
... Schwangerschaftsabbrüche weiter zu kriminalisieren.Bild: imago images / Ardan Fuessmann
Meinung
Die Debatte um reproduktive Rechte ist auch innerhalb der Koalition noch nicht auserzählt. Politiker:innen streiten sich um die Deutungshoheit über den Koalitionsvertrag. Dabei zeigt die Union, dass sie eigentlich überhaupt keine Ahnung hat, wovon sie spricht.
11.08.2025, 20:2611.08.2025, 20:26
Mit der Causa Frauke Brosius-Gersdorf hat die Union die Koalition mit der SPD vor der Sommerpause in eine Krise katapultiert.
Es war, das muss man noch einmal betonen, abscheulich, wie die Union eine renommierte Verfassungsrechtlerin vorgeführt hat. Weil deren differenzierte juristische Einschätzung zu Schwangerschaftsabbrüchen die konservativen Ansichten der Union ankratzen. Brosius-Gersdorf hat ihre Kandidatur inzwischen zurückgezogen; fraglich, wie die SPD ihrem Koalitionspartner das verzeihen will.
Doch es zeichnet sich ab, dass die Koalitionskrise erst am Anfang ist. Das Reizthema Schwangerschaftsabbrüche: Es ist zurück! Politiker:innen fetzen sich abseits der Sitzungszeit um die Deutung des Koalitionsvertrags, der Änderungen vage ankündigt:
"Für Frauen in Konfliktsituationen wollen wir den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen. Wir erweitern dabei die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus."
Die SPD-Politikerin Carmen Wegge liest daraus, dass Abbrüche zu einer Kassenleistung gemacht und damit in der Frühphase der Schwangerschaft legalisiert werden sollen. Denn Krankenkassen würden nur für rechtmäßige Eingriffe die Kosten übernehmen (Das stimmt!).
Die Union sieht das anders. Wie sollte es auch anders sein, Rechte von Frauen und queeren Menschen sind nicht gerade Lieblinge der Konservativen; eher Reiche und Konzerne. Dabei geben sie sich nicht mal mehr die Mühe, ihre Haltung gut zu begründen; stattdessen wird mit den altbekannten (und schlechten) Argumenten um sich geworfen. Wie eine Platte, die hängt. Hören wir doch direkt mal rein.
Schwangerschaftsabbruch: Union braucht dringend Nachhilfe
Es sei lediglich gemeint, bedürftige Betroffene finanziell besser zu unterstützen, indem etwa die Einkommensgrenzen erhöht werden. In dem Fall übernimmt schon bisher der Staat die Kosten für Abbrüche nach der Beratungslösung – über die Krankenkasse als Mittelsperson.
Eine Veränderung hinsichtlich Paragraf 218 sei hingegen nicht vereinbart, betont Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker in der "Welt". Das "stünde im klaren Widerspruch zur Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Ungeborenen und zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes".
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: das Schwert, das alle wackeren Kämpfer:innen gegen eine Entkriminalisierung ins Feld führen. Mit diesen Entscheidungen hat sich Winkelmeier-Becker scheinbar wenig befasst – oder sie will die offensichtlichen Widersprüche darin einfach konsequent wegignorieren oder gar unterschlagen.
Da ist sie nicht die Einzige. In der "FAZ" etwa monologisiert die familienpolitische Sprecherin der Union, Anne König, ohne Wissen und Verstand vor sich hin.
Doch um die Debatte über Schwangerschaftsabbrüche korrekt zu führen, muss man sich damit befassen. Setzen, Heft auf, Nachhilfestunde, liebe Union!
Die staatliche Schutzpflicht, von der Winkelmeier-Becker spricht, setzt ein Dreiecks-Verhältnis voraus: der Staat, der sich zwischen eine Person wirft, um eine andere zu schützen. Im Fall einer Schwangerschaft geht das nicht auf. Wie auch? In den ersten Wochen ist der Embryo ohne den Uterus der Schwangeren schlicht nicht überlebensfähig.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Problem zwar selbst erkannt, löst es aber nicht auf. Es hält an der Schutzpflicht fest und stellt das Lebensrecht des Embryos über das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen. Und das führt zu allerhand Widersprüchen.
Das Problem zeigt sich etwa beim Aspekt der Menschenwürdegarantie; das hatte auch Brosius-Gersdorf aufgearbeitet: Die Menschenwürdegarantie ist nicht abwägungsfähig. Wenn man nun annehmen würde, dass diese schon mit dem Einnisten der Eizelle in die Gebärmutter (Nidation) beginnt, könnte ein Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen je rechtmäßig sein.
