Hier sollte sie sitzen und der Öffentlichkeit die Beschlüsse erklären – doch Angela Merkel unterbrach die Beratungen mit den Länderchefs, weil sie nicht einverstanden war mit dem Stand der Debatte. Bild: dpa / Michael Kappeler
Deutschland
Marco Hadem
Nach mehr als einem Jahr Pandemie ist die Stimmung schlecht wie nie – auch bei Bund und Ländern. Hart verhandeln Merkel und die Ministerpräsidenten. Den Frust wird aber nur eine andere Sache besiegen.
22.03.2021, 22:2022.03.2021, 23:02
An dieser Stelle ist für Angela Merkel Schluss. Als
bei den Bund-Länder-Beratungen fünf Ministerpräsidenten erklären,
ihren Bürgern trotz der dritten Corona-Welle samt Virusvarianten
"kontaktlosen Urlaub" im eigenen Bundesland erlauben zu wollen, zieht
die Kanzlerin am Montagabend auf einmal ihre ganz persönliche
Corona-Notbremse: Sollten Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern,
Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz weiter darauf
bestehen, könne sie den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz
nicht mittragen.
Kurz nachdem Merkel das sagt, ist erstmal Pause. Für mehrere Stunden
muss die Sitzung unterbrochen werden. Denn einen Abbruch wollte sich
dann offenbar doch niemand leisten – zumindest nicht, ohne vorher
alle anderen Optionen ausgereizt zu haben. Auch die Länderchefs
gleich welcher Partei sie angehören wissen: Einen solchen Eklat kann
sich niemand erlauben. "Schon gar nicht in dieser Lage der Pandemie",
heißt es aus der Runde.
Nicht die erste Konfrontation zwischen Merkel und Länderchefs
Es ist nicht das erste Mal, dass Merkel in einer Konferenz mit den
Ländern auf Konfrontation geht. Im Oktober wählte sie etwa im Streit
um eine Maskenpflicht in Hotspots ebenfalls drastische Worte: "Die
Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns
abzuwenden. Es reicht einfach nicht, was wir hier machen."
Aus Merkels Sicht kann die Runde sich aber eben auch keine
Alleingänge der Länder leisten, die allen Warnungen von Experten wie
Medizinern zum Trotz Urlaube möglich machen würden. Das wäre ein
falsches Signal, wird Merkel von anderen Teilnehmern zitiert. Und: So
könne man nicht vor der Öffentlichkeit bestehen.
Das Mallorca-Argument zieht nicht
Auch das Argument der SPD-Seite, der "kontaktlose Urlaub" sei wegen
der vielen deutschen Touristen auf Mallorca gerechtfertigt, lässt
Merkel nicht gelten. Sie sei auch nicht begeistert über die Reisen
auf die spanische Urlaubsinsel, aber dies sei eben auch keine
Rechtfertigung für diesen falschen Schritt, macht sie nach Aussagen
von Ohrenzeugen deutlich. Zuvor hatten Vertreter des
Bundesinnenministeriums und auch Justizministerin Christine Lambrecht
(SPD) erläutert, dass es derzeit keine rechtliche Möglichkeit gebe,
die Reisen nach Mallorca zu stoppen.
Apropos Mallorca: Mitten in die unterbrochene Sitzung hin gibt es
zwei Meldungen von der Insel, die auf großes Interesse stoßen: So
sagen die deutschen Fluggesellschaften zu, dass sie die Rückkehrer
nun selbst auf Corona testen wollen. Und zum anderen sollen wegen
wieder steigender Corona-Zahlen die erst vor kurzem geöffneten
Innenräume von Cafés, Restaurants und Kneipen schließen.
Bei Oster-Lockerungen verliert Merkel gegen die Länder
Dabei fürchtet Merkel dem Vernehmen nach durch den eingeschränkten
Inlandstourismus in Ferienwohnungen, Ferienhäusern oder in
Wohnmobilen auf Campingplätzen nicht nur Probleme für die ohnehin
zunehmend schwierige Infektionsentwicklung im Lande. Auch juristisch
drohten viele Schwierigkeiten, sowohl durch klagende Bürger anderer
Bundesländer, als auch durch klagende Hotels. Ungeklärt sei auch die
Frage, wie kontrolliert werden solle, wer sich wo aufhalte.
