Mit frischen Gesichtern will die SPD frischen Wind in den Bundestag bringen und startet so mit 109 Bundestagskandidatinnen und Kandidaten unter 40 Jahren in den Wahlkampf. Eine davon ist Verena Hubertz. Bei ihrer Kandidatur bekommt die 33-Jährige prominente Unterstützung. Nicht nur die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer engagiert sich für die junge Politikerin, sondern auch die ehemalige Familien- und Justizministerin Katarina Barley.
Watson trifft Verena Hubertz und Katarina Barley in der Nähe von Trier zum Doppel-Interview. In Schweich, einer kleinen Gemeinde mit 7000 Einwohnern, wohnt die ehemalige Justizministerin und Vize-Präsidentin des Europaparlaments Katarina Barley. Und die junge Bundestagskandidatin Verena Hubertz möchte hier das Direktmandat holen. Es entspinnt sich ein Gespräch über den Generationenunterschied innerhalb der SPD, junge Frauen in der Politik und darüber, warum die SPD noch nie eine Kanzlerkandidatin hatte.
Das watson-Doppel – unsere neue Politik-Serie zur Bundestagswahl
watson: Frau Barley, es heißt, Sie wären Autoliebhaberin. Keine sehr populäre Position im Moment, wenn man junge Menschen fragt.
Katarina Barley: Das stimmt so nicht. Ich hatte einen Oldtimer, den ich geliebt habe, einen VW Karmann Ghia. Es war aber nur dieses eine Auto, das so alt war wie ich, zu dem ich ein emotionales Verhältnis hatte. Leider musste ich es abgeben, weil die Reparaturen Überhand nahmen. Ansonsten habe ich zu Autos überhaupt kein emotionales Verhältnis und fahre sie, bis sie auseinander fallen.
"Oh jee, jetzt werde ich hier zur Seniorin stilisiert."
Katarina Barley
Und Sie, Frau Hubertz?
Verena Hubertz: Wenn ich in städtischen Gebieten unterwegs bin, nutze ich Carsharing, wenn ich ein Auto benötige. Selbst mein Fahrrad ist ein Leihrad. Hier in meinem Wahlkreis brauche ich aber ein Auto und nutze aktuell das von meinem Vater. Ich habe mir aber eines für den Wahlkampf gemietet, um es dann auch mit Logos und Schrift bekleben zu können.
Leihen statt kaufen: Ist das der berühmte Generationenunterschied, der sich beim Verhältnis zum PKW bemerkbar macht?
Barley: Oh jee, jetzt werde ich hier zur Seniorin stilisiert (lacht).
Sie sind 20 Jahre auseinander. Sie haben recht, das ist noch keine Generation.
Barley: Ich glaube, es ist eher ein Unterschied, ob Sie auf dem Land wohnen oder in der Stadt. Ich wohne eben nicht in Trier, sondern etwas außerhalb, und da wird es schwierig, wenn man kein Auto hat. Ich fahre aber auch viel Bus.
Wir hätten gerne daran erzählen wollen, wie unterschiedlich die Lebensrealitäten der verschiedenen Altersgruppen innerhalb der SPD aussehen.
Barley:(Lacht) Naja, ich bin erst 2013 als Quereinsteigerin in den Bundestag gewählt worden. Wie es davor war, kann ich für die Bundestagsfraktion schlecht beurteilen. Aber es stimmt: Genau das, was die SPD stark macht, ist das Zusammenbringen unterschiedlicher Lebensrealitäten, von Stadt und Land, von Pflegekräften und Chefärztinnen und -ärzten, von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die gerade erst in den Job starten, bis hin zu Rentnerinnen und Rentnern. Uns geht es darum, dass in unserer modernen Gesellschaft der immer vielfältigeren Lebensentwürfe jede und jeder Respekt und auch eine vernünftige Entlohnung erhält.
Hat ordentlich Womanpower hinter sich: Verena Hubertz (l.) wird von Katarina Barley und der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer unterstützt.Bild: Frank Martini / Martini Media
"Sigmar Gabriel ist natürlich ein 'Mann-Mann'."