Das wiederum passt weder zur aktuellen Rechtslage (Abbrüche bei medizinischer und kriminologischer Indikation sind rechtmäßig), noch lässt sich das mit dem Selbstbestimmungsrecht, das selbst zum Teil mit aus der Menschenwürde abgeleitet wird, vereinbaren.
Dieser Konflikt ließe sich auflösen, wenn man annimmt, dass die Menschenwürdegarantie zu einem späteren Zeitpunkt als die Nidation beginnt, wie Brosius-Gersdorf ebenfalls erklärte. Lebens- und Selbstbestimmungsrecht lassen sich dann je nach Zeitpunkt der Schwangerschaft abwägen; in der Frühphase überwiegt klar das Selbstbestimmungsrecht – es gibt keine Gründe, einen Abbruch zu diesem Zeitpunkt dann noch als rechtswidrig zu bewerten.
Es geht nicht um Rechte, sondern um die eigene Agenda
Gegner:innen einer Liberalisierung, egal aus welcher Ecke sie kommen, haben eins gemeinsam: Die rechtlichen Widersprüche sind ihnen völlig egal. Sie verstecken sich hinter der Außenwirkung, die Urteile des Bundesverfassungsgerichts haben. Das Gericht genießt ja auch zurecht ein hohes Ansehen.
Doch man sollte sich nicht täuschen lassen. Es geht ihnen eigentlich gar nicht um das Gericht, sondern darum, ob das, was es entscheidet, mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt. Was passieren kann, wenn die Karlsruher Richter:innen mal entgegen dessen entscheiden könnten, hat die Union bei der Verfassungsrichter:innen-Wahl eindrücklich gezeigt. Ob sie mit ihrem Verhalten das Gericht im Zweifel sogar schädigen, scheint ihnen völlig egal zu sein.
Nina Warken, rücken Sie endlich die Studie raus!
Was das Thema Schwangerschaftsabbrüche angeht, werden alle Register gezogen: Betroffene würden ja gar nicht kriminalisiert, die Versorgungslage sei ja gar nicht so schlecht, und so weiter. Das schreibt CDU-Politikerin König in ihrem "FAZ"-Gastbeitrag. So ein Blödsinn! Natürlich werden Betroffene und Ärzt:innen kriminalisiert! Und das sogar ganz bewusst, sonst würden die Regeln nicht zwischen Mord und Totschlag im Strafgesetzbuch stehen.
Was das für Folgen hat, steht in der Elsa-Studie: Fast die Hälfte der Betroffenen hat einen Abbruch geheim gehalten. Fast ein Drittel der Betroffenen hatte nicht die Möglichkeit, sich die Methode auszusuchen – wir sollten mal überlegen, was los wäre, wenn das bei einem anderen medizinischen Eingriff so wäre.
In 85 von 400 untersuchten Landkreisen war ein:e durchführende:r Ärzt:in nicht unterhalb von 40 Minuten erreichbar. Was passiert, wenn man dieser Entwicklung keinen Einhalt gebietet, lässt sich ganz offen beobachten: Einem Chefarzt des Klinikums Lippstadt werden seit der Fusion vom katholischen Träger medizinisch indizierte Abbrüche untersagt, selbst dann, wenn es schwere Fehlbildungen beim Fötus gibt. Es ist einfach nur absurd.

Nina Warken (CDU): Die Ergebnisse der Elsa-Studie dürften ihr nicht gefallen.Bild: dpa / Katharina Kausche
Das Gesundheitsministerium und Nina Warken sollten die Elsa-Studie endlich herausrücken. Das ist noch immer nicht passiert. Bei jemandem, der moniert, Schwangerschaftsabbrüche dürften nicht zu "etwas Normalem, etwas Alltäglichem" werden (Ein Argument auf dem gleichen bodenlosen Niveau wie die Aussage von Jens Spahn, die Pille danach sei kein "Smartie") verwundert das nicht. Ihr sei gesagt: Wir vergessen die Studie nicht!
Man bekommt das Gefühl, die Union versucht mit aller Macht, sich gegen die gesellschaftlichen Entwicklungen zu stellen. Und zwar ohne, wie wir festgestellt haben, plausible Gründe.
Zu Erinnerung: Mehr als 80 Prozent der Bürger:innen halten die Rechtswidrigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Bundesfamilienministeriums für falsch. Die Union hingegen sträubt sich. In der Causa Brosius-Gersdorf ließ sie sich dafür sogar vor einen rechten Karren spannen. Ausgang für die Koalition: ungewiss. Man kann nur hoffen, dass die SPD die nächste Runde im Koalitionsstreit gewinnt.