
Es werden mehr illegale Drogen konsumiert, zum Beispiel Kokain. (Symbolfoto)Bild: imago images / Revierfoto
Deutschland
09.09.2020, 07:2309.09.2020, 07:23
Seit neun Jahren steigt in Deutschland die
Zahl der Rauschgiftdelikte, die der Polizei bekannt werden. Das
Bundeskriminalamt (BKA) geht davon aus, dass dies nicht nur das
Ergebnis erfolgreicher Fahndung ist. Vielmehr sieht die Behörde in
dem Anstieg auch einen Hinweis darauf, dass hierzulande mehr illegale
Drogen konsumiert werden. Denn das Kontrollniveau war 2019 laut
BKA-Chef Holger Münch etwa so hoch wie im Jahr zuvor.
Der mit Abstand größte Anstieg (plus 12,2 Prozent) wurde 2019 bei
Delikten im Zusammenhang mit Kokain verzeichnet. "Wir stellen fest,
dass es keine Elite-Droge mehr ist", erklärte Münch am Dienstag in
Berlin bei der Vorstellung des aktuellen Lagebildes zur
Drogenkriminalität. Auch junge Menschen griffen vermehrt zu Kokain.
Handel mit Crystal Meth leicht zurückgegangen
Einen leichten Rückgang gab es dagegen im Handel mit Crystal
Meth. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig
(CSU), sieht darin auch das Ergebnis erfolgreicher Präventionsarbeit.
Beispielsweise habe man 2015 begonnen, konsumierende Mütter
anzusprechen, Leitlinien für die Behandlung von Abhängigen entwickelt
und das Thema an Schulen in besonders betroffenen Gebieten
besprochen. Ludwig kündigte an, nun die Kokain-Prävention zu einem
neuen Schwerpunkt ihrer Arbeit zu machen.
Obwohl der Drogenschmuggel durch Kuriere und der Straßenverkauf
von Rauschgift in diesem Jahr durch Beschränkungen aufgrund der
Corona-Pandemie erschwert wurden, hat die Polizei in den vergangenen
Monaten laut Münch "keine Knappheit auf dem Markt festgestellt".
Rauschgift sei weiter hergestellt sowie per Luftfracht und auf dem
Seeweg transportiert worden. Auch der Konsum sei wohl konstant
geblieben. Die Drogenhändler hätten sich sehr schnell umgestellt: die
Bestellung über Internet-Plattformen und der Versand kleinerer Mengen
per Post – bevorzugt an Packstationen – hätten weiter zugenommen.
Dem Rauschgift-Lagebild zufolge wurden 2019 bundesweit 31
illegale Labors zur Herstellung synthetischer Drogen ausgehoben. Das
entsprach einem Anstieg von rund 63 Prozent. Deutschland - und
insbesondere Nordrhein-Westfalen - kommt laut BKA zudem eine
bedeutende Funktion als Zwischenlager und Transitstaat für
Chemikalien zu, die zur Rauschgiftherstellung in den Niederlanden
bestimmt sind.
NRW wird von den Betreibern niederländischer Drogenlabors nach
Erkenntnissen der Polizei häufig auch als Müllkippe missbraucht. Um
ihre Herkunft zu verschleiern, würden Abfallprodukte der
Drogenherstellung oft in Säcken mit gefälschten Etiketten deutscher
Chemiehersteller oder -händler entsorgt, stellte das BKA fest.
Rauschgiftdelikte stiegen an
Insgesamt stieg die Zahl der 2019 registrierten Rauschgiftdelikte
um 2,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 359.747 an. Die mit
Abstand meisten Delikte standen im Zusammenhang mit Cannabis (217.929). "Statt Ressourcen auf die Verfolgung von Konsumenten zu
verschwenden, sollten Bund und Länder gezielt gegen die organisierte
Drogenkriminalität und den Schwarzmarkt vorgehen", forderte der
drogenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Wieland
Schinnenburg. Einen Beitrag dazu könne die kontrollierte Abgabe von
Cannabis an Erwachsene sein, die erhebliche Ressourcen bei den
Ermittlungsbehörden freisetzen würde.
Münch erklärte, er sei nicht dagegen, diese
Liberalisierungsdebatte zu führen. Ihm sei aber aus Ländern, die in
der Frage der Strafbarkeit einen anderen Kurs fahren, nicht bekannt,
"dass Konsumentenzahlen rückgängig sind". Auch ließen sich kriminelle
Strukturen im Drogenhändler-Milieu durch eine Legalisierung von
Cannabis nicht "trockenlegen".
Nach dem Betäubungsmittelgesetz wird in Deutschland mit einer
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe sanktioniert,
wer rauscherzeugende Substanzen wie Cannabis unerlaubt anbaut,
herstellt, mit ihnen Handel treibt oder sie erwirbt. Formal ist der
Konsum von Betäubungsmitteln wegen des Grundsatzes der Straflosigkeit
der Selbstgefährdung in Deutschland straffrei - allerdings sind alle
Handlungen, die dazu führen, strafbar.
Geht es dabei lediglich um geringe Cannabis-Mengen zum
Eigenverbrauch, kann von einer Bestrafung abgesehen werden. Der
Begriff "geringe Menge" wird von Bundesland zu Bundesland allerdings
unterschiedlich definiert.
Bei Ermittlungen zum Handel mit synthetischen Drogen stieß die
Polizei laut BKA-Statistik 2019 hauptsächlich auf deutsche
Tatverdächtige (80 Prozent). Unter den mutmaßlichen Heroin-Händlern
besaß jeder Zweite die deutsche Staatsbürgerschaft. Bei den
Tatverdächtigen im Kokain-Handel waren laut BKA 57 Prozent Ausländer.
Die größte bislang in Deutschland sichergestellte Menge von
Kokain hatte der Zoll im Juli 2019 bei einer Routinekontrolle im
Hamburger Hafen entdeckt. In einem Container mit Sojabohnen, der aus
Uruguay über Hamburg nach Belgien transportiert werden sollte, waren
4.5 Tonnen Kokain versteckt. Geschätzter Straßenverkaufswert: fast
eine Milliarde Euro.
(lin/dpa)