An dieser Stelle ist für Angela Merkel Schluss. Als bei den Bund-Länder-Beratungen fünf Ministerpräsidenten erklären, ihren Bürgern trotz der dritten Corona-Welle samt Virusvarianten "kontaktlosen Urlaub" im eigenen Bundesland erlauben zu wollen, zieht die Kanzlerin am Montagabend auf einmal ihre ganz persönliche Corona-Notbremse: Sollten Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz weiter darauf bestehen, könne sie den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz nicht mittragen.
Kurz nachdem Merkel das sagt, ist erstmal Pause. Für mehrere Stunden muss die Sitzung unterbrochen werden. Denn einen Abbruch wollte sich dann offenbar doch niemand leisten – zumindest nicht, ohne vorher alle anderen Optionen ausgereizt zu haben. Auch die Länderchefs gleich welcher Partei sie angehören wissen: Einen solchen Eklat kann sich niemand erlauben. "Schon gar nicht in dieser Lage der Pandemie", heißt es aus der Runde.
Es ist nicht das erste Mal, dass Merkel in einer Konferenz mit den Ländern auf Konfrontation geht. Im Oktober wählte sie etwa im Streit um eine Maskenpflicht in Hotspots ebenfalls drastische Worte: "Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden. Es reicht einfach nicht, was wir hier machen."
Aus Merkels Sicht kann die Runde sich aber eben auch keine Alleingänge der Länder leisten, die allen Warnungen von Experten wie Medizinern zum Trotz Urlaube möglich machen würden. Das wäre ein falsches Signal, wird Merkel von anderen Teilnehmern zitiert. Und: So könne man nicht vor der Öffentlichkeit bestehen.
Auch das Argument der SPD-Seite, der "kontaktlose Urlaub" sei wegen der vielen deutschen Touristen auf Mallorca gerechtfertigt, lässt Merkel nicht gelten. Sie sei auch nicht begeistert über die Reisen auf die spanische Urlaubsinsel, aber dies sei eben auch keine Rechtfertigung für diesen falschen Schritt, macht sie nach Aussagen von Ohrenzeugen deutlich. Zuvor hatten Vertreter des Bundesinnenministeriums und auch Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erläutert, dass es derzeit keine rechtliche Möglichkeit gebe, die Reisen nach Mallorca zu stoppen.
Apropos Mallorca: Mitten in die unterbrochene Sitzung hin gibt es zwei Meldungen von der Insel, die auf großes Interesse stoßen: So sagen die deutschen Fluggesellschaften zu, dass sie die Rückkehrer nun selbst auf Corona testen wollen. Und zum anderen sollen wegen wieder steigender Corona-Zahlen die erst vor kurzem geöffneten Innenräume von Cafés, Restaurants und Kneipen schließen.
Dabei fürchtet Merkel dem Vernehmen nach durch den eingeschränkten Inlandstourismus in Ferienwohnungen, Ferienhäusern oder in Wohnmobilen auf Campingplätzen nicht nur Probleme für die ohnehin zunehmend schwierige Infektionsentwicklung im Lande. Auch juristisch drohten viele Schwierigkeiten, sowohl durch klagende Bürger anderer Bundesländer, als auch durch klagende Hotels. Ungeklärt sei auch die Frage, wie kontrolliert werden solle, wer sich wo aufhalte.
Der Zwist um die kontaktlosen Ferien ist aber bei weitem nicht der einzige Streitpunkt an diesem Tag zwischen Bund und Ländern. Schon Stunden vorher hatten sich die Länder ihrerseits erfolgreich gegen einen Plan Merkels gestemmt, wonach über die Ostertage auch Verwandtenbesuche im größeren Rahmen möglich zu machen. Auch hier kommt das Argument, dies sei in der Pandemie ein falsches Signal – aber eben von den Ministerpräsidenten.
Wie die Urlaubsfragen ist auch dieses Thema emotional hoch belastet. Und im Grund sind sich die vertretenen Politiker wie Parteien am Verhandlungstisch in einer Sache einig: Mit der Positionierung gegen bundesweite Osterlockerungen und Tourismus gehen Bund und Länder durchaus ein Risiko ein, wenn auch weniger aus pandemischen Gründen. In der gegenwärtigen Corona-Müdigkeit der Bevölkerung wäre es durchaus ein psychologisch wichtiges Signal gewesen, welches die wachsende Unzufriedenheit der Menschen hätte bremsen können. Zugleich besteht die Gefahr, dass sich an Ostern dennoch mehr Menschen treffen, als es die Regeln gestatten.
Zur Erinnerung: Als vor Weihnachten wegen der steigenden Zahlen die Lockerungen bei den Kontakten über die Festtage kritisiert wurden, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), es gehe um eine "Balance zwischen Empathie und Rationalität", immerhin sei Weihnachten das wichtigste Fest des Jahres. Anders als heute gab es damals weder Schnell- noch Laientests.
Doch statt einer frohen Osterkunde setzen Bund und Länder an diesem kalten Märztag auf eine andere Botschaft: Der Lockdown muss bis Mitte April verlängert werden, in Hotspots muss die geltende Notbremse konsequenter als bisher angewandt werden. Die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement dürfte so weiter wachsen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigten sich 34 Prozent "sehr unzufrieden" und weitere 31 Prozent "eher unzufrieden" mit dem Agieren der Regierung. Dagegen sind nur 4 Prozent "sehr zufrieden" und 26 Prozent "eher zufrieden".
Dass Bund und Länder dennoch im Bundestagswahljahr diesen Weg gehen, kann man auch als stringente Linie sehen. Und als Ausdruck ihrer Not, denn auch das reiche Deutschland kann sich keinen Dauer-Lockdown leisten. Wie teuer die Krise den Staat kommt, zeigt eine Eilmeldung, die am Nachmittag mitten in die Konferenz hereinplatzt: Wegen der Corona-Krise will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auch 2022 noch einmal neue Schulden in Höhe von rund 81.5 Milliarden Euro aufnehmen.
Keine Frage, die Menschen werden ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl am 26. September kaum mit Einzelentscheidungen von Bund und Ländern begründen. Doch in den Hinterköpfen der Politiker nimmt die am 26. September anstehende Bundestagswahl dennoch einen immer größeren Platz ein. Gerade die in den Umfragen weit hinter der Union und den Grünen hinkende SPD ist mit ihrem Kanzlerkandidaten Scholz erkennbar bemüht, der Corona-Politik mit Forderungen nach Urlaub im eigenen Bundesland ihren Stempel aufzudrücken.
Das wissen sie auch in der Union, wo sich zwischen Ostern und Pfingsten entscheiden soll, wer als Kanzlerkandidat um das Erbe von Merkel kämpfen soll. In Umfragen liegen CDU/CSU schon unter der 30-Prozent-Marke. Das dürfte auch die für die Kanzlerkandidatur gehandelten Top-Bewerber unter Druck bringen – CDU-Chef Armin Laschet und Söder. Einen Stimmungsumschwung kann es wohl erst geben, wenn die schleppenden Corona-Impfungen endlich Wirkung zeigen. Auch das betrifft besonders die Union. Und sie muss nach der Wahl auch noch ohne Krisenkanzlerin Merkel auskommen.
(dpa)