Nicht mehr nur "Armins, Friedrichs und Norberts": Das halten 30 junge Politikerinnen vom paritätischen Bundeskabinett
Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz hat sein Wahlversprechen eingehalten und das Bundeskabinett paritätisch besetzt – zählt man ihn selbst nicht mit. Das bedeutet, dass acht der Ministerien von Frauen und acht von Männern geleitet werden.
Auch bei den Staatsministerinnen und -sekretären ist das Verhältnis insgesamt ausgeglichen: 19 Frauen und 18 Männer sind auf dieser Ebene vorgesehen. Weiterhin gehören der Bundesregierung noch jeweils 27 Frauen und Männer an.
Watson hat junge Politikerinnen gefragt, was sie von der neuen Parität halten und was sie sich vom nun anbrechenden "Jahrzehnt der Gleichberechtigung", wie es im Koalitionsvertrag heißt, erhoffen.
SPD
Jessica Rosenthal (29 Jahre)
- Jessica Rosenthal ist glücklich über die Parität im Kabinett des neuen SPD-Bundeskanzlers. "Olaf Scholz hat bewiesen, dass wir mit diesem Kabinett gleichstellungspolitisch im 21. Jahrhundert angekommen sind. Das ist gut und richtig so", sagt die Chefin der SPD-Jugendorganisation, der Jusos.
Gleichzeitig bleibe aber auf dem Weg hin zu "echter Gleichstellung" noch viel zu tun.
"Noch immer sind Frauen in Führungsebenen unterrepräsentiert – sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft", erklärt Rosenthal gegenüber watson. Es sei sie Aufgabe der neuen Regierung, diese Ungleichheit zu bekämpfen. Doch Rosenthal ist optimistisch: "Im Koalitionsvertrag sehe ich dazu bereits viele gute Punkte, etwa eine gleiche Bezahlung von Männern und Frauen, die Bekämpfung von frauenfeindlichem Hass und eine paritätische Repräsentanz im Parlament."
Jetzt müssten diese Punkte auch umgesetzt werden, "und ich bin zuversichtlich, dass uns das in der neuen Koalition ohne die Blockadepolitik der Union gelingen wird“.
Verena Hubertz (34 Jahre)
- Für die 34 Jahre alte SPD-Politikerin Verena Hubertz kommt die Parität im Bundeskabinett zu spät. "Es ist 2021 und Parität sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit und keine berichtenswerte Nachricht mehr sein", erklärt sie gegenüber watson. Allerdings freut sie sich über den Vorstoß der neuen Bundesregierung.
Sie schreibt:
In der Koalition mit der Union, in der die SPD von 2009 bis 2021 an der Regierung beteiligt war, seien einige Neuerungen nicht möglich gewesen. Hubertz nennt Beispiele: "Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht durch die Abschaffung von Paragraf 219a bei Schwangerschaftsabbrüchen, bauen die Gleichstellungsstrategie des Bundes aus, und ganz wichtig: Wir ermöglichen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie über die Erweiterung der Brückenteilzeit."
Lina Seitzl (32 Jahre)
- "Es ist gut, dass die neue Bundesregierung paritätisch besetzt ist. Besonders wichtig finde ich, dass wir in den Ressorts Verteidigung, Inneres und Außenpolitik drei erfahrene und profilierte Ministerinnen haben", schreibt Lina Seitzel auf watson-Anfrage.
Gerade diesen drei Ressorts würden gern "männliche" Attribute zugeschrieben. Dass bisher sogar noch nie eine Frau im Innen- und im Außenministerium an der Spitze war, hebt Seitzl noch einmal hervor.
Und sie sagt:
Insgesamt sei die SPD-Fraktion jünger, diverser und weiblicher geworden. In den vergangenen Jahren habe die SPD zudem "gegen massive Widerstände der Union einiges erreicht". Damit meint Seitzl etwa die paritätische Besetzung von Aufsichtsratsmandaten in großen Unternehmen.