Katarina Barley
Trotzdem: Wie man hört, war das damals noch ein ziemlicher Männerladen. Sigmar Gabriel war Parteichef.
Barley: Sigmar Gabriel ist natürlich ein "Mann-Mann" (lacht). Das ist schon wahr. Aber wir hatten auch damals schon starke Frauen. Manuela Schwesig war mein Anker. Und natürlich Andrea Nahles, die ich schon seit dreißig Jahren kenne. Aber ja, es wird nicht nur weiblicher, sondern auch jünger.
Für die SPD kandidieren dieses Jahr tatsächlich sehr viele junge Frauen, wie uns die Partei exklusiv mitteilte. Ein Drittel der Kandidaten ist unter 40 Jahre alt und 40 Prozent der Direktkandidaten sind weiblich.
Barley: In der SPD waren Frauen immer schon vertreten. Es hat allerdings gedauert, bis sie in die Positionen kamen, in denen sie wirklich Verantwortung übernehmen und Erfolg haben konnten. Es ist leicht, jemanden in Wahlkreisen aufzustellen, wo man weiß, dass man dort sowieso nicht gewinnt. Viel entscheidender als die Frage, wie viele Frauen auf den Listen stehen, ist, wie viele dann auch wirklich in den Bundestag kommen.
Hubertz: Das ist das große Ziel für mich. Einzug in den Bundestag.
Barley: Da sind wir bei dir aber auch sehr optimistisch.
Nicht immer nur harmonisch gewesen: Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel (l.) und Katarina Barley.Bild: imago stock&people / Eibner
"Dieses Rollenverständnis war mir immer schon fremd. Es kommt doch nicht darauf an, in welchem Alter man in eine Position kommt, sondern welche Kompetenzen und Fähigkeiten man mitbringt."
Verena Hubertz
Wie haben Sie als junge Frau die SPD bisher erlebt? Mussten Sie es sich erkämpfen, ernst genommen zu werden?
Hubertz: (Denkt lange nach) Sowohl als auch. Wenn ich hier im Wahlkreis Werbung für mich mache, dann bekomme ich als Rückmeldung manchmal die Frage: "Wie alt sind Sie denn?" Ich bin 33 Jahre alt. Das finde ich jetzt gar nicht mehr so jung.
Je nach Perspektive.
Hubertz: Ich werde schon mein ganzes Leben mit meinem Alter konfrontiert. Ich habe mit 25 Jahren ein Unternehmen gegründet. Das heißt, dass ich nie in einem festen Job Arbeitnehmerin war, aber direkt als Arbeitgeberin für Mitarbeiter Verantwortung gehabt habe, die auch mal zehn Jahre älter waren als ich. Die wurden dann auch gefragt, wie es ist, unter einer jungen Frau zu arbeiten. Dieses Rollenverständnis war mir immer schon fremd. Es kommt doch nicht darauf an, in welchem Alter man in eine Position kommt, sondern welche Kompetenzen und Fähigkeiten man mitbringt.
Wie gehen Sie damit um, wenn Ihr Alter so sehr thematisiert wird?
Hubertz: Ich lenke das Gespräch darauf, dass ich frischen Wind in die Politik bringen möchte und dass ich die letzten Jahre auch etwas gemacht habe, nämlich ein Unternehmen aufgebaut. Da bin ich auch neue Wege gegangen. Ich glaube, nach 16 Jahren Angela Merkel und bald eineinhalb Jahren Pandemie ist jetzt ein Bedürfnis da, neue Wege zu gehen.
Der CDU-Parteivorsitzende Armin Laschet nennt das "Modernisierungsjahrzehnt".
