Zwei Krankenschwestern auf einer Intensivstation.Bild: www.imago-images.de / Enric Fontcuberta
Deutschland
17.12.2020, 16:3817.12.2020, 19:19
Brandenburg will wegen eines drohenden
Engpasses in Krankenhäusern in der Corona-Krise andere Länder um
Hilfe bitten. Die Zahl neuer Infektionen liege bei mehr als 1000,
sagte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) am Donnerstag
im Gesundheitsausschuss des Landtages in Potsdam.
"Uns stehen da schwierige Zeiten bevor, weil insbesondere in den
nächsten ein bis zwei Wochen mit einem erheblichen weiteren Ansteigen
zu rechnen ist, was uns an Kapazitätsgrenzen bringen kann." Einige
Landräte im Süden Brandenburgs seien kurz davor, den Katastrophenfall
auszurufen. Nonnemacher hatte zunächst von 1021 Neuerkrankungen
gesprochen, das Ministerium aktualisierte die Angabe später auf 1217 – ein neuer Höchststand.
Die Gesundheitsministerin sieht die Kliniken vor allem in
Südbrandenburg in einer kritischen Lage. "Es gibt inzwischen massive
Notsignale aus den Krankenhäusern im Süden", sagte Nonnemacher, die
selbst als Ärztin gearbeitet hat. Aber: "Triage ist im Moment hier in
Brandenburg kein Thema." Die Betten könnten aber "durchaus extrem
knapp werden". Triage bedeutet, dass Mediziner wegen knapper
Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen.
Berlin um Hilfe gebeten
Die Ministerin bat Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci
(SPD), 50 Covid-19-Patienten aus Brandenburg im Notkrankenhaus am
Messegelände zu übernehmen, die nicht auf einer Intensivstation
versorgt werden müssten. Der Eröffnungstermin sei aber wegen der
Personalfrage offen.
Berlin zeigte sich bereit: "Ich bin mit Gesundheitsministerin
Ursula Nonnenmacher im Gespräch", sagte Kalayci der "Berliner
Morgenpost". "Es geht um Patienten auf
Normalstationen, besonders auch um Covid-Patienten. (...) Wir haben
in Berlin rund 2300 Betten auf Normalstationen frei." Diese Lösung
kommt aber aus Sicht der Berliner Gesundheitsverwaltung nicht
infrage, solange noch genug Platz in regulären Krankenhäusern ist.
Brandenburg will nach Angaben der Gesundheitsministerin den
sogenannten Kleeblatt-Fall ausrufen, mit dem ein Land bestimmte
Nachbarländer für die Aufnahme von Patienten um Hilfe bitten kann.
"Im Moment käme ein Ausweichen nach Sachsen-Anhalt ins Gespräch",
sagte Nonnemacher. Im Nachbarland Sachsen sei die Lage so
katastrophal, dass der Bettennotstand dort noch größer sei als in
Brandenburg. Auch Thüringen sei stärker betroffen. In Ostdeutschland
sollen sich Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen als Kleeblatt-Region gegenseitig helfen.
Momentan kein Katastrophenfall in Brandenburg
"Wir raten momentan von der Ausrufung des Katastrophenfalls noch
ab, weil hier in Brandenburg die Kriterien sehr hoch sind", sagte die
Ministerin. In Bayern sei die Regelung anders. Bayern hatte den
Katastrophenfall ausgerufen - mit dem Ziel einer koordinierten
Mitwirkung aller Behörden und Organisationen. Das Brandenburger
Katastrophenschutzgesetz regelt die Mitwirkung von
Hilfsorganisationen, Grundrechte können eingeschränkt werden.
Brandenburg hat bereits einen Massenanfall von Erkrankten
ausgerufen. Damit kann die Koordination für die Verlegung von
Patienten zentral von Rettungsdiensten gesteuert werden. Es gebe
schon Mängel beim Katastrophenschutz wegen vieler Verlegungen von
Süden nach Norden, berichtete Nonnemacher.
Der Gesundheitsausschuss des Landtags gab mit der Mehrheit der
Abgeordneten der Kenia-Koalition grünes Licht für die neue
Corona-Verordnung, die den harten Lockdown regelt. Seit Mittwoch
gelten Ausgangsbeschränkungen tagsüber und vor allem nachts, die
Schließung von Läden außer für den täglichen Bedarf und ein
Alkoholverbot in der Öffentlichkeit. Die AfD stimmte dagegen, Linke
und Freie Wähler enthielten sich.
"Unsere Forderung ist Eigenverantwortung (...), statt alle
einzusperren", sagte AfD-Fraktionsvizechefin Birgit Bessin. Der
Landtag hatte erst am Dienstag eine stärkere Beteiligung an neuen
Corona-Regeln beschlossen, die bis zur Ablehnung einer Verordnung
reicht.
Verwirrung um Triage in Sachsen
Sachsens Ministerpräsident Kretschmer ging indes nochmals auf eine Schlagzeile von Mittwoch ein: Ein Arzt aus Zittau hatte in einer öffentlichen Runde mit Äußerungen über Triage für Aufsehen gesorgt. Die Ärzte dort hätten mit Menschen diskutiert, die in der gleichen Region leben, aber nicht akzeptieren, wie die Situation in den Krankenhäusern ist, sagte Kretschmer. Da sei in der Wortwahl "zu heftig" argumentiert worden:
"In Zittau, in Sachsen, in Deutschland wird in dieser Zeit nach klaren ethischen und medizinrechtlichen Standards gearbeitet. Es gibt keine Sonderkriterien für Covid-19."
Laut Kretschmer hat die Regierung aber inzwischen auf den "Weckruf" aus Zittau reagiert und Hilfe organisiert. So würden Soldaten der Bundeswehr auch über den Jahreswechsel in Zittau helfen und Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) sei es gelungen, weitere Bettenkapazitäten in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen zu organisieren. Es gebe ein hohes Maß an Solidarität im medizinischen Bereich unter den Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten, hob Kretschmer hervor.
(om/dpa)