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Merz spricht von Krieg: neue Russland-Rhetorik nach Briefing mit BND

25.06.2025, Niederlande, Den Haag: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gibt beim Nato-Gipfel eine Pressekonferenz. Die 32 Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten treffen sich zu einem zweitägigen  ...
Bundeskanzler Friedrich Merz warnte beim Nato-Treffen vor Russland mit dringlichen Worten.Bild: dpa / Kay Nietfeld
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"Russland greift uns heute schon an": Warum Kanzler Merz jetzt von Krieg spricht

Sabotageakte, Desinformation, Spionage: Die Angriffe Russlands auf Deutschland sind längst Realität. Die Bundesregierung ändert deshalb ihre sicherheitspolitische Kommunikation.
04.07.2025, 16:0804.07.2025, 16:08
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Zerstörte Datenkabel in der Ostsee, Drohnen über Kasernen der Bundeswehr, Fake-News aus russischen Trollfabriken: All das ist eine Form des Krieges. Und längst Realität in Deutschland, mit steigender Tendenz.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat diesbezüglich die Rhetorik seit Kurzem verschärft. "Wir werden von Russland bereits in diesem Sinne angegriffen", sagte er etwa bei der Nato-Tagung in Den Haag. Die Trennlinie zwischen Krieg und Frieden sei "fließend".

Die Regierung will die Bevölkerung offenbar auf eine härtere sicherheitspolitische Realität vorbereiten – und ändert dafür nun die Tonlage. Statt vor einem Angriff in ferner Zukunft zu warnen, spricht sie von einem Krieg, der längst begonnen habe. Grund für die neue Linie: ein vertrauliches Briefing mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) – mit brisanten Folgen.

Hauptsitz des Bundesnachrichtendienst BND in Berlin, welcher zuvor in Pullach stationiert war. Der Bundesnachrichtendienst in Berlin ist neben dem Bundesamt f�r Verfassungsschutz und dem Milit�rischen ...
Hauptsitz des Bundesnachrichtendienst BND in BerlinBild: imago images / Christoph Hardt

Der BND schlägt Alarm – und Merz ändert den Kurs

Bereits kurz nach Amtsantritt im Mai kamen Merz und sein Kabinett mit dem BND zusammen. Bei dem Treffen präsentierten die Geheimdienstler:innen ihre neuesten Erkenntnisse zur Lage in Russland und warnten vor einer sich rasant entwickelnden militärischen Bedrohung.

Bis dahin war 2029 das Jahr, das in sicherheitspolitischen Analysen am häufigsten auftauchte: als Zeitpunkt, zu dem Putins Armee nach den Verlusten im Ukraine-Krieg wieder kampffähig sein könnte. Generalinspekteur Carsten Breuer hatte dieses Datum öffentlich gemacht, um die Trägheit in der deutschen Sicherheitspolitik aufzurütteln.

Doch inzwischen fürchten Militärs, dass genau diese Jahreszahl falsche Sicherheit vermittelt. "Die Jahreszahl suggeriert, dass wir uns noch vier Jahre im Frieden ausruhen können", zitiert der "Spiegel" einen ranghohen Nato-General.

Russian President Vladimir Putin attends a plenary session of the St. Petersburg International Economic Forum in St. Petersburg, Russia, on Friday, June 20, 2025. (AP Photo/Dmitri Lovetsky)
Wladimir Putin scheint zunehmend in einer gedanklichen Eskalationsspirale gefangen.Bild: AP / Dmitri Lovetsky

Putins Rüstungsmaschinerie läuft – schneller als gedacht

In der Realität jedoch rüstet Russland mit hohem Tempo auf. Laut BND produziert Moskau derzeit rund 1500 neue Kampfpanzer pro Jahr. Das sind deutlich mehr als westliche Geheimdienste zunächst annahmen. Auch Drohnen wie die Shahed, die Putin bislang aus dem Iran bezog, stellt Russland inzwischen in Massen selbst her: über 2000 Stück pro Monat.

Diese Entwicklung ist nicht nur ein technisches, sondern ein strategisches Signal. Der BND warnt vor "Nadelstichen", mit denen Russland systematisch die Verteidigungsbereitschaft des Westens testet. Putin setzt dabei etwa auf Cyberattacken, Luftraumverletzungen und militärische Provokationen auf See.

Ein Beispiel: Als estnische Streitkräfte im Mai versuchten, einen russischen Öltanker der sogenannten Schattenflotte zu kontrollieren, überflog ein russischer Kampfjet demonstrativ das Gebiet. Die Nato blieb auffällig still.

Die Angst vor dem "Artikel-5-Test"

Geheimdienstchef Bruno Kahl sieht in diesen Zwischenfällen gezielte Provokationen – mit dem Ziel, die Reaktionsfähigkeit der Nato zu testen. "In Moskau gibt es Leute, die glauben nicht mehr, dass Artikel 5 der Nato funktioniert", sagte Kahl dem Portal "Table.Media". Der Bündnisfall, eigentlich das Herzstück der Nato, könnte auf diese Weise bewusst infrage gestellt werden.

Laut dem BND reichen schon wenige Drohnen über baltischem Gebiet, um ein Dilemma auszulösen: Reagiert die Nato? Wenn nicht, droht ein massiver Vertrauensverlust mit weitreichenden Folgen für die Abschreckungsfähigkeit des Westens.

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Milliarden für die Verteidigung – und eine neue Sprache

Die Eindrücke aus dem BND-Briefing haben offenbar direkte politische Konsequenzen. Noch vor dem Nato-Zieljahr 2030 will die Regierung unter Friedrich Merz rund 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Das ist ein Wert, der deutlich über den bisherigen Plänen liegt.

Zudem heißt es aus Regierungskreisen, man wolle künftig seltener von einem möglichen Angriff im Jahr 2029 sprechen und stattdessen den Fokus auf aktuelle Bedrohungen legen. Merz bekräftigte das am Dienstag in der ARD erneut: "Russland greift uns heute schon an." Ein Satz, der lange als Alarmismus gegolten hätte. Jetzt ist er Regierungslinie.

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