Hubertz: Die Zeit, in der wir immer alles so gemacht haben wie bisher, ist jetzt endgültig vorbei. Es haben auch viele Leute gemerkt, wo es klemmt und dass wir jetzt die Zukunft auch mal anpacken müssen. Mein Gegenkandidat ist ein gesetzterer, älterer Herr. Es kann auch ein Vorteil sein, wenn man jung ist. Meine Generation ist mit einem ganz anderen Verständnis unter anderem auch für Digitales aufgewachsen, als Chance und selbstverständlichen Teil des Lebens. Aber das ist auch nicht das Einzige, was mich auszeichnet.
"Angela Merkel ist ein absoluter Sonderfall."
Katarina Barley
Und Sie sind weiblich, was in der Politik immer noch nicht die Regel ist. Der Bundestag ist so männlich dominiert wie seit 1998 nicht mehr. Apropos: Wie kann es eigentlich sein, dass es bis heute keine Spitzenkandidatin der SPD auf Bundesebene gab, aber eine CDU-Kanzlerin 16 Jahre lang das Land regierte?
Barley: Angela Merkel ist ein absoluter Sonderfall. Ein Sonderfall für die Politik und für die CDU noch einmal doppelt. Ich habe lange mit ihr zusammengearbeitet, unter anderem als Justizministerin. Sie besitzt keinerlei Eitelkeit. Es geht ihr kein bisschen um sich selbst. Es gibt in der Politik solche und solche.
Großes Ego und gar keins?
Barley: Zumindest welche mit einem ausgeprägten Ego und welche mit einem kleineren. Aber dass es jemandem wirklich egal ist, das habe ich selten erlebt. Eine Viertelstunde neben Horst Seehofer zu stehen und sich abfällig behandeln zu lassen und anschließend trotzdem weiterzumachen, das ist bemerkenswert. Oder Donald Trump, der ihr nicht die Hand gibt. Sie ist total befreit von jeder Eitelkeit.
Sie gilt durchaus als machtbewusst.
Barley: Ja, aber nicht aus Eitelkeit. Was ich sagen will: Angela Merkel ist absolut untypisch für die CDU und deren Umgang mit Frauen. Wie man dort mit Annegret Kramp-Karrenbauer umgegangen ist oder mit der Frage nach der Frauen-Quote ist viel eher bezeichnend. Angela Merkel ist auch ein bisschen ein Feigenblatt für die CDU, hinter dem sich die Partei verstecken kann.
Kennen sich von der gemeinsamen Zusammenarbeit: Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und die ehemalige Familien- und später Justizministerin Katarina Barley.Bild: www.imago-images.de / bEmmanuele Contini
Trotzdem bleibt die Frage, warum die SPD nie eine Kanzlerkandidatin hatte. Der "Stern" hatte Sie einmal vorgeschlagen, Frau Barley.
Barley: Wirklich?
Ja. 2017.
Barley: Ich lese nicht alles, was über mich geschrieben wird. Das kann ich dir im Übrigen auch empfehlen, Verena.
"Es ist auch die Frage, wie du in so einen großen Laden wie eine Partei reinkommst."
Verena Hubertz
Frau Hubertz, haben Sie Vorbilder in der Politik, an denen Sie sich orientieren?
Hubertz: Katarina Barley, Malu Dreyer. Es gibt viele empathische, sympathische und bodenständige SPD-Politikerinnen hier in Rheinland-Pfalz. Ich werde von Katarina und Malu sehr unterstützt. Es ist schon so, wie Katarina es sagt, das sind eben andere Politikertypen als ein Sigmar Gabriel. Ich bin stolz darauf, dass es hier so nah und persönlich ist.
Das klingt nach viel Dankbarkeit.
Hubertz: Ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich 2017 direkt beim Wahlkampf, damals noch als Gründerin eines Start-ups, mit dabei sein durfte. Als Katarina Generalsekretärin der SPD war, hat sie mich zu einem Netzwerktreffen der Frauen in der SPD eingeladen. Das war wirklich prägend für mich. Es ist auch die Frage, wie du in so einen großen Laden wie eine Partei reinkommst.
Barley: Deswegen ist Verena die ideale Bundestagskandidatin.
Verena Hubertz lacht.
