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Interview

Lars Klingbeil über Merz: "Hat nicht verstanden, was im Land gerade passiert"

Rot 2020: In Erfurt (Thüringen) wählen linke die Linken um 14 Uhr
Fraktion Klingbeil Spd 2020 für Bodo Ramelow Stimmen
Wir trafen Lars Klingbeil in seinem Büro im Willy-Brandt-Haus. Bild: watson
Interview

Lars Klingbeil: "Nach Hanau gibt es keine Entschuldigung mehr dafür, die AfD zu wählen"

04.03.2020, 06:5305.03.2020, 18:02
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Martin Schulz, Olaf, Scholz, Andrea Nahles, Malu Dreyer. Thorsten Schäfer-Gümbel, Manuela Schwesig. Lars Klingbeil sah sie alle kommen und gehen. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind bereits die SPD-Vorsitzenden Nummer 7 und 8, denen Klingbeil als Generalsekretär dient. Dabei hat er dieses Amt erst seit gut zwei Jahren inne.

Die SPD und mit ihr Lars Klingbeil haben schwierige Zeiten hinter sich. Doch gerade trifft es tatsächlich mal die anderen. Die CDU hat ihre bereits als nächste Kanzlerin vermutete Vorsitzende verschlissen und erlebt nun einen unschönen Kampf, der über Richtung und Überleben der letzten Volkspartei entscheiden könnte. Die FDP muss für die Thüringen-Wahl büßen und wird allerorts kritisch beäugt.

Grund zur Freude für die SPD? Das sieht Klingbeil anders.

Lars Klingbeil ist...
42, stammt aus Niedersachsen. Der Sohn eines Bundeswehrsoldaten studiert Politik, Soziologie und Geschichte. 2005 zieht der Sozialdemokrat erstmals in den Bundestag ein. Seit Dezember 2017 ist er Generalsekretär der SPD. In seinem Büro im fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses grüßt hinten an der Wand eine Gitarre. Erinnerung an Klingbeils Zeit in der Band "Sleeping Silence", als er noch lange Haare und ein Augenbrauen-Piercing trug.

Ein Gespräch über Ministerpräsidenten-Kandidat Höcke, die Konsequenzen aus dem rechten Terror von Hanau, die zerstrittene CDU und Quertreiber in der SPD.

"Ich erwarte von CDU und FDP, dass Höcke keine einzige Stimme mehr bekommt, als die AfD Abgeordnete hat"

watson: Am Mittwoch wählt der Thüringer Landtag einen neuen Ministerpräsidenten. Björn Höcke kandidiert. Was passiert, wenn er mehr als die 22 Stimmen bekommt, die die AfD Sitze im Landtag hat?

Lars Klingbeil:
Ich mag mir das gar nicht vorstellen. Demokraten wählen keinen Faschisten. Ich erwarte von CDU und FDP, dass Höcke keine einzige Stimme mehr bekommt, als die AfD Abgeordnete im Landtag hat. Das wäre der nächste Tabubruch.

Also sollen sich CDU und FDP lieber enthalten? Die Liberalen haben ja bereits angekündigt, den Plenarsaal zu verlassen.

Es gibt eine klare Entscheidungsmöglichkeit im Thüringer Parlament: Auf der einen Seite ein anerkannter Ministerpräsident und deutlicher Wahlsieger mit Bodo Ramelow, auf der anderen Seite die Gallionsfigur der extremen Rechten mit Björn Höcke. Ich finde das falsch, wenn sich CDU und FDP da rausziehen und sagen: Wir wählen beide nicht.

Aber glauben Sie wirklich, dass CDU und FDP Ramelow ins Amt heben?

Ich erwarte von CDU und FDP, dass sie das Chaos, das sie in Thüringen angerichtet haben, nicht noch vergrößern. Die gewählten Abgeordneten haben ja auch eine staatspolitische Verantwortung. Das Land braucht wieder eine funktionsfähige Regierung, die schnelle Neuwahlen einleitet. Die Bürger müssen auf Grundlage des 5. Februar neu entscheiden.

Fraktion-Vorsitz Sekretär Karriere Lars Klingbeil Ministerpräsidententahl in Thüringen kommentiert
Ramelow nicht Kemmerich und nicht Höcke
Bild: watson

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat zwischendurch gefordert, dass SPD oder Grüne in Thüringen einen Ministerpräsidenten stellen. Haben Sie darüber im Willy-Brandt-Haus nachgedacht?

Nein. Das war ein klares Ablenkungsmanöver. Mehr als 30 Prozent der Wähler haben entschieden, dass Ramelow Ministerpräsident bleiben soll.

Nun ja, Ramelow hat aber keine Mehrheit im Landtag.

Trotzdem wäre es eine Verfälschung des Wählerwillens gewesen, wenn SPD oder Grüne mit ihrem einstelligen Wahlergebnis den Ministerpräsidenten stellen und dadurch Ramelow absägen. Es war immer klar: AKKs Vorschlag ist ein taktisches Manöver und darauf lassen wir uns nicht ein.

Zu AKKs Vorwürfen:

"Ich habe wirklich überlegt, ob ich die CDU vielleicht zu hart kritisiert habe"

Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb kürzlich in einem Porträt über Sie: "Es ist lange her, dass ein SPD-Generalsekretär die CDU-Führung derart auf die Palme gebracht hat." Fühlen Sie sich geehrt?

Ach Quatsch. Ich mache nur meinen Job. Das Problem ist doch, dass die CDU-Spitze derzeit ihren Laden nicht zusammenhält, vor allem bei der klaren Abgrenzung nach rechts. Wenn das anders wäre, müsste ich auch nichts kritisieren.

