Lutz Steinfurth scheint hin- und hergerissen, wie er angemessen auf die Verunsicherung der Menschen in Heinsberg reagieren soll. In der Kreisstadt wurden jüngst die ersten Ansteckungsfälle mit dem Coronavirus gemeldet – nun versucht Steinfurth bei seiner Arbeit in der Easy-Apotheke natürlich, die Kundschaft zu beruhigen.
Panik über das neuartige Virus, das in den allermeisten Fällen ähnlich wie ein harmloser grippaler Infekt verläuft, hält der Apotheker für kontraproduktiv. "Wer nicht unter einem geschwächten Immunsystem leidet, muss sich nicht verstärkt Sorgen machen", sagt er zu watson. Im Gespräch schildern er und weitere Apotheker die aktuelle Lage in Heinsberg und welchen Herausforderungen sich Apotheker gerade stellen.
Heinsberg, ein Ort im Rheinland mit weniger als 50.000 Einwohnern, erlebt gerade große mediale Aufmerksamkeit. Am Donnerstagabend meldete der Kreis 14 neue Fälle von einer Ansteckung mit dem Coronavirus – damit steigt die Anzahl in dieser Region auf 20.
Dementsprechend erlebt Steinfurth in seinem Alltag hautnah, wie beunruhigt die Bevölkerung nun ist. Viele Menschen suchen seine Apotheke auf, um sich zu schützen: "Die Nachfrage nach Desinfektionsmittel ist groß", sagt Steinfurth.
Ähnliches erlebt Heinz Nießen in der St. Gangolfs-Apotheke: Auch hier sei die Nachfrage nach Desinfektionsmittel größer als sonst. "Die kleinen Fläschchen für unterwegs sind gerade ausverkauft und wir erwarten die nächste Lieferung", sagt Nießen gegenüber watson. "Große Flaschen für den Haushalt haben wir allerdings vorrätig."
Um sicherzustellen, dass jeder, der wirklich Desinfektionsmittel benötigt, diese auch erhält, gelten in beiden Apotheken Regeln zum Verkauf der Produkte: Da es schon vorgekommen sei, dass Kunden versuchten, Desinfektionsmittel auf Vorrat zu kaufen, haben Nießen und sein Team beschlossen, pro Person nur zwei Flaschen à 500 Milliliter herauszugeben.
Bei Steinfurth gibt es aktuell eine Flasche pro Person. Daneben versorgt seine Apotheke verstärkt bestimmte Unternehmen oder Pflegedienste – "zum Schutz von Risikogruppen wie älteren Menschen oder solchen mit Immunschwäche und Atemwegserkrankungen."
Engpässe in der Versorgung mit Desinfektionsmittel scheinen den Heinsbergern also vorerst nicht zu drohen. Anders sieht es mit Atemschutzmasken aus, auch danach ist die Nachfrage deutlich gestiegen. Katja Renner, ebenfalls Apothekerin vor Ort, berichtet: "Masken gibt es nur noch vereinzelt." Steinfurth und Nießen bieten in ihren Filialen keine Atemschutzmasken mehr an, beziehungsweise keine desinfizierenden, die die Luft, die man einatmet, filtert.
"Die sind für medizinisches Fachpersonal reserviert, zum Beispiel in Krankenhäusern", sagt Nießen. Zudem seien die Atemschutzmasken für die Zivilbevölkerung momentan nicht notwendig, "sie haben eher einen psychologischen Effekt". Denn normalerweise trägt man die herkömmlichen Atemschutzmasken, die man in der Apotheke erhält, nicht zum Schutz für sich selbst, sondern um andere nicht anzustecken, wenn man erkrankt ist. Vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus würden sie also nicht bewahren.
Sinnvoll sind die Käufe von Produkten wie Desinfektionsmittel oder Atemschutzmasken also nur bedingt, wie die Apotheker aus Heinsberg sagen. Dass Risikogruppen wie ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankungen sich besonders schützen sollten – darüber sind sich alle einig. Das gilt allerdings nicht nur für das Coronavirus, sondern alle grippeartigen Infekte sowie das Influenzavirus, also die echte Grippe.
Wer sich dennoch schützen möchte, sollte beim Desinfektionsmittelkauf darauf achten, dass das Mittel viruzid ist, also wirksam gegen Viren, empfiehlt Nießen. Renner meint zudem, man könne sein Immunsystem versuchen, mithilfe von Vitaminpräparaten und Zink zu stärken – möglich sei das allerdings nur bedingt. Zudem verweist sie auf eine gute Niesetikette.
Atemschutzmasken sind, wie gesagt, in der Regel nicht notwendig. Zudem sei von Hamsterkäufen jeder Art abzuraten. Denn wer auf Vorrat kauft, ohne Teil einer Risikogruppe zu sein, greift möglicherweise wichtige Produkte ab für diejenigen, die sie dringender gebrauchen könnten.
Die meisten Menschen in Heinsberg seien trotz der Meldungen zum Coronavirus allerdings verhältnismäßig gefasst. Renner sagt: "Wir erleben in der Apotheke besorgte, aber keine panisch reagierenden Patienten." Zu tun sei natürlich mehr als sonst.
Einen Grund, in Panik zu verfallen, gibt es also nicht. Steinfurth weist darauf hin, dass die Lage zum Coronavirus im Prinzip nicht neu sei – schließlich gebe es jedes Jahr eine Grippewelle hierzulande, auf die die Apotheken gewappnet sind: "Jedes Jahr sterben über 20.000 Menschen am Influenza-Virus alleine in Deutschland, über 40.000 an krankenhausresistenten Keimen, ohne die Dunkelziffer. Die Gefahr, die vom Coronavirus ausgeht, ist im Vergleich nicht so groß."