Barley: Nein, im Ernst! Zum einen, weil du da als junge Unternehmerin wirklich frischen Wind reinbringst und zum anderen wegen deines Blickes von außen. Das ist auch der Grund, warum du damals ins Willy-Brandt-Haus eingeladen wurdest – und damit ja auch einen Blick von innen bekamst.
Hubertz: Irgendwann war ich dann immer öfter dabei.
Barley: Ja, weil du eine junge, weibliche und digitale Perspektive mitbringst. Außerdem bist du erfolgreiche Gründerin im Start-up-Bereich. Du hast den Vorteil, sehr frisch auf diese ganzen Strukturen zu schauen und eine Außenansicht des Bundestags einzunehmen. Auf der anderen Seite kennst du all diese Leute schon und weißt, wen du anrufen musst, um politische Projekte voranzubringen. Das ist in der Politik mit das wichtigste. Diese Kombination haben nur wenige Menschen.
Frauen-Netzwerk: Katarina Barley (l.) hat Verena Hubertz animiert, sich politisch zu engagieren.Bild: Frank Martini / Martini Media
"Wenn man etwas ändern will, dann gibt es nun einmal den Maschinenraum der Politik, den Bundestag."
Verena Hubertz
Frau Hubertz, heißt das, Sie sind in die Politik hineingerutscht?
Hubertz: Jein. Es war schon so, dass ich immer wieder gefragt wurde.
Barley: Auch von mir (lacht). Hubertz: Von Katarina und auch von anderen Menschen. Aber ich habe immer wieder gesagt: "Leute, ich mach’ doch Kitchen Stories." Politik stand zu dem Zeitpunkt einfach nie so wirklich zur Debatte.
Irgendwann wohl schon.
Hubertz: Hier sind zwei Prozesse zusammengekommen: Unser Start-up Kitchen Stories kam gerade in eine Wachstumsphase. Und in dieser eher operativeren "Management"-Phase habe ich mich nicht so gesehen. Für mich war es spannender, etwas Neues auszuprobieren. Und mir war klar, dass es in Deutschland Probleme gibt.
Welcher Art?
Hubertz: Dass wir gerade dabei sind, die Zukunft zu verpennen und wenn man daran etwas ändern will, dann gibt es nun einmal den Maschinenraum der Politik, den Bundestag. Dann ist Katarina nach Brüssel gegangen und der Bundestagswahlkreis für die SPD wurde frei. Das war ein "Window of Opportunity".
Normalweise rückt dann derjenige nach, der lange genug Plakate im Ortsverein der SPD geklebt hat, heißt es…
Hubertz: Hier war das ein sehr offener und transparenter Prozess. Jeder konnte sich bewerben. Und für mich war klar: Politik macht man dort, wo man herkommt. Und dann auch ganz oder gar nicht. Ich wollte 130 Prozent geben, egal ob es nun klappt oder nicht. Es gab und gibt für mich keinen Plan B. Wenn ich jetzt im September nicht im Bundestag sitze, dann müssen wir schauen, wie es weitergeht.
Sie glauben, es klappt nicht?
Hubertz: Natürlich klappt das!
Bis auf wenige Ausnahmen gewann bisher immer die CDU den Wahlkreis in Trier, in dem Sie jetzt antreten.
Barley: Zweimal hat die SPD das Direktmandat gewonnen, zuletzt 2002.
Unterschiedliche Lebenswege: Katarina Barley (l.) war vor ihrer politischen Karriere Richterin. Verena Hubertz hat ein Start-up gegründet.Bild: Frank Martini / Martini Media
"Bleib’ wirklich du selbst und lass dir von niemandem einreden, dich so und so zu präsentieren oder etwas so zu machen, wenn du das nicht bist."
Katarina Barley
Sie sind hier auch zweimal angetreten, aber konnten nie das Direktmandat holen, auch wenn es beim letzten Mal, 2017, wirklich knapp war.