Kramp-Karrenbauer hatte Ihnen eine Diffamierungs- und Schmutzkampagne vorgeworfen, wenn Sie behaupten, die CDU grenze sich nicht ausreichend von der AfD ab. "Dann soll er die Konsequenz ziehen und seine Partei auffordern, diese Regierung zu verlassen mit der CDU", sagte sie. Wäre das nicht eine Idee?

Wissen Sie, vom Typ her bin ich so: Wenn mich jemand kritisiert, dann denke ich schon darüber nach, ob der- oder diejenige vielleicht recht hat.

Zu welchem Ergebnis kamen Sie?

Ich habe wirklich überlegt, ob ich die CDU vielleicht zu hart kritisiert habe.

Und?

Ganz ehrlich: Ich habe immer wieder mit dem Finger darauf gezeigt, dass in der CDU gerade etwas passiert, was nicht in Ordnung ist und was eingefangen werden muss. Die Frage, ob in der Union die Mauer nach rechts hält, stellt sich zurecht. Wenn es nach der Wahl in Sachsen-Anhalt für CDU und AfD für eine Mehrheit reichen würde, hätten wir das gleiche Thema wieder. Oder wer glaubt denn bitte, dass dann nicht wieder CDU-Politiker aus dem Busch gekrochen kommen und für eine solche Zusammenarbeit plädieren?

"Sehen Sie sich die Werte-Union an, das ist ein AfD-Fanclub"

Sie gehen also davon aus, dass es so kommt.

Sehen Sie sich die Werte-Union an, das ist ein AfD-Fanclub. Mitglieder haben ja sogar Geldspenden an die AfD getätigt. Ich glaube AKK, dass sie selbst ein riesiges Interesse daran hat, die CDU von der AfD abzugrenzen. Wir kennen uns ja gut, waren beide zeitgleich Generalsekretäre unserer Parteien. Aber sie kriegt das als Vorsitzende gerade nicht hin. Und das ist das Führungsversagen, mit dem die CDU auch konfrontiert werden muss.

Bei welchem kommenden CDU-Chef hätten Sie denn die wenigsten Bedenken, dass die Brandmauer nach rechts hält?

Ich habe gehört, dass es jetzt 13 Bewerber gibt. Die kenne ich gar nicht alle (lacht). Ich kenne nur drei.

Und von denen?

Ich guck mir die alle mal an (lacht). Nein im Ernst: Ich habe es als sehr fair empfunden, dass die CDU unseren Auswahlprozess nicht kommentiert hat. Das habe ich mir ebenfalls vorgenommen. Und bisher verhalten sich auch alle gerade noch so, dass ich nichts kommentieren muss.

"Wer in dieser Zeit meint, man muss das Thema Clankriminalität prominent setzen, der hat nicht verstanden, was gerade in unserem Land passiert"

Friedrich Merz sagte in einer Pressekonferenz, dass seine Antwort auf das Problem des Rechtsradikalismus auch die stärkere Thematisierung von Clankriminalität und Grenzkontrollen ist. Was halten Sie davon?

Natürlich ist es richtig, dass sich die Sicherheitsbehörden auch um das Problem der Clankriminalität kümmern müssen – da wird ja auch viel gemacht. Aber in Deutschland werden gerade Menschen aus rassistischen Motiven umgebracht. Wer in dieser Zeit meint, man muss das Thema Clankriminalität prominent setzen, der hat nicht verstanden, was gerade in unserem Land passiert. Der verharmlost das Problem des Rechtsextremismus. Aber der interne Wettbewerb in der CDU und der Versuch, bei Unionswählern Punkte zu machen, darf niemals über dem stehen, was gerade in dieser Gesellschaft passiert.

Bild
Bild: watson

Sie sprechen von der Gefahr durch rechts, die bei der Tat in Hanau auf fürchterliche Weise sichtbar wurde. Danach war das Entsetzen groß. Jetzt sprechen alle nur noch über das Coronavirus. Ärgert Sie das?

Ich verstehe ja, dass das Coronavirus die Menschen bewegt. Trotzdem sehe ich es als Aufgabe von Politik, Gesellschaft und Medien, dass Hanau nicht deshalb schon wieder in Vergessenheit gerät. Innerhalb weniger Monate sind in Deutschland zum dritten Mal Menschen aus einem rechtsextremen Motiv umgebracht worden: Der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge in Halle, jetzt Hanau. Heute ist die große Gedenkveranstaltung in Hanau, das wird uns alle wieder aufwühlen. Ich finde es stark, dass auch Künstler klar Stellung beziehen, dass unter anderem Samy Deluxe und andere in Hanau ein Konzert spielen wollen.

"Jeder Mensch braucht eine Haltung, muss mal runterkommen vom Sofa und sich positionieren"

Bewusstsein ist bestimmt wichtig. Aber welche konkreten Konsequenzen muss Deutschland aus Hanau ziehen?

Es gibt keine Zuschauerrolle mehr: Niemand kann mehr nur zusehen, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Jeder Mensch braucht eine Haltung, muss mal runterkommen vom Sofa und sich positionieren. Dazu gehört es auch, im Alltag den Mitmenschen zu widersprechen, wenn diskriminierende Äußerungen fallen. Rassismus fängt im Alltag an. Die nächsten drei, vier Jahre wird sich entscheiden, ob wir als Gesellschaft die Kraft haben, Rassismus zurückzudrängen oder ob er sich weiterverbreitet. Da muss es überall Klick machen bei den Leuten.

Wie meinen Sie das?

Ich habe einen entscheidenden Satz von Rezo gehört, mit dem ich in der Woche nach der Thüringen-Wahl auf einem Podium saß. Das war meine erste Begegnung mit ