
Der Bundestag hat neue Straftatbestände eingeführt.Bild: dpa / Christoph Soeder
Deutschland
03.07.2020, 07:4411.06.2024, 16:33
Gerade in Menschenmengen kommt es vor, dass mit dem Handy unter den
Rock fotografiert wird - und möglicherweise massenhaft intimste Fotos
ungewollt im Internet landen. Für Betroffene ein Alptraum. Upskirting
wird ab jetzt härter bestraft. Kann das das Problem lösen?
Wer mit einem Rock in einer vollen Bahn steht, der
muss fürchten, dass womöglich jemand ungewollt eine Kamera darunter
hält, ein Foto schießt und es verbreitet.
- Wer sogenanntes Upskirting betreibt, macht sich aber in Zukunft strafbar.
- Der Bundestag beschloss am frühen Freitagmorgen ein Gesetz, das eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe vorsieht.
- Gelten soll es voraussichtlich ab dem Herbst.
"Einer Frau unter den Rock oder in den Ausschnitt zu fotografieren, ist eine schamlose Verletzung ihrer Intimsphäre"
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD)
Solche
Grenzüberschreitungen seien nicht hinnehmbar, sagt Justizministerin Christine Lambrecht. Die Fotos verletzten
nicht nur die Persönlichkeitsrechte, sondern auch die sexuelle
Selbstbestimmung.
Bisher nur geringe Geldstrafen
Der rechtspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Johannes Fechner,
sagt: "Die Opfer solcher Fotoattacken werden oft überrascht oder
bekommen gar nicht mit, dass sie fotografiert wurden. Deshalb ist es
nicht möglich, sich gegen das Fotografieren des Intimbereiches zu
schützen und somit zu verhindern, dass intimste Bilder massenhaft im
Internet verbreitet werden." Bislang wurde das Upskirting nur als
Ordnungswidrigkeit mit geringen Geldbußen geahndet, was Täter kaum
abgehalten habe.
"Deshalb schließen wir hier eine wichtige Strafbarkeitslücke und verschärfen das Strafrecht an dieser Stelle."
Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD
Jan-Marco Luczak, der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion,
sagt, das heimliche Fotografieren greife leider immer mehr um sich.
"Wir steuern als Gesetzgeber jetzt entschlossen dagegen." Die
Übergriffe seien für die Opfer demütigend, verletzend und oft
verbunden mit weitreichenden psychischen Folgen.
Lob für neues Gesetz
Vor allem in großen Menschenmengen finde Upskirting statt, sagt Nils
Pickert von der feministischen Organisation Pinkstinks – in Bus und
Bahn, auf Festivals, in Clubs und Bars. "Es gibt Leute, die verteilen
winzige Kameras auf öffentlichen Toiletten, um damit Frauen
abzufilmen." Die Fotos seien oft für den persönlichen Gebrauch – würden aber auch häufig mit Bekannten oder im Internet geteilt.
Neben dem Upskirting sei auch das sogenannte Downblousing weit
verbreitet, sagt Pickert – das heimliche Fotografieren in den
Ausschnitt. "Zum Beispiel, wenn ich Ihnen auf einer gegenläufigen
Rolltreppe entgegenkomme, so tue, als würde ich auf meinem Handy
etwas lesen, in Wahrheit aber Ihre Brust fotografiere oder filme."
Hanna Seidel freut sich über das neue Gesetz. Es sei wichtig zu zeigen, dass
nicht erst bei Berührungen in die sexuelle Selbstbestimmung
eingegriffen werde.
"Das ist ein ganz großes Symbol für Justiz, Politik und Gesellschaft. Die Symbolkraft sollte nicht unterschätzt werden."
Hanna Seidel
Die 29-Jährige aus Ludwigsburg bei Stuttgart
hatte zusammen mit Ida Marie Sassenberg aus München mit der Petition
"Verbietet Upskirting in Deutschland!" die Debatte über das Thema in
Gang gebracht. Mehr als 100.000 Unterzeichner schlossen sich an.
Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und das Saarland
nahmen sich des Themas an und starteten eine Gesetzesinitiative im
Bundesrat. Seidel sagt, das Gesetz löse nicht gänzlich das
Problem:
"In der Gesellschaft muss noch viel passieren. Aber es ist ein richtiger und sehr wichtiger Schritt."
Hanna Seidel
Das findet Pickert auch. Das Fotografieren von insbesondere Frauen im
öffentlichen Raum gegen ihren Willen sei kein Kavaliersdelikt: "Es
ist übergriffig, es ist eine Form von sexualisierter Gewalt und so
sollte man damit auch umgehen."
Zwar sei grundsätzlich immer die Frage, ob Strafen Menschen davon
abhielten, etwas zu tun. "Wir müssen leider davon ausgehen, dass es
Upskirting und Downblousing immer noch geben wird." Das Gesetz aber
sei richtig: Sexualisierte Gewalt müsse als Thema ernst genommen
werden und genau das müsse sich auch im Strafmaß widerspiegeln, sagt
Pickert.
Kritik: Hat nur Symbolcharakter
Die Essener Rechtsanwältin Jenny Lederer sieht das Gesetz hingegen
kritisch. "Es gibt keine validen Zahlen, wie häufig dieses Problem
vorkommt. Deshalb hat das Gesetz aus meiner Sicht nur
Symbolcharakter." Natürlich sei es unangemessen und ungehörig,
heimlich fotografiert zu werden und die Gesellschaft müsse
sensibilisiert werden, sagt die Fachanwältin für Strafrecht. Ein
einzelnes Phänomen aber zielgerichtet als Straftatbestand
auszugestalten, sei problematisch:
"Strafrecht muss wirklich das letzte Mittel sein, um auf etwas Unerwünschtes zu reagieren. Das ist wirklich ein scharfes Schwert, um mit dem Problem umzugehen."
Jenny Lederer, Rechtsanwältin
Lederers Meinung nach hätte es ausgereicht, Upskirting weiter als
Ordnungswidrigkeit zu führen – die mit einer Geldbuße geahndet werden
kann. "Es ist aus meiner Sicht der falsche Weg, darauf mit Strafrecht
zu reagieren." Auch ob die härteren Strafen abschreckend wirken, sei
fraglich, meint Lederer und sieht große Beweisprobleme. "Aus meiner
Sicht ist das Problem nicht gelöst."
Nicht nur, wer heimlich intime Fotos von Frauen macht, wird künftig
härter bestraft – ebenso, wer tote Unfallopfer fotografiert. Wer
schwer verletzte Unfallopfer oder gar Tote aus reiner Sensationsgier
fotografiert, verletze jeden menschlichen Anstand, sagt Ministerin
Lambrecht. "Oft werden dabei auch noch Rettungskräfte behindert, die
alles tun, um Leben zu retten." Bislang ist das Fotografieren von
Toten nicht strafbar. "Diese Lücke schließen wir jetzt. Den
Angehörigen müssen wir das zusätzliche Leid ersparen, dass Bilder
ihrer verstorbenen Eltern oder Kinder auch noch verbreitet werden."
(om/dpa)