Gerade als junger Politikerin sei ihr Parität im Parlament besonders wichtig "und ich bin froh, dass unser Koalitionsvertrag eine Expertenkommission vorsieht, um die rechtlichen Bedingungen für eine verbindliche Frauenquote im Bundestag zu prüfen".
Natalie Pawlik (29 Jahre)
- Auch Natalie Pawlik ist glücklich mit der gleichgestellten Besetzung der Ministerinnen und Minister in Olaf Scholz' Bundeskabinett. "Olaf Scholz zeigt damit, dass Gleichstellung für ihn keine hohle Phrase ist", schreibt sie auf Anfrage von watson. Sie ergänzt: "Er setzt sie direkt in reale Politik um."
Das neue Kabinett spiegle den Geist der Zeit wider und passe damit gut zu den vielen emanzipatorischen Projekten, die Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden hätten.
Pawlik schreibt:
Auch Pawlik nennt die Streichung von Paragraf 219a im Strafgesetzbuch als Beispiel, der die Information über Abtreibungsangebote bisher unter Strafe stellt. Zusätzlich relevant seien "die 1:1 Umsetzung der Istanbul-Konvention, der Ausbau der ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie des Bundes, die tiefergehende Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine Stärkung der Brückenteilzeit, den Ausbau des Entgelttransparenzgesetzes mit einer Prozessstandschaft sowie die Reform der Familienbesteuerung".
Carmen Wegge (32 Jahre)
- Carmen Wegge ist eigenen Angaben zufolge stolz auf das paritätische Kabinett."Wir als Sozialdemokratie kämpfen seit jeher für die Gleichberechtigung der Geschlechter, denn es ist klar: Frauen gehört nicht nur der halbe Kuchen, sondern die halbe Gesellschaft und damit auch die halbe Welt", schreibt sie auf watson-Anfrage.
Dass Frauen auch mindestens die Hälfte der Macht zustehe, sei an dieser Stelle selbstredend. Wegge schreibt:
Dass Frauen jetzt erst schrittweise in vermeintlich männerdominierte Ressorts und Politikfeldern eingebunden würden, offenbare sehr deutlich, dass man bis heute noch viel große Steine vor sich habe. "Parität in der Bundesregierung ist ein erster Schritt", schreibt die 32-Jährige.
Männer hätten Macht nicht allein für sich gebucht: "Nicht in der Gesellschaft und auch nicht in der Politik", schreibt Wegge. "Wir als Frauen werden nun die Ärmel hochkrempeln und weiter für Geschlechtergerechtigkeit kämpfen müssen, denn nur von Lippenbekenntnissen allein wird sie nicht kommen."
Josephine Ortleb (35 Jahre)
- Dass die SPD sieben Ministerinnen und Minister paritätisch stellt, macht auch die 35-jährige Josephine Ortleb stolz. "Wir zeigen damit: Eine moderne, kompetente und fortschrittliche Regierung geht nur mit Geschlechterparität", erklärt sie gegenüber watson.
Und Ortlebt schreibt weiter:
Als stärkste Fraktion im Bundestag habe die SPD mit Bärbel Bas als Bundestagspräsidentin ein weiteres deutliches Zeichen gesetzt. "Jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln, denn klar ist auch: Damit wir Geschlechtergerechtigkeit in diesem Jahrzehnt in allen Lebensbereichen erreichen, gibt es noch viel zu verändern."
Nadja Sthamer (31 Jahre)
- "Frauen sind die Hälfte der Bevölkerung. Daher ist es für mich nur folgerichtig, dass im neuen Kabinett gleich viele Ministerinnen und Minister vertreten sind", sagt Nadja Sthamer. Die 31-Jährige sitzt seit der Wahl 2021 für die SPD im Deutschen Bundestag.
Laut Sthamer ist Parität etwas, das sich Frauen "leider immer noch an zu vielen Stellen hart erkämpfen müssen". Umso wichtiger sei es, dass die neue Regierung mit diesem Signal vorangeht.