Barley: Das war sehr knapp. Da spielt auch immer die Stärke der Partei eine Rolle und wie stark sie in der Region verwurzelt ist. Die Stadt Trier ist studentisch geprägt, aber der Landkreis ist ziemlich schwarz. Es gab hier noch nie einen sozialdemokratischen Verbandsbürgermeister. Es ist hier schon eine Sensation, wenn die Freien Wähler einen Bürgermeister stellen und nicht die CDU. Das hängt hier auch nicht immer von der Qualität der Person ab, die kandidiert.
Trotzdem: Hat Verena Hubertz bessere Chancen als Sie?
Barley: Verena hat den Vorteil, dass Angela Merkel nicht mehr antritt. Und dass sie hier im Landkreis geboren ist.
Hubertz: Das ist mir wichtig: Politik dort zu machen, wo ich aufgewachsen bin und geprägt wurde.
Barley: Es ist auch interessant, dass ihre Mutter Gemeindereferentin war. Sie ist auf den Pfarrfesten groß geworden. Sie kennt die Dörfer hier. Hier werden zum Beispiel Feuerwehrautos eingesegnet. Wenn man von woanders herkommt, ist das erst einmal eine neue Erfahrung, sie ist damit aufgewachsen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Verena auch im Landkreis gute Chancen hat, viele Stimmen zu holen.
Was raten Sie ihr, um die Wahl zu gewinnen?
Barley: Ich glaube, Verena macht das wundervoll. Einen Rat, den ich jedem gebe, der in die Politik geht, ist: Bleib’ wirklich du selbst und lass dir von niemandem einreden, dich so und so zu präsentieren oder etwas so zu machen, wenn du das nicht bist. Das klingt banaler, als es ist. Aber die Menschen durchschauen das sofort.
"Diese Coaching-Frau hat mir dann gesagt, dass ich so und so reden soll und so und so schauen."
Katarina Barley
Wie haben Sie das gelernt?
Barley: Als ich Generalsekretärin wurde, habe ich mir einmal so ein Coaching angetan. Das ging damals Schlag auf Schlag. Ich war gerade erst in den Bundestag gewählt worden und schon in einer wichtigen Führungsposition gelandet.
Und dann gab es kritisches Feedback?
Barley: Die Coaching-Frau hat mir dann gesagt, dass ich so und so reden soll und so und so schauen. Das war überhaupt nicht mein Ding. Ich saß dann in den Talkshows – (zu Verena Hubertz) Talkshows sind sowieso eine besondere Herausforderung – und war ganz steif und konzentriert darauf, alle Ratschläge zu berücksichtigen. Ich kann im Nachhinein nur sagen: "Mach’ das nicht. Sei so, wie du bist."
Hubertz: Ich kenne das noch vom Gründen. Wenn man dann zum ersten Mal in so einem Meeting mit Vorstandsvorsitzenden sitzt, denkt man, man muss ganz anders sein. Das Gleiche beim Vorsprechen vor der Partei. Das hilft aber überhaupt nicht weiter. Es ist wirklich wichtig, dass man bei sich bleibt und dass es auch Menschen gibt, die einem das spiegeln. Barley: Es ist eine riesige Gefahr, dass man sich mit Menschen umgibt, die immer nur "Ja" sagen. Aber die Gefahr sehe ich bei dir nicht.
"Es ist zum Beispiel oft die Frage, warum Jens Spahn Gesundheitsminister ist, der ja eigentlich Bankkaufmann gelernt hat."
Katarina Barley
Sie haben einmal erklärt, Sie seien die Universalwaffe der SPD und als Außenministerin, aber auch als Familienministerin und Arbeitsministerin einsetzbar. Das gab einen ordentlichen Shitstorm. War das ein Fehler?
Barley: Das hat damals hohe Wellen geschlagen. Dabei war das bloß beim politischen Aschermittwoch hier in Trier. Ich hatte in kurzer Zeit sehr viele verantwortungsvolle Ämter übernommen. Nachdem Andrea Nahles Fraktionsvorsitzende wurde, habe ich kommissarisch neben dem Familien- auch das Arbeitsministerium geführt. Auf diese offenkundig vielfältige Einsetzbarkeit bezog sich meine damalige Aussage. Ich meinte und meine das gar nicht despektierlich, sondern das bildete damals einfach auch die Realität ab. Auch danach kamen immer wieder neue Anfragen für ganz verschiedene Funktionen.