Der Zwist um die kontaktlosen Ferien ist aber bei weitem nicht der
einzige Streitpunkt an diesem Tag zwischen Bund und Ländern. Schon
Stunden vorher hatten sich die Länder ihrerseits erfolgreich gegen
einen Plan Merkels gestemmt, wonach über die Ostertage auch
Verwandtenbesuche im größeren Rahmen möglich zu machen. Auch hier
kommt das Argument, dies sei in der Pandemie ein falsches Signal – aber eben von den Ministerpräsidenten.
Corona-Müdigkeit der Bevölkerung
Wie die Urlaubsfragen ist auch dieses Thema emotional hoch belastet.
Und im Grund sind sich die vertretenen Politiker wie Parteien am
Verhandlungstisch in einer Sache einig: Mit der Positionierung gegen
bundesweite Osterlockerungen und Tourismus gehen Bund und Länder
durchaus ein Risiko ein, wenn auch weniger aus pandemischen Gründen.
In der gegenwärtigen Corona-Müdigkeit der Bevölkerung wäre es
durchaus ein psychologisch wichtiges Signal gewesen, welches die
wachsende Unzufriedenheit der Menschen hätte bremsen können. Zugleich
besteht die Gefahr, dass sich an Ostern dennoch mehr Menschen
treffen, als es die Regeln gestatten.
Zur Erinnerung: Als vor Weihnachten wegen der steigenden Zahlen die
Lockerungen bei den Kontakten über die Festtage kritisiert wurden,
sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), es gehe um eine
"Balance zwischen Empathie und Rationalität", immerhin sei
Weihnachten das wichtigste Fest des Jahres. Anders als heute gab es
damals weder Schnell- noch Laientests.
Mehrheit laut Umfrage unzufrieden mit Regierung
Doch statt einer frohen Osterkunde setzen Bund und Länder an diesem
kalten Märztag auf eine andere Botschaft: Der Lockdown muss bis Mitte
April verlängert werden, in Hotspots muss die geltende Notbremse
konsequenter als bisher angewandt werden. Die Unzufriedenheit mit dem
Krisenmanagement dürfte so weiter wachsen. In einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen
Presse-Agentur zeigten sich 34 Prozent "sehr unzufrieden" und weitere
31 Prozent "eher unzufrieden" mit dem Agieren der Regierung. Dagegen
sind nur 4 Prozent "sehr zufrieden" und 26 Prozent "eher zufrieden".
Dass Bund und Länder dennoch im Bundestagswahljahr diesen Weg gehen,
kann man auch als stringente Linie sehen. Und als Ausdruck ihrer Not,
denn auch das reiche Deutschland kann sich keinen Dauer-Lockdown
leisten. Wie teuer die Krise den Staat kommt, zeigt eine Eilmeldung,
die am Nachmittag mitten in die Konferenz hereinplatzt: Wegen der
Corona-Krise will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auch 2022 noch
einmal neue Schulden in Höhe von rund 81.5 Milliarden Euro aufnehmen.
Die Ersten denken an die Bundestagswahl
Keine Frage, die Menschen werden ihre Entscheidung bei der
Bundestagswahl am 26. September kaum mit Einzelentscheidungen von
Bund und Ländern begründen. Doch in den Hinterköpfen der Politiker
nimmt die am 26. September anstehende Bundestagswahl dennoch einen
immer größeren Platz ein. Gerade die in den Umfragen weit hinter der
Union und den Grünen hinkende SPD ist mit ihrem Kanzlerkandidaten
Scholz erkennbar bemüht, der Corona-Politik mit Forderungen nach
Urlaub im eigenen Bundesland ihren Stempel aufzudrücken.
Das wissen sie auch in der Union, wo sich zwischen Ostern und
Pfingsten entscheiden soll, wer als Kanzlerkandidat um das Erbe von
Merkel kämpfen soll. In Umfragen liegen CDU/CSU schon unter der
30-Prozent-Marke. Das dürfte auch die für die Kanzlerkandidatur
gehandelten Top-Bewerber unter Druck bringen – CDU-Chef Armin Laschet
und Söder. Einen Stimmungsumschwung kann es wohl erst geben, wenn die
schleppenden Corona-Impfungen endlich Wirkung zeigen. Auch das
betrifft besonders die Union. Und sie muss nach der Wahl auch noch
ohne Krisenkanzlerin Merkel auskommen.
(dpa)