Mit dem Satz "Die Gleichstellung von Frauen und Männern muss in diesem Jahrzehnt erreicht werden" beschreibt die Koalition das Ziel und mit den konkreten Maßnahmen den Weg dorthin.
Ye-One Rhie (34 Jahre)
- Für Ye-One Rhie bedeutet Parität neben Fortschritt auch gleichzeitig Kompetenz. Sie schreibt auf watson-Anfrage: "Es wird deutlich: Eine moderne, kompetente und fortschrittliche Regierung lässt sich nur mit einer Geschlechterparität besetzen!"
Auch über die Liste der Staatsministerinnen und parlamentarischen Staatssektretäre freue sich Rhie sehr. "Es steht ein diverses und fachlich sehr geeignetes Team bereit, welches die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen angehen wird", schreibt sie.
Und für die junge Politikerin hat das paritätische Kabinett einen weiteren Vorteil: eine Vorbildfunktion. Sie schreibt:
In den kommenden Jahren stehe viel an, schreibt Rhie. Man wolle die absolute Gleichstellung aller Geschlechter im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Vom Mindestlohn von 12 Euro würden insbesondere Frauen profitieren.
Und: "Mit einem Entgelttransparenzgesetz mit einer Prozessstandschaft müssen wir jetzt stärker dafür kämpfen, dass die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen geschlossen wird. Die Rückkehroptionen in Vollzeit soll zudem gestärkt werden.
Dass künftig in allen politischen Entscheidungen, der Gleichstellungsaspekt stärker miteinbezogen werden soll, sei ein wichtiger Schritt und eine gute Entscheidung der neuen SPD-geführten Regierung.
Isabel Mackensen-Geis (35 Jahre)
- "Olaf Scholz hat sein Versprechen gehalten, dass er das Kabinett paritätisch besetzen möchte", schreibt Isabel Mackensen-Geis. Die 35-Jährige betont dazu, dass neben den vier Ministerinnen auch die Bundestagspräsidentin und ihre SPD-Stellvertreterinnen weiblich sind.
"Zwei starke Frauen", schreibt die SPD-Politikerin. Das sei ein klares Zeichen und zeige, wofür die SPD schon immer schon gestanden habe: "Für Gleichberechtigung und soziale Politik."
Auch, dass die Gleichberechtigung im Koalitionsvertrag festgehalten wurde, betont Mackensen-Geis. Dennoch müsse weiterhin klar sein: "Wahre Gleichberechtigung können wir nicht nur durch politische Entscheidungen und Gesetze erreichen. Wahre Gleichberechtigung fängt im Kleinen an und jede:r Bürger:in kann dazu etwas beitragen."
Isabel Cademartori (33 Jahre)
- Für Isabel Cademartori sollte ein paritätisch besetztes Kabinett eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, schreibt sie auf watson-Anfrage. Deshalb findet sie es umso erfreulicher, dass gerade Ressort, die nicht zu den "klassisches Frauen-Ressorts" gehörten, von Frauen geführt würden.
Cademartori meint damit die Ministerien für Inneres, Bauen und Wohnen, Verteidigung und Auswärtiges. "Das ist zum einen ein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft und zeigt zum anderen, wie viele kompetente Frauen es schon heute in allen Feldern der Politik gibt", schreibt die 33-Jährige.
"Jetzt gilt es, diesen Schwung mitzunehmen und auch langfristig für mehr Macht für Frauen auf allen Ebenen zu sorgen."
Sanae Abdi (35 Jahre)
- „Die Gleichstellung der Geschlechter war und ist schon immer ein Herzensthema für mich", erklärt Sanae Abdi gegenüber watson.
Und Abdi schreibt weiter:
Besonders freue sie sich, dass mit Nancy Faeser die erste Bundesinnenministerin überhaupt und mit Christine Lambrecht die erste sozialdemokratische Verteidigungsministerin ins Amt komme.
Auch über die SPD-Besetzung im Bundestagspräsidium freut sich die 35-Jährige. Sie schreibt: "Als stärkste Fraktion im Bundestag haben wir mit Bärbel Bas als Bundestagspräsidentin ein weiteres deutliches Zeichen gesetzt."
