Die Corona-Krise flacht in den Köpfen der Menschen immer mehr ab, andere Themen nehmen wieder mehr Sendezeit ein. Bei "Maybrit Illner" geht es am Donnerstagabend um ein ganz wichtiges Thema – Kindesmissbrauch. Die bekannten Fälle häufen sich in Deutschland, zu nennen sind zum Beispiel Lügde, Bergisch Gladbach oder Münster. Es sind unfassbare Taten, die da aufgedeckt werden.
Sonja Howard ist zu Gast. Sie sitzt im "Betroffenenrat des unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs auf Bundesebene" und wurde selbst als Kind missbraucht – 15 Jahre lang von ihrem Stiefvater. Der kam dann mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren davon. Für Howard ein "Freispruch".
Moderatorin Illner ist die Vorsicht bei dem Thema anzumerken, als Howard von ihrer Leidenszeit erzählt. Die betont, dass Missbrauch oft sehr perfide abläuft und häufig von Kindern als "normal" empfunden wird, weil Eltern oder Vertrauenspersonen ihnen diese "Normalität" vorleben.
Klare Worte findet Herbert Reul. Der NRW-Innenminister ist per Video zugeschaltet und betont immer wieder, wie zentral das Thema Kindesmissbrauch für ihn und sein Ministerium sei.
Auf Dialoge habe er dabei aber keine Lust mehr, er wolle Entscheidungen. Auf die Frage der Moderatorin, ob man schon früher mehr gegen Kindesmissbrauch hätte tun müssen, seufzt Reul: "Frau Illner, ich glaube ja, aber ich habe einfach keine Lust mehr, mich an solchen Debatten zu beteiligen, was man hätte machen sollen."
Was folgt, ist ein flammender Appell. Er betont, dass NRW "keinen Millimeter" mehr zurückgehen und weiter in die Aufklärung von Missbrauchsfällen investieren würde. Er wünsche sich härtere Strafen für die Täter. Und er ist sich auch nicht zu schade der Familienministerin, Franziska Giffey (SPD), ins Wort zu fallen und noch einmal zu betonen, wie sehr er Entscheidungen haben will und wie wenig Lust er auf weitere "Dialoge" hat.
Anfangen könnte man zum Beispiel mit der Einstufung von Missbrauch als Verbrechen. Denn bislang ist es nur ein Vergehen, auch wenn Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) angekündigt hat, diesen Status ändern zu wollen. Doch es gibt viele weitere Probleme. Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, nennt gleich mehrere.
Er spielt auf ITler, Forensiker und andere Fachkräfte dran, die in Deutschland seiner Aussage nach an vielen Stellen einfach fehlen.
Auch Datenschutz ist ihm ein wichtiges Anliegen. Oder besser gesagt: Weniger Datenschutz. Zum Beispiel, dass Ärzte miteinander über Verdachtsfälle von Kindesmissbrauch sprechen dürfen, oder dass Vorstrafen leichter zugänglich sind. Er spricht von einem "pervertierten Datenschutz", der die Ermittlungen immer wieder behindern würde. Die Zahlen erschrecken: Im Jahr 2019 hätten die Behörden über 12.000 Fälle von Kinderpornografie bearbeitet, viele Tausend könnten dabei aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht weiterverfolgt werden.
Neben Expertise und Datenschutz, sind auch fehlende Anlaufstellen ein Problem, sagt Julia von Weiler, Diplom-Psychologin. Es gebe ein paar Angebote für Erwachsene, die sich ihrer Neigung zu Kindern bewusst sind und die auch einigermaßen angenommen werden würden. Doch die würden dann hauptsächlich bei Männern ankommen. Frauen als Täterinnen seien nochmal ein ganz anderes Thema.
Frauen missbrauchen laut von Weiler im Unterschied zur landläufigen Meinung häufig sehr aggressiv und gehen dabei sehr brutal vor. Sie fordert in diesem Bereich mehr Aufklärung, es gebe zu viele "blinde Flecken", auch in der Justiz.
Die Sendung endet ziemlich abrupt, vor allem, weil es noch so viel zu besprechen gäbe. Eine Stunde reicht da lange nicht, es braucht noch viel mehr Arbeit, um in Zukunft Fälle wie Münster oder Lügde vielleicht verhindern, oder zumindest schnell und vollständig aufklären zu können.