandemie gibt es kein Drehbuch. Das halte ich für eine gewagte These." Auch Journalistin Rosenfeld sah das ähnlich:
Besonders den Verlust der Bildung bei sozial schwachen Familien mahnte sie an. Lanz pflichtete bei: "Wir kriegen mehr Hinweise, dass Kinder nicht Treiber der Pandemie sind." Doch Stürmer ließ die Kritik so nicht zu. Er erklärte: "Hessen ist mit der Schulöffnung weit vorne. Ich finde es schwierig. Die Daten sind nicht eindeutig. In Israel muss wieder viel zugemacht werden. Ich hätte mir gewünscht, dass man gewartet hätte." Rosenfeld sah besonders den 300-Euro-Bonus für Kinder als problematisch an. Dies sei "nicht die Lösung", da es als eine gewisse Belohnung für das Homeoffice betrachtet werden könne. Das Geld hätte man eher in Schulen, Kitas und digitale Lernangebote investieren sollen.
Die Belastungen zu Hause seien für Familien enorm gewesen, die Kinderbetreuung zudem ein riesiges Problem. Kühnert stellte klar: "Wir müssen aufpassen, dass wir keine Pappkameraden aufstellen. In erster Linie ist das Paket ein Konjunkturpaket. Damit soll der Einzelhandel angekurbelt werden. Das ist nicht die politische Botschaft, dass die 300 Euro eine Belohnung fürs Homeoffice sind." Und weiter:
Das Geld würde laut Kühnert in Privathaushalten landen. Gerade für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen sollen sich reale Effekte einstellen. Doch Rosenfeld machte klar: "Es wird spekuliert, dass größere Anschaffungen getätigt werden. Es gibt Befürchtungen, dass jetzt Käufe zurückgehalten werden. Es wird unglaublich viel Geld in die Hand genommen. Gegen eine Krise darf man nicht ansparen." Das sei eine wahnsinnige Last für die Zukunft und ein Verklären von akuter Krisenintervention. Die entscheidende Frage dabei sei: "Wie kommen wir wieder dazu, die Verschuldung abzubauen?"
Kühnert sah das anders: "Einspruch! Die Alternative wäre gewesen, weniger zu investieren. Im Großen und Ganzen wollen wir mit dem Paket die Wirtschaft zum Laufen bringen." Dabei mahnte er auch "das sklavische Festhalten" an der schwarzen Null an. Rosenfeld konterte prompt:
Kühnert widersprach: "Das sehe ich anders. Das Ziel der SPD ist nicht, Schulden zu machen. Wenn die Wirtschaft brummt, darf auch gerne getilgt werden. Wir sind im Dezember ausgelacht worden, als wir über die schwarze Null diskutiert haben. Wir haben uns entschieden, das machen wir nicht mehr mit." Sie hätten seit etlichen Jahren Maßnahmen beschlossen, dass die Leute mit kleinem Einkommen stärker unterstützt werden. "Eine starke Konsumsteuer entlastet Familien mit kleinem Einkommen deutlich mehr", so der SPD-Politiker. Wichtig sei, dass Staatsschulden keine Privatschulden seien. Dennoch stimmte er zu:
Rosenfeld erinnerte an das Liegestuhl-Bild der SPD zum Soli-Abbau. Dort stand: "Keine Steuergeschenke für Spitzenverdiener! Wir schaffen den Soli ab. Für fast alle." Die Zeichnung vermittelte: Spitzenverdiener müssten für ihr Vermögen nichts machen. Nun räumte Kühnert ein:
Momentan würde der Wahltrend laut Moderator Lanz übrigens so aussehen: Die CDU liegt bei 40 Prozent und die SPD nur bei 15 Prozent. Kühnerts Erklärung dafür: "Es gibt eine Fokussierung auf die Person, die an der Spitze steht. Viele Leute fokussieren sich auf die Kanzlerin." Als es um Olaf Scholz ging, blieb Kühnert eher wortkarg. "Wir wissen beide, worauf Sie hinauswollen", lautete seine knappe Antwort.
Beim Thema Rassismus in Deutschland machte er seine Position umso deutlicher: "Das ist eine notwendige Diskussion. Die Debatte haben wir nicht zum ersten Mal. Es gibt Rassismus in Deutschland. Wir müssen mit besonderer Sorgfalt darauf achten, dass Rassismus zurückgedrängt wird."
Dennoch sei besonders die Polizeigewalt nicht mit der Situation in den USA zu vergleich. "Das stimmt ausgehend von der Ausbildung schon überhaupt nicht. Trotzdem muss ich es ernst nehmen, wenn Leute sagen, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert werden."
(iger)