Doch auch für sie ist klar: "Es gibt noch viel zu tun, wenn wir unsere Gesellschaft in ihrer Vielfalt im Parlament abbilden wollen. Parität alleine reicht noch nicht.“
Maja Wallstein (35 Jahre)
- Auch Maja Wallstein ist stolz auf das paritätisch besetzte Kabinett, die Rollen der Ministerinnen Faeser und Lambrecht sowie das SPD-Bundestagspräsidium. "Das hat Signalwirkung", schreibt sie.
"Jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln, denn klar ist auch; damit wir Geschlechtergerechtigkeit in diesem Jahrzehnt in allen Lebensbereichen erreichen, gibt es noch viel zu verändern." Der Koalitionsvertrag habe schon einige Ziele festgelegt, die insbesondere Frauen, aber auch Familien als Ganzes zugutekommen.
Wallstein schreibt:
Das nächste Ziel sei die Parität im Bundestag und in den Landesparlamenten. Wallstein geht davon aus, dass auch das nur noch eine Frage der Zeit ist.
CDU
Christina Stumpp (34 Jahre)
- "Bereits im letzten Bundeskabinett von Angela Merkel waren sieben der insgesamt sechzehn Mitglieder weiblich", schreibt die CDU-Politikerin Christina Stumpp, die unter dem designierten neuen CDU-Chef Friedrich Merz stellvertretende Generalsekretärin werden soll. Parität hat es laut ihr also schon vorher gegeben. Dass die SPD-geführte Bundesregierung diese nun fortsetzt, sei nur zu begrüßen.
Parität ermutige Frauen, sich in der Politik mehr zu engagieren. Mit Blick auf die kommenden zehn Jahre werde sich die Ampel-Regierung an ihren Taten messen lassen müssen, sagt die Politikerin, die seit der Bundestagswahl 2021 mit ihrer Partei in der Opposition sitzt.
Stumpp schreibt außerdem:
Das sei im Berufsleben so und sollte auch in der Politik so sein. "Sich einzig auf die Einführung starrer Quoten zu konzentrieren, sehe ich eher kritisch."
Ronja Kemmer (32 Jahre)
- "Ich begrüße es, dass das Bundeskabinett zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt ist", schreibt auch Ronja Kemmer. Die CDU-Politikerin sagt zudem, dass mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel bereits ein "starkes Signal" gesetzt wurde.
"Daher ist es nur zeitgemäß, das Kabinett paritätisch aufzustellen, auch Armin Laschet hatte dies vor", schreibt Kemmer.
Mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2026 habe die Große Koalition unter CDU-Führung bereits eine entscheidende Weichenstellung für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und somit für mehr Gleichberechtigung vorgenommen.
"Wir werden die Umsetzung durch die neue Regierung – gerade was die Qualität der Angebote betrifft – konstruktiv und kritisch begleiten."
Catarina dos Santos Firnhaber (27 Jahre)
- Eigentlich möchte die junge CDU-Politikerin Catarina dos Santos Firnhaber über die Besetzung des Bundeskabinetts nicht urteilen. Das stehe ihr als Mitglied der CDU nicht zu. "Grundsätzlich unterstütze ich das politische Engagement von Frauen sehr und setze mich dafür ein", schreibt sie jedoch auf watson-Anfrage.
Sie unterstütze in der Folge auch eine entsprechende Besetzung von Regierungspositionen.
Aber sie schreibt auch:
Caroline Lünenschloss (28 Jahre)
- "Ich halte die paritätische Besetzung des Kabinetts für ein wichtiges Signal. Wir brauchen in Deutschland mehr Frauen in hohen Ämtern, damit sich auch andere Frauen mehr zutrauen", schreibt die Wuppertaler Kommunalpolitikerin Caroline Lünenschloss auf watson-Anfrage.
