Virologe Christian Drosten von der Charité.Bild: imago images / Janine Schmitz/photothek.net
Deutschland
12.05.2021, 07:5012.05.2021, 13:13
Der Virologe Christian Drosten schätzt, dass
die Bevölkerung in Deutschland ungefähr in den kommenden eineinhalb
Jahren immun gegen das Coronavirus wird. Dies werde durch die Impfung
oder durch natürliche Infektion geschehen, sagte der Wissenschaftler
der Charité Berlin im Podcast "Coronavirus-Update" (NDR-Info) am
Dienstag. "Dieses Virus wird endemisch werden, das wird nicht
weggehen. Und wer sich jetzt beispielsweise aktiv dagegen
entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich unweigerlich
infizieren." Dagegen könne man nichts tun, da die Maßnahmen mit der
Zeit immer weiter zurückgefahren würden.
Danach zirkuliere das Virus in der Bevölkerung, zum Beispiel
unbemerkt im Rachen von Geimpften und bei kleineren Kindern, die noch
nicht geimpft werden können. "Das Virus wird unerkannterweise unter
einer Decke des Immunschutzes sich weiter verbreiten. Und dann trifft
es immer auch auf Leute, die nicht immunisiert sind durch eine
Impfung, die voll empfänglich sind." Auch im kommenden Winter wird es
daher nach Einschätzung des Virologen noch Covid-19-Fälle auf
Intensivstationen geben. Er glaube, "diejenigen, die sich aktiv gegen
die Impfung entscheiden, die müssen wissen, dass sie sich damit auch
aktiv für die natürliche Infektion entscheiden. Ohne jede Wertung",
sagte Drosten. Es sei eine freie Entscheidung.
Auswirkungen der Impfungen am Juni spürbar
Der Leiter der Charité-Virologie hatte bereits vor einigen Tagen
im ZDF gesagt, er sei für die Zeit ab Juni zuversichtlich, denn zu
dem Monat würden sich erstmals die Impfungen spürbar auswirken. "Der
Sommer kann ganz gut werden in Deutschland." Am Dienstag sagte er,
dass sich die Situation stark konsolidieren werde, wenn auch die
jungen, sehr mobilen Menschen geimpft seien. Diese hätten besondere
Funktionen im Übertragungsnetzwerk des Virus. Reisen von frisch
Geimpften steht der Virologe recht gelassen gegenüber: Er sehe bei
ihnen derzeit keine Veranlassung für Quarantäne nach der Rückkehr.
Die Möglichkeit, sich die zwei Astrazeneca-Impfdosen in Absprache mit dem Arzt in einem Abstand
von vier Wochen verabreichen zu lassen und dann in den Urlaub zu
fahren, hält der Virologe für nicht verwerflich, wie er sagte. Im
Vergleich zu den von der Ständigen Impfkommission empfohlenen zwölf
Wochen seien dann zwar Durchschlagskraft und Nachhaltigkeit der
zweiten Dosis nicht so stark. Aber es sei immer noch besser, als nur
eine Dosis zu haben. Man könne sich auch in einigen Monaten erneut
impfen lassen.
Nachimpfungen wahrscheinlich
Drosten bekräftigte, er gehe ohnehin davon aus, dass im Herbst
bestimmte Gruppen in Abhängigkeit von Alter und Risiko großzügig
gegen Covid-19 nachgeimpft werden sollten. Ihm schwebe vor, dies auch
mit der Immunisierung gegen Grippe zu verbinden. "Jemand, der ein
Risiko hat für Influenza, der hat auch dieses Risiko für Covid." Es
sei zu befürchten, dass die nächste Grippe-Welle schwer ausfalle,
wenn man nicht mit Impfungen gegensteuere, sagte Drosten. Hintergrund
ist, dass die Influenza-Welle im zurückliegenden Herbst und Winter in
Deutschland, aber auch in anderen Ländern ausgefallen ist – auch
wegen der Maßnahmen gegen die Pandemie.
Die indische Corona-Variante, die von Großbritannien und der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittlerweile als besorgniserregend
eingestuft wird, hat derzeit in Deutschland aus Drostens Sicht noch
keinen besonderen Verbreitungsvorteil. Die Bevölkerung hier sei noch
nicht so stark immunisiert wie in Großbritannien. Die Mutante sei
etwas weniger beeinträchtigt durch Impfung und Immunität.
Die Voraussetzungen für die Verbreitung solcher Varianten dürften
sich laut dem Virologen aber auch in Deutschland mit dem
Impffortschritt zum Herbst hin ändern. Welche Variante dann
vorherrsche oder noch neu auftauche, lasse sich nicht vorhersagen.
Die Mutanten bescherten dann auch keine neue Pandemie mehr, "sondern
wir werden auch gegen diese Viren in der Symptomatik geschützt sein",
sagte Drosten. Es werde auch Auffrischungsimpfstoffe geben.
"Das Virus hat ein bisschen mehr Fitness, aber das bedeutet jetzt
überhaupt nicht, dass das eine Riesengefahr für uns unmittelbar
darstellt", sagte Drosten über die Variante aus Indien. "Wir können
dagegen animpfen. Wir sind nicht mehr so wehrlos wie letztes Jahr um
diese Zeit."
(pas/dpa)