Seit den Recherchen von "Correctiv" gehen in Deutschland hunderttausende Menschen gegen rechts auf die Straßen.Bild: imago images / /Markus van Offern
Gastbeitrag
In ihrem Gastbeitrag entkräften die SPD-Abgeordnete Isabel Cademartori und der frühere Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) fünf Argumentationsmuster der AfD.
08.02.2024, 20:2609.02.2024, 16:03
Isabel Cademartori und Peter Kurz
Das Jahr 2024 beginnt mit erschütternden "Correctiv"-Enthüllungen über den "Geheimplan gegen Deutschland", in welchem AfD-Politiker, Neonazi-Ideologen und Geldgeber bei einem Treffen in Potsdam die Deportation von Millionen von Menschen aus Deutschland planen.
Die Pläne umfassten Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und "nicht assimilierte" Staatsbürger. Ein Vorgang, der – ganz abgesehen von der Wahl des Ortes wenige Kilometer vom Haus der Wannseekonferenz – bewusst Bezüge zum dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte nimmt. Die Enthüllungen haben viele Menschen in Deutschland aufgerüttelt. Die dritte Woche in Folge gehen Hunderttausende Menschen auf die Straße, um ein Zeichen für unsere Demokratie zu setzen.
Die Gastautor:innen Isabel Cademartori und Peter Kurz.
Deutschlandweit brechen sowohl kleine als auch große Städte Demonstrationsrekorde. Diese starke Reaktion der Zivilgesellschaft ist erfreulich und notwendig, um dem rechten Narrativ, sie seien die "Stimme des Volkes" etwas entgegenzusetzen. Nun scheinen die Dimension und Radikalität der Angriffe auf Demokratie und Rechtsstaat deutlich geworden zu sein. Wie nie zuvor wird in der Bundesrepublik mit Fake News Stimmung gemacht.
Erst kürzlich konnte das Auswärtige Amt aufdecken, dass über 50.000 deutschsprachige Fake-Accounts auf X, ehemals Twitter, aus Russland gesteuert, Stimmung gegen die Regierung machen. Dem wollen sich viele sichtbar entgegenstellen.
Auch wenn die von den "Correctiv"-Recherchen ausgelösten Demonstrationen bei manchen AfD-Wählern Wirkung zeigen: die AfD hat einen stabilen Kern von Anhängern. Das zeigt das äußerst knappe Wahlergebnis der Thüringer Landratswahl inmitten der Protestwelle. Soll der Angriff auf Demokratie und Rechtsstaat eingedämmt werden, müssen sich alle, die für unsere Demokratie einstehen, argumentativ für die Auseinandersetzung mit all den Argumentationsmustern wappnen, die es den Rechten schon viel zu lange leicht machen.
AfD: "Demokratisch gewählt" und unfair behandelt? Nein, meinen die Autoren
Fünf Diskussions- und Verhaltensmuster sind dabei besonders präsent:
- "Die Demonstrationen sind einseitig, sie müssten sich auch gegen Linksextremisten und andere wenden".
Der Rechtsextremismus ist die aktuell größte Gefährdung der Demokratie. Dies ist nicht allein das Empfinden jener, die auf die Straße gehen, sondern eine Feststellung der verschiedenen Verfassungsschutz-Ämter und der Politikwissenschaft. Sie ist besonders begründet durch eine hohe Zustimmung zu der in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem und ansonsten als Verdachtsfall eingestuften AfD. Das Argumentationsmuster ist nichts anderes als eine Relativierung und der damit einhergehenden Verneinung der aktuellen Gefahr. Sie vermeidet die klare Positionierung zur AfD.
- "Die AfD ist eine demokratisch gewählte Partei."
Dies ist eine absichtsvolle oder von massiver Unkenntnis geprägte Gleichstellung von "demokratisch" und "demokratisch gewählt". Das zynische Amüsement der Nationalsozialisten, dass die Demokratie die Mittel zu ihrer Beseitigung geliefert hat, hallte den Müttern und Vätern unseres Grundgesetzes noch in den Ohren.
Die Bezeichnungen für Thüringens AfD-Chef Björn Höcke waren schon mehrfach Inhalt von Gerichtsprozessen,Bild: imago images / Bildgehege
Deshalb versteht sich die Bundesrepublik als wehrhafte Demokratie: nie wieder sollte Unrecht durch Mehrheit legitimiert werden können, nie wieder Mehrheiten für Anti-Demokraten zugelassen werden. Die Möglichkeiten, die das Grundgesetz bietet, demokratiefeindliche Parteien zu verbieten, sind gerade für den Fall einer ernsthaften Bedrohung durch mehrheitsfähige und dennoch demokratiefeindliche Politik geschaffen worden. Deshalb ist es nicht nur legitim, die Debatte über ein AfD Verbot zu führen.