Die 28-Jährige halte es auch für ein gutes Zeichen, dass Frauen nicht nur in "typisch weiblichen" Bereichen Verantwortung übernehmen, sondern auch beispielsweise Nancy Faeser jetzt die neue Innenministerin ist.
Sie schreibt:
Lünenschloss nennt auch ein Beispiel "Die Erweiterung des Entgelttransparenzgesetzes soll Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darin bestärken, ihre Rechte durchzusetzen und legt dabei die Verantwortung eben auf die Beschäftigten und nicht auf die Arbeitgeber und die Politik."
Wichtige Punkte wie eine gleichberechtigte Elternschaft, die mit der gleichen Länge an Elternzeit einhergehe, würden nicht berücksichtigt. Gerade an diesem Punkt würde die Lohn- und Rentenungleichheit stark beeinflusst.
Die angekündigte Abschaffung des Ehegattensplittings sei hingegen wichtig, "es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich das real auf die Familieneinkommen auswirkt. Im Zweifel müssen Familien dann anders entlastet werden."
Elena Hilgers (24 Jahre)
- Die paritätische Besetzung des Scholz-Kabinetts sei ein schönes Symbol für die kommende Regierungszeit, schreibt Elena Hilgers aus Wetzlar auf watson-Anfrage. Doch sie schreibt auch: "Allerdings darf das Erfüllen von Quoten und Kriterien nicht dazu führen, dass die eigentliche Befähigung für das jeweilige Amt dahinter zurücksteht."
Leistung und Eignung seien die wichtigsten Kriterien, erklärt sie. Das Geschlecht dürfe dabei keine Rolle spielen. "Bis dieses Ziel jedoch erreicht ist und damit zwischen Frauen und Männern allein anhand ihrer Kompetenz gewählt wird, bedarf es ein Augenmerk auf die Berücksichtigung von Frauen zu richten."
Hilgers ist der Auffassung, dass der Kampf für Gleichberechtigung früher beginnen muss. Sie schreibt:
Zudem müssten die Ursachen der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bekämpft werden. Dabei geht es der 24-Jährigen nicht nur um "gleichen Lohn für gleiche Arbeit". Meist seien es noch junge Mütter, die sich nach der Geburt ihres Kindes eine berufliche Auszeit nähmen, später in Teilzeit arbeiteten und dadurch bei Beförderungen zurückstehen müssten. "Dabei bedarf es gerade in Führungspositionen mehr Frauen", meint Hilgers.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Schließung Gender-Datenlücke, also der unterrepräsentierten Datenerhebungen für Frauen. Die hatte die Ampel-Koalition bereits angekündigt. Und dies sei dringend nötig. Etwa, weil bestimmte medizinische Diagnosen, Medikamente und Produkte wie Airbags überwiegend auf den männlichen Körper zugeschnitten seien.
Die Grünen
Misbah Khan (32 Jahre)
- "Ich bin froh, dass wir ein Bundeskabinett haben, in dem starke Frauen eine tragende Rolle spielen werden", sagt Misbah Khan. Sie bezeichnet die paritätische Verteilung der Ministerien als selbstverständlich im Jahr 2021.
Dies dürfe nicht als Fortschritt, sondern eher als "erwartbare Norm" angesehen werden. Bei den Grünen gebe es bereits einen Frauenanteil von 59 Prozent in der Fraktion.
Khan sagt:
Merle Spellerberg (25 Jahre)
- "Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus, entsprechend steht uns auch die Hälfte der Macht zu. Wir sind jetzt Teil einer Regierungskoalition, die diesen Wert nach außen trägt. Gerade die Bündnisgrünen haben einen großen Anteil daran geleistet." Spellerberg erhofft sich von der neuen Regierung, dass sie Rassismus, Queerfeindlichkeit und Klassismus entgegenwirke.
Spellerberg sagt:
Denise Loop (27 Jahre)
- "Der Anteil an Frauen im Kabinett ist so hoch wie noch nie. Gerade die Grünen haben einen großen Anteil daran, denn wir entsenden mehr Frauen als Männer in die neue Regierung." Loop bewertet außerdem die "Repräsentanz von Ost und West" positiv. Weiter fordert sie die Umsetzung der Istanbul Konventionen auch im Kontext digitaler Gewalt.