Warum haben Sie die nicht angenommen?
Barley: Justizministerin war einfach sehr passend für mich. Da stand mein Name drauf. Ich war zuvor Richterin und am Bundesverfassungsgericht tätig. Da lag es nahe, dass ich Justizministerin werde.
Trotzdem hat ihre scherzhafte Bemerkung ja einen wahren Kern. Gerade erst ist Franziska Giffey zurückgetreten und jetzt übernimmt Justizministerin Christine Lambrecht zusätzlich das Familienministerium. Es entsteht ein wenig der Eindruck, dass die Vergabe der Ministerien beliebig erfolgt.
Barley: Das verstehe ich, diese Kritik kommt auch nicht nur in der aktuellen Situation kurz vor der Bundestagswahl. Es ist zum Beispiel oft die Frage, warum Jens Spahn Gesundheitsminister ist, der ja eigentlich Bankkaufmann gelernt hat. Nun ist das Leiten von Ministerien eine politische Führungsfunktion. Spitzenpolitikerinnen und Politiker sind es gewohnt, sich in neue Themen einzuarbeiten. Aber was zählt, ist auch eine gewisse Management-Fähigkeit. Deshalb würde ich auch nicht Spahns Ausbildung kritisieren, sondern sein Management in der Corona-Pandemie. Christine Lambrecht war erste parlamentarische Geschäftsführerin, eine Frau mit einem Radar über alles, die war auch zuvor thematisch überall drin. Die kann das auch. Vor allem muss man als Ministerin aber auch politisches Handwerk verstehen und führen können. Es ist nicht nur die fachliche Qualifikation, die da entscheidet.
Katarina Barley mit der zurückgetretenen Familienministerin Franziska Giffey (r.).Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
"Die Kollegin war wahrscheinlich keine dreißig Jahre alt und hatte den Mut, sowas zu fordern."
Katarina Barley
Haben Sie thematische Schwerpunkte in der Politik?
Hubertz: Ja, klar. Finanzen und Wirtschaft sind natürlich meine Präferenzen, weil ich da eben auch herkomme. Mal schauen, ob das dann auch mit den entsprechenden Ausschüssen klappt.
Barley: Ich erinnere mich dran, als ich ganz neu im Bundestag war und es um die Verteilung der Ausschüsse ging. Da darf sich dann jeder für drei bewerben. Ich habe mich damals für den Europa-Ausschuss beworben und den dann auch bekommen. Da war eine junge Kollegin, die auf mich sehr stark wirkte. Die stand auf und erklärte, sie wolle in den Finanzausschuss und NUR in den Finanzausschuss. Ich stand da und war ganz erstaunt. Die Kollegin war wahrscheinlich keine dreißig Jahre alt und hatte den Mut, sowas zu fordern. Sie hat sich später dann auch noch einen offenen Schlagabtausch mit Sigmar Gabriel geliefert. Ich, die ich so harmoniebedürftig bin, dachte, "Oha, mal sehen, was aus der noch wird." Hubertz: Und?
Barley: Sie hat den Finanzausschuss bekommen und ist immer noch dabei.
"Da hat es angefangen, dass der Kompromiss einen immer negativeren Touch bekommen hat."
Katarina Barley
Damit das mit der Wahl der Ausschüsse klappt, muss Verena Hubertz erst einmal in den Bundestag kommen. Die aktuell eher dürftige Lage der SPD in den Umfragen ist gerade nicht besonders hoffnungsvoll.
Barley: Sie meinen die nicht so ermutigenden Prozentzahlen (lacht).
Als Sie Generalsekretärin waren, mussten sie 2017 mit 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl das historisch schlechteste Ergebnis der SPD rechtfertigen und ordentlich Kritik einstecken. Heute wäre man über solche Werten froh. Warum geht es bei der SPD immer weiter abwärts?