Es wäre geradezu arrogant und geschichtsvergessen diese Möglichkeiten zum Schutz unserer Demokratie, die aus Erfahrung mit dem Nationalsozialismus im Grundgesetz vorgesehen sind, von vornherein auszuschließen. Und stattdessen allein auf die politische Auseinandersetzung mit rechten Kräften zu setzen.
Dies unterschätzt das Gefahrenpotenzial massiv: Etwa eine gesichert rechtsextreme AfD in Thüringen, die Macht über Sicherheitsbehörden, Besetzung von Gerichten, Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien und weitere Bereiche bekommen würde. Später erfolgende Maßnahmen würden vor Ort gar nicht mehr vollzogen. Die Staats- und Verfassungskrise wäre da.
- "Wir müssen die Protest-Wähler zurückholen."
Diese Rhetorik verstellt den Blick, dass sich über die letzten Jahre alle, die ein weitgehend geschlossen rechtsextremes Weltbild haben, bei der AfD als Anhänger gefunden haben. Ebenso viele deutlich rechts des demokratischen Spektrums stehende. Sie sind "Stammwähler" gegen das "System" geworden. Keine inhaltliche Angleichung, kein gezeigtes "Verständnis" wird sie kurzfristig zurückholen. Erreichbar sind nur die, die die Demokratie nicht verlieren wollen. Hier hilft nur Aufklärung und klare Positionierung. Daran hat es gemangelt.
In den drei Ostbundesländern, in denen 2024 gewählt wird liegt die AfD in Umfragen auf Platz 1.Bild: imago images / BeckerBredel
Die ständige Radikalisierung der Partei hätte ansonsten nicht mit steigenden Umfragen einhergehen können. Wir sollten Anhängern ein "das darf man nicht so ernst nehmen" nicht durchgehen lassen. Es ist die aktuelle Variante von "das haben wir nicht gewusst".
Schon im Januar 2019 veröffentlichte netzpoltik.org das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur damaligen Einstufung der AfD als Prüffall: Fünf Jahre später ist das Bild noch viel klarer. Es ist notwendig, eine realistische Einschätzung darüber zuhaben, wie wenige potenzielle Wählerinnen und Wähler der Rechtsextremen für demokratische Parteien rückholbar sind.
Nur eine klare Abgrenzung nach rechts – die Grenzen zwischen Demokraten und Rechtsextremen nicht verwischen lässt – kann das Ausgreifen der AfD über die schon erworbene Stammwählerschaft eindämmen.
- "Menschen mit anderen Meinungen werden ausgegrenzt."
Die fundamentale Abgrenzung von Demokraten gegenüber rechtspopulistischen Bewegungen ist nicht in Meinungen begründet. Die Infragestellung von Menschenrechten, Menschenwürde und des Gleichheitsgrundsatzes sind keine "Meinungen", sondern Angriffe auf die Verfassung. Vor allem aber sind es die fundamentalen Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat, die niemand infrage stellen darf, der ernsthaft am demokratischen Diskurs teilnehmen will.
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Die Prinzipien:
- Glaubwürdige und klare Abgrenzung gegenüber Gewalt gegen Andersdenkende
- Anerkennung von Wahlen und rechtsstaatlichen Verfahren und ihren Ergebnissen
- zweifelsfreie Haltung, dass Macht auch wieder abgegeben wird.
Dass wir darüber überhaupt sprechen müssen, ist erschreckend. Die schleichende Akzeptanz und Relativierung von offener und latenter Drohung mit Gewalt hat in der öffentlichen Diskussion bislang ein viel zu geringes Gewicht.
- "Mit besserer Politik hätten wir das Problem nicht."
Keine Frage, die demokratischen Systeme stehen unter Druck und wir erleben fundamentale Krisen. Dennoch: es gibt einen eigenständigen Angriff von rechts auf die Demokratie, der weltweit zu beobachten ist. Dieser Angriff hat längst Krisen verschärft oder erst erzeugt.
Erst jetzt beginnen wir aber, uns mit diesem Angriff, seinen Motiven und seinen Unterstützern auseinanderzusetzen. Immer noch richtet sich die erste Frage nicht an diejenigen, die Demokratie beseitigen wollen, sondern an die Demokraten: "Was haben Sie falsch gemacht?"
Union und Ampel schieben sich gegenseitig die Schuld am Erstarken der AfD zu.Bild: imago images / photothek/ Thomas Trutschel
Die Demokraten untereinander müssen aufhören, sich wechselseitig als Verursacher des Rechtspopulismus darzustellen. Sie erleichtern nur das Geschäft derer, die Demokratie beseitigen wollen. Demokraten müssen gemeinsam daran arbeiten, die Demokratie als Staatsform unabhängig von aktuellen politischen Mehrheiten zu stärken statt zu schwächen.
Der Wettbewerb der Ideen darf nicht nur rhetorisch beschworen werden. Er muss stattfinden. Eine Rhetorik, die das Vertrauen in den demokratischen Staat beschädigt, schadet allen Demokraten.