Sabine Grützmacher (35 Jahre)
- "1989 bekamen unsere Fußball-Frauen ein Kaffee-Service. Seitdem hat sich sicher Einiges getan, aber über 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts verdienen wir noch immer rund 18 Prozent weniger." Grützmacher fordert für das Gleichstellungsjahrzehnt effektive Maßnahmen, Repräsentation und Konsens.
Sie kritisiert, dass sich immer mehr Unternehmen in die Gesellschaftsform einer SE, also einer europäischen Aktiengesellschaft, "flüchten" würden, um einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat zu umgehen. In Deutschland wurde das Gesetz zu einer 30-prozentigen Frauenquote in Aufsichtsräten 2015 beschlossen und 2016 eingeführt.
Für die Zukunft wünsche sie sich, "mit 45 scharf überlegen zu müssen, wann wir das letzte Mal eine Frauenquote gebraucht haben." Der Koalitionsvertrag stelle dafür die Weichen.
Kathrin Henneberger (34 Jahre)
- Henneberger bewertet das paritätische Kabinett als "begrüßenswert und längst überfällig". Die Gleichstellung aller Geschlechter sei ein Grundelement einer tatsächlichen Demokratie. Auch gebe es immer noch zu wenige Frauen an Entscheidungstischen. Besonders im Hinblick auf Klimafragen gebe es das traurige Sprichwort: "Wie wichtiger ein Gremium, je wichtiger eine Sitzung, desto weniger Frauen und vor allem weniger Frauen aus den am stärksten betroffenen Regionen."
Beim "Jahrzehnt der Gleichstellung" ist Henneberger jedoch optimistisch. Es soll in Zukunft einen Gleichstellungs-Check künftiger Gesetze und die finanzielle und inhaltliche Stärkung der Akteurinnen der Gleichstellungspolitik geben. Weiter führt Henneberger aus, dass Diversität durch mehr Diversität geschaffen werde. Sie ist sich sicher:
Melis Sekmen (28 Jahre)
- Aus Sicht von Sekmen sind Institutionen und Entscheidungsgremien ein Spiegel der Gesellschaft. Von daher sei die paritätische Besetzung des Bundeskabinetts "ein wichtiges Signal dafür, dass die Beiträge und Lebenserfahrungen aller Teile der Gesellschaft gesehen und wertgeschätzt werden".
Andererseits, so betont Sekmen, sei es doch bemerkenswert, dass ein paritätisches Bundeskabinett im Jahr 2021 noch etwas Besonderes sei.
Der Koalitionsvertrag sei jedoch ein guter Anfang. Sekmen sagt:
Jamila Schäfer (28 Jahre)
- Auch Jamila Schäfer zeigt sich erfreut darüber, dass das neue Kabinett paritätisch besetzt ist. Weiterhin lobt sie: "Mit unseren Ministerinnen und Ministern bilden wir auch die Biografien in Ostdeutschland und von Menschen mit Migrationsgeschichte ab."
Aus Schäfers Sicht ist auch die Wahl der neuen Familienministerin – Grünenpolitikerin Anne Spiegel – ein Schritt in die richtige Richtung, da diese sich bereits seit Jahren für den Kampf gegen Gewalt an Frauen einsetze.
Sie ist davon überzeugt, dass die neue Bundesregierung die Gleichstellungspolitik gerade inhaltlich voranbringen wird. Als Beispiele nennt sie den Vorsatz der Koalitionäre, Grundlagen zu schaffen, um das Versprechen "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" einzulösen. Auch der Gleichstellungscheck – der künftige Gesetze auf Geschlechtergerechtigkeit überprüfen soll – sei ein guter Vorstoß.
Schäfer sagt:
Insgesamt nenne der Koalitionsvertrag gute Instrumente, um dieses Jahrzehnt zu einem Gleichstellungsjahrzehnt zu machen.
