In Nordrhein-Westfalen waren zuletzt binnen kurzer Zeit mehrere Babys mit Fehlbildungen an den Händen auf die Welt gekommen. Im Sankt-Marien-Hospital in Gelsenkirchen Buer wurden innerhalb weniger Monate drei Kinder mit solchen Fehlbildungen geboren. Die Klinik nannte dies "auffällig". Ethnische, kulturelle oder soziale Gemeinsamkeiten der Herkunftsfamilien waren nach Angaben der Klinik nicht erkennbar. Alle Familien wohnen demnach im örtlichen Umfeld des Krankenhauses.
"Fehlbildungen dieser Art haben wir viele Jahre lang nicht gesehen", hieß es vergangene Woche in einer Stellungnahme des Krankenhauses zu entsprechenden Medienberichten. "Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein – wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir jetzt diese drei Fälle sehen, auffällig", erklärte die Klinik weiter.
Viele werdende Eltern sind nun verunsichert. Doch was sind mögliche Ursachen für derartige Fehlbildungen? Bei den drei Fällen in Gelsenkirchen ist das bisher unklar, es gibt lediglich Erklärungsansätze und viele, teils wilde Spekulationen bis hin zu Handystrahlung und Pestiziden.
Prof. Dr. med. Wolfgang Henrich, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité Berlin, hält nichts von derartigen Mutmaßungen. Er möchte Zusammenhänge von Fehlbildungen und Strahlung oder Pestiziden ohne Vorlage von verlässlichen Studien nicht kommentieren: "Zu Spekulationen und Vermutungen möchte ich nicht beitragen", sagt er.
Gegenüber watson erklärte Henrich, welche erwiesenen Ursachen Fehlbildungen von Extremitäten haben können.
Fehlbildungen distaler Extremitäten, sprich körperferner Extremitäten wie Hände oder Füße, kommen gehäuft bei schweren, teils mit dem Leben nicht vereinbaren Chromosomenstörungen wie der Trisomie 13 und der Trisomie 18 vor:
Fehlbildungen distaler Extremitäten können auch durch sogenannte Amnion-Abschnürungen vorkommen, erklärt Henrich:
Auch könnten bestimmte Medikamente eine Ursache sein, insbesondere wenn sie in der Frühschwangerschaft eingenommen werden:
Ebenfalls könne mütterlicher, schlecht eingestellter Diabetes eine Ursache für Extremitätenfehlbildungen sein:
Bezüglich Alkohol in der Schwangerschaft warnt Prof. Dr. Henrich: "Null Toleranz. Auch nicht für das oft verharmloste Gläschen Rotwein."
Mit dem Rauchen sieht es ähnlich aus:
Auch das Metall Cadmium könne ein Grund für Fehlbildungen sein.
Cadmium wird unter anderem zur Herstellung korrosionsbeständiger Überzüge oder in der Produktion von Batterien genutzt. Auch dient es als Rostschutz für Eisen oder Stabilisator von Kunstsoffen sowie Farbpigmenten.
Das beste Zeitfenster, um erstmalig besonders schwerwiegende Fehlbildungen auszuschließen, sei mit 13 Schwangerschaftswochen durch eine frühe Ultraschall-Feindiagnostik. Aber es gebe auch Fälle, in denen in diesem sogenannten Ersttrimester-Screening alles okay gewesen sei, es dann aber durch Abschnürungen oder Durchblutungsstörungen doch zu Fehlbildungen distaler Extremitäten gekommen sei, sagt der Experte.
Dass sich aktuell durch die Berichterstattung eine Verunsicherung bei werdenden Eltern auszubreiten scheint, habe er bereits in seiner Sprechstunde erfahren, so Prof. Dr. Henrich: "Die ersten Eltern fragen seit den Meldungen über die Fälle in Gelsenkirchen bei der Ultraschalluntersuchung häufiger nach, ob mit den Extremitäten des Ungeborenen alles in Ordnung ist.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat bereits Aufklärung versprochen und ebenfalls vor Mutmaßungen gewarnt: "Wir nehmen das ernst, wir schauen uns das an", sagte Spahn am Dienstagabend bei einer Veranstaltung des Redaktionsnetzwerks Deutschland in Berlin. Auch andere Ärzte warnten bereits vor Panikmache. Spahn wandte sich außerdem gegen voreilige Schlüsse: "Wir ziehen erst dann Schlussfolgerungen, wenn wir auch etwas wissen." Es gehe nun darum herauszufinden, ob es tatsächlich eine Häufung solcher Fehlbildungen bei Babys gebe.
(mit Material von dpa und afp)