Barley: Das muss man natürlich alles im Kontext sehen. Wir hatten auch schon im Zuge der Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 gesehen, dass die Volksparteien, die in sich verschiedene Positionen vereinen, Stimmen verloren haben. Einfach, weil die Debatte immer zugespitzter geführt wurde. Parteien wie die Grünen, die – etwas vereinfacht – "Flüchtlinge rein" gesagt haben oder wie die AfD, die "Flüchtlinge raus" geschrien hat, haben in der Zeit profitiert. Da hat es angefangen, dass der Kompromiss einen immer negativeren Touch bekommen hat.
Passt der Begriff "Volkspartei" denn noch zur SPD?
Barley: Natürlich. Wir sind die größte Partei in Deutschland mit über 400.000 Mitgliedern, wir stellen die meisten Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Die SPD ist aber vor allem deshalb eine Volkspartei – auch wenn uns das viele absprechen wollen –, weil wir die gesamte Bandbreite der Bevölkerung widerspiegeln und bei uns vom Paketboten bis zur Managerin alle vertreten sind. Das bedeutet auch eine Vielfalt an Meinungen und entsprechende interne Diskussion. Aber das ist im Moment nicht der dominierende Zeitgeist.
Grüner Zeitgeist? Katarina Barley (r.) und Verena Hubertz sind der Meinung, dass es leicht ist, aus der Opposition heraus die Regierungsarbeit zu kritisieren.Bild: Frank Martini / Martini Media
"Wir haben gute Ideen, und wenn man gestalten will, ist es keine gute Zeit zu sagen: 'Wir steigen ab in die zweite Liga'."
Verena Hubertz
Was ist denn der aktuelle Zeitgeist?
Barley: Wir sehen beispielsweise bei der Klimapolitik, dass es gerade en Vogue ist, immer noch mehr zu fordern, ohne zu schauen, ob das auch sozial gerecht ist und wie es umzusetzen ist. Ich kann auch immer mehr fordern, so wie die Grünen es tun.
Hubertz: Aus der Opposition heraus ist das einfach. Barley: Exakt so ist es. Da wo sie regieren, liefern sie dann aber nicht.
Sie sehen also bei der SPD selbst keine Verantwortung für die schlechten Umfragewerte?
Barley: Doch. Wir profitieren nicht von unserer guten Regierungsarbeit und daran sind wir selbst schuld. Wir haben ein massives Image-Problem. Es haben sich Erzählungen über die SPD festgesetzt und aus denen kommen wir sehr, sehr schlecht raus. Vielleicht helfen solche Kandidatinnen wie Verena dabei, diese Vorurteile aufzubrechen.
Als Wahlkampf noch persönlich und direkt ging: Kanzlerkandidat Olaf Scholz beim Wahlkampf für die Europawahl 2019 mit SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley (r.).Bild: www.imago-images.de / bFlorian Gaertner/photothek.net
Sollte die SPD sich in der Opposition erneuern, wie es so oft gefordert wurde?
Hubertz: Wir haben gute Ideen, und wenn man gestalten will, ist es keine gute Zeit zu sagen: "Wir steigen ab in die zweite Liga". Wir haben mit Olaf Scholz einen super Kanzlerkandidaten und ein sehr gutes Zukunftsprogramm. Wir brauchen aber auch frische Köpfe dazu. Deshalb ist es mein erklärtes Ziel, in den Bundestag zu kommen. Was dann nach der Wahl passiert, müssen wir sehen. Aber alles außer GroKo bitte. (lacht)
Robert Habeck (Grüne) im Porträt: Ehefrau, Kinder, Gehalt und Kanzler-Ambitionen
Robert Habeck ist wohl eine der einprägsamsten Figuren der Politiklandschaft Deutschlands. Seit Dezember 2021 ist er Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Vizekanzler der Bundesrepublik. Als Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen hat er sich einen Namen als pragmatischer und kommunikationsstarker Politiker gemacht.