Schahina Gambir (30 Jahre)
- "Erstmals überhaupt gibt es ein zumindest fast geschlechterparitätisches Bundeskabinett – zählt man Olaf Scholz als Bundeskanzler nicht mit", schreibt Schahina Gambir auf watson-Anfrage. Die 30-Jährige findet vor allem die weibliche Besetzung des Außen und des Innenministeriums "großartig".
Gleichzeitig sollte die Gleichbehandlung der Geschlechter eigentlich Normalität sein, findet sie. Die Grünen hätten als erste Partei bereits in den 1980er Jahren die Geschlechterparität eingeführt. "Was die Gleichstellung der Geschlechter angeht, waren und sind wir Grüne damit der gesellschaftlichen Entwicklung ein Stück voraus."
Im neu gewählten Bundestag betrage der Anteil der Frauen weniger als 35 Prozent, obwohl sie die Hälfte der Gesellschaft ausmachten. Das zeige:
Insgesamt brauche es verschiedenwe Maßnahmen, um Missstände wie den Gender-Pay-Gap und den Gender-Data-Gap zu beheben und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erreichen.
Zoe Mayer (26 Jahre)
- Die weiblichste und die jüngste Fraktion: Dass die Grünen damit zweimal Vorreiter innerhalb der Bundestagsfaraktionen sind, hebt die junge Politikerin Zoe Mayer hervor. "Der Anteil an Frauen in dem Kabinett ist so hoch wie noch nie. Bei uns in der Fraktion liegt der Frauenanteil bei 59,3 Prozent", führt sie aus.
Das seien tolle Zahlen, mit einem starken Signal für Gleichberechtigung und ebenso für Repräsentanz von Ost und West und Vielfalt. Für Mayer ist das Kabinett-Scholz "ein starkes Kabinett, in dem sich die Kompetenz bündelt für die großen Aufgaben, vor denen wir stehen und die großen Projekte und Ziele, die wir uns vorgenommen haben".
Sie schreibt:
Und das seien nur zwei Punkte eines Koalitionsvertrags mit klarem Fokus auf Gleichberechtigung.
Deborah Düring (27 Jahre)
- "Dass die neue Bundesregierung zum ersten Mal fast paritätisch besetzt ist, sollte im Jahr 2021 keine große Neuigkeit, sondern schon längst Normalität sein", findet Deborah Düring. Trotzdem freue sie sich sehr, "dass mit Annalena Baerbock, Anne Spiegel und Steffi Lemke drei erfahrene, grüne Politikerinnen Ministerinnen werden".
Der Koalitionsvertrag trage im Bereich der Gleichstellungspolitik eine ganz klare grüne Handschrift, so die 27-Jährige.
Und sie sagt weiter:
Auch international hätten die Grünen Großes vor: "Mit einem Gender-Aktionsplan in der Entwicklungszusammenarbeit wollen wir gezielt die Rechte, die Repräsentanz und die Ressourcen von Frauen, Mädchen und anderen marginalisierten Gruppen stärken." Setze man all die Vorhaben konsequent um, komme man so dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit einen Schritt näher.
Paula Piechotta (35 Jahre)
- Dass die Regierungsbank jetzt "nahezu paritätisch" besetzt ist, ist für die Grünen-Politikerin Paula Piechotta überfällig. Die 35-Jährige schreibt gegenüber watson: "Wir sorgen damit lediglich dafür, dass auch die Bundesregierung endlich auf der Höhe der Zeit ankommt."
Im Koalitionsvertrag schreibe man, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern in diesem Jahrzehnt erreicht werden müsse, so Piechotta weiter.
Und sie fügt an:
Chantal Kopf (26 Jahre)
- "Das neue Kabinett ist paritätisch besetzt. Es gibt also genau so viele Ministerinnen wie Minister und das ist gut. Aber man muss auch fragen: was denn auch sonst?" So kommentiert die 26-jährige Chantal Kopf das neue Bundeskabinett unter SPD-Kanzler Olaf Scholz.
"Die Zeiten, in denen Armins, Friedrichs und Norberts dachten, sie könnten politische Macht beanspruchen, ohne Frauen zu berücksichtigen, sind jetzt zum Glück vorbei", schreibt sie weiter.
Trotzdem sei das neue Kabinett ein starkes Signal für Gleichstellung, für Repräsentanz von Ost und West und für Vielfalt. "Und wir Grünen haben einen großen Anteil daran."
Wichtig sei, dass man die kommenden Jahre nutze, um Frauen nicht nur politisch, sondern auch in allen anderen Bereichen "gleichzustellen", etwa beim Thema Entgeltgleichheit, bei der Besetzung von Führungspositionen in der Wirtschaft oder mit der Stärkung der Selbstbestimmung über den eigenen Körper durch Streichung des Paragrafen 219a.
Marlene Schönberger (31 Jahre)
- "Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben wir ein annähernd paritätisches Bundeskabinett. Ich sage annähernd, weil mit Olaf Scholz als Kanzler eingerechnet neun Männer acht Frauen gegenüberstehen - trotzdem ist erstmal ein großer und wichtiger Schritt!" Das ist das Urteil der 31 Jahre alten Grünen-Politikerin Marlene Schönberger.
Der politische und gesellschaftliche Kampf um Gleichstellung sei damit allerdings noch lange nicht damit abgeschlossen.
Sie schreibt:
Eine echte Gleichstellung der Geschlechter erfordere Maßnahmen in vielen verschiedenen Bereichen: "Wir werden den Gender-Pay-Gap schließen und die Familienbesteuerung reformieren, damit Frauen ökonomisch gestärkt werden." Außerdem stehe der Schutz vor Gewalt auf dem Plan: "Wir werden Frauen und Mädchen stärker vor Gewalt schützen und die Finanzierung für Zufluchtsräume wie Frauenhäuser stärken."
Die Abschaffung des Paragrafen 219a freut Schönberger ganz besonders.
"Insgesamt sehe ich in den Vorhaben den dringend nötigen Aufbruch in der Gleichstellungspolitik verwirklicht."
FDP
Ria Schröder (29 Jahre)
- Für die FDP-Bundestagsabgeordnete Ria Schröder ist es vor allem zentral, dass die Ministerinnen und Minister die für das Amt erforderlich Eignung hätten. Abgesehen davon sei Schröder aber wichtig, daran zu arbeiten, dass die bestehenden Hürden für Frauen aus dem Weg geräumt würden. Als Beispiele nennt sie gegenüber watson:
Ansonsten sieht sie auch in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst noch Änderungsbedarf. Sie wünsche sich dort mehr Frauen in Führungspositionen und findet: "Dafür ist unser Koalitionsvertrag eine gute Grundlage, diese Chance müssen und werden wir nutzen."
Die Linke
Heidi Reichinnek (33 Jahre)
- Linken-Abgeordnete Reichinnek meint mit Blick auf das paritätisch besetzte Kabinett, als frauenpolitische Sprecherin der Fraktion begrüße sie diese "Ankunft in der Realität".
Von der neuen Regierung erwarte sie außerdem "nichts, was über kosmetische Änderungen hinausgeht." Weiter führt die 33-Jährige aus: "Perverse Vermögen bleiben unangetastet, da hat sich die FDP durchgesetzt. Menschen in prekärer Beschäftigung – überdurchschnittlich häufig Frauen – werden auch mit den geplanten Mindestlohnerhöhungen in Altersarmut landen."
Carearbeit bliebe im Gros weiter unbezahlt. Als Beispiel hierfür nennt sie die Subventionierung von Haushaltshilfen, welche Hubertus Heil veranlasst hatte und bezeichnet dies als "staatliches 'Shop dir 'ne Putzfrau'-Angebot für Menschen aus der oberen Mittelschicht."
Zum "Jahrzehnt der Gleichstellung zieht sie folgendes Fazit:
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