Mehrere AfD-Verbände verbreiten die Behauptung, der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck wünsche sich in Deutschland eine Diktatur nach chinesischem Vorbild. Dabei greifen sie eine missverständliche Äußerung Habecks in einer ZDF-Sendung auf. Tatsächlich forderte der Politiker darin jedoch das Gegenteil: Ein Festhalten an demokratischen Strukturen.
Habeck diskutierte mit dem Philosophen Richard David Precht die Frage "Frisst der Kapitalismus die Demokratie?" Können Kapitalismus und Demokratie koexistieren? Immer weniger Menschen würden daran glauben, sagte Precht im Intro zur Sendung:
"Reagieren doch autoritäre Staaten wie China angeblich so viel effektiver auf die Herausforderungen der Zukunft."
Precht und Habeck setzten sich deshalb mit der Frage auseinander, wie schnell die Politik auf die rasanten Veränderungen gerade in der digitalen Welt reagieren kann. Habeck sagte: "Die Politik, meine Welt, arbeitet im Grunde analog. Sie braucht zwei Jahre, um ein Gesetz zu machen, dann muss es Anhörungen geben, Bürgerbeteiligung. Das wollen wir ja auch. Aber dadurch entsteht eine Wirklichkeit, dass die Politik nicht immer auf Ballhöhe mehr der Herausforderungen ist."
Auslöser der Vorwürfe ist eine etwa einminütige Aussage von Robert Habeck
Dann folgte in der Sendung eine einminütiger Monolog Habecks, in der er die politischen Entscheidungsprozesse in Deutschland und China gegenüberstellt. Dieser Monolog ist es, der jetzt gegen ihn verwendet wird. Vor allem AfD-Verbände werfen ihm vor, er würde eine Diktatur nach chinesischem Vorbild in Deutschland befürworten.
Daran beteiligen sich etwa der nordrhein-westfälische AfD-Landesverband, einige AfD-Orts- und Kreisverbände in ganz Deutschland und mehrere rechtspopulistische Medien und Social-Media-Accounts. Auch die rechtspopulistische Autorin und ehemalige Grünen- und CDU-Politikerin Vera Lengsfeld interpretierte Habecks Aussagen in einem Beitrag so, und nannte Habeck einen "Ökodiktator".
Nur einer der zahlreichen Posts:
Bild: screenshot
Was hat Habeck wirklich gesagt?
Zur Frage, ob ein Verzicht auf demokratische Prozesse und Mitbestimmungsrechte eine Option sein kann, sagte der Grünen-Vorsitzende:
"Ich glaube, man kommt da nur normativ weiter. Man muss das zugeben, dass das so ist, und dann muss man sich entscheiden, will man daran festhalten, dass ein demokratisches System, das im Grunde dem Kern von Selbstbestimmung und Beteiligung von Menschen verpflichtet ist, noch eine Chance hat.
Dann muss man jetzt aber in großer Geschwindigkeit radikale Schritte in der Politik einführen. Oder gibt man es auf und dann wird man zu zentralen, zentralistischen Systemen hingehen, die natürlich schneller sind. Das ist das Brückenbau-Beispiel von ihnen, China: Da gibt es eben keine Opposition und keine Mitbestimmung und wenn die Fehler machen, dann werden die trotzdem nicht abgewählt. Vielleicht gibt es mal eine Revolte in China, aber erst einmal ist das System effizienter.
Wollen wir das, oder wollen wir das nicht? Und ich glaube, die Entscheidung kann man nicht ökonomisch treffen, die kannst du nur Werte-geleitet treffen, und ich würde sagen, ja das wollen wir. Dann müssen wir aber den Wettlauf mit der technischen Entwicklung aufnehmen und auch mit der Macht der Konzerne.
Nein. Ihm wird vorgeworfen, er habe den Halbsatz "ja das wollen wir" auf die Einführung zentralistischer und autoritärer Systeme bezogen. Tatsächlich äußert sich der Grünen-Politiker hier missverständlich. Seine Partei stellt auf watson-Anfrage jedoch klar:
"Robert Habeck antwortet mit seiner Aussage 'Ja, das wollen wir' auf seine vorherige Frage, ob wir an einem demokratischen System festhalten wollen, das die Selbstbestimmung des Einzelnen in den Mittelpunkt stellt."
Pressestelle der Grünen
Das wird auch aus dem Gesamtzusammenhang des Gesprächs und aus Robert Habecks weiteren Antworten deutlich.
Fazit:
Robert Habeck hat nicht die Einführung einer Diktatur in Deutschland gefordert. Stattdessen betont er, dass er an den in Deutschland vorhandenen demokratischen Strukturen festhalten will.
Auch wenn der Grünen-Politiker sich missverständlich geäußert hat, handelt es sich bei den nun gegen ihn erhobenen Vorwürfen um teilweise böswillige Fehlinterpretationen.
In rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen wurden bereits in der Vergangenheit mehrfach Aussagen von Politikerinnen und Politikern der Grünen bewusst falsch interpretiert und sogar frei erfunden, um der Partei zu schaden.
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