Das deutsche Gesundheitssystem hat einen guten Ruf – seit der Coronakrise umso mehr, steht das Land doch verhältnismäßig positiv da, was Infektionen und Todeszahlen angeht.
Dennoch ist das Gesundheitssystem auch als "Zwei-Klassen"-Medizin verschrien, in dem Privatpatienten grundsätzlich eine bessere Behandlung erhalten, als jene, die auf die gesetzlichen Leistungen angewiesen sind.
Privatärzte haben daher nicht gerade den besten Ruf. Allerdings verdienen sie meist weniger als ihre Kassen-Kollegen – warum also sollte sich ein Kassenarzt entscheiden, seine Zulassung aufzugeben und fortan nur noch Privatpatienten und Selbstzahler zu behandeln?
Klaus Güntersberg, Gynäkologe aus Berlin, nannte dem "Business Insider" seinen Grund. Die Bedingungen für seine Arbeit hätten sich über die Jahre immer weiter verschlechtert, die Budget-Vorgaben der Krankenkassen schränkten ihn bei Behandlungen, Laborleistung und Medikamentenverordnung stark ein. "Von Freiberuflichkeit kann keine Rede mehr sein", sagte er.
Dazu sei die elektronische Patientenakte gekommen, die er aus datenschutzrechtlichen Gründen für problematisch hält. Und: Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz der Bundesregierung ist er seit dem letzten Jahr verpflichtet, 25 Sprechstunden in der Woche anzubieten. Zuvor waren das 20.
Alles in allem habe er dadurch mehr als 50 Stunden in der Woche arbeiten müssen, während ihm zwar mehr Honorare gezahlt worden seien – diese aber nicht gereicht hätten, das Mehr an Sprechstunden finanziell auszugleichen, berichtet er dem "Business Insider".
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz zielt darauf ab, "allen gesetzlich Versicherten einen gleichwertigen Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung zu ermöglichen". Wartezeiten sollen dabei verkürzt werden, das Sprechstundenangebot soll erweitert und die Vergütung von Vertragsärzten verbessert werden.
Für den Gynäkologen Güntersberg macht sich das aber offenbar nicht bemerkbar. "Wenn man Kassenarzt ist, lohnt sich Mehrarbeit nicht", sagte er. 50 oder 60 Stunden in der Woche – kaum ein Unterschied in Sachen Bezahlung.
Das Problem liegt in der Art, wie Kassenärzte bezahlt werden. Die Mediziner rechnen am Quartalsende einen Preis mit der Kasse ab, können dabei aber nur auf ein bestimmtes Budget zurückgreifen, das Regelleistungsvolumen. Ist das überschritten, wird die erbrachte Leistung entweder gestaffelt bepreist – oder gar nicht bezahlt.
"Man hat quasi umsonst gearbeitet", sagte Günterberg dem "Business Insider". Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung kommt das bei bis zu 15 Prozent aller erbrachten Leistungen vor.
Dazu kommt, dass die Gebührenordnung, der Leistungskatalog der Kassen, in den letzten Jahren stetig komplizierter geworden und auch für Ärzte mit viel Erfahrung schwierig zu durchschauen ist. "In den 30 Jahren, in denen ich als Kassenarzt gearbeitet habe, ist das System stetig undurchsichtiger und umfangreicher geworden", sagt Günterberg.
Er fände es einfacher und ehrlicher, die Beratungszeit pro Patient zu vergüten – damit er sich wirklich Zeit für Patienten nehmen kann. Als Privatarzt geht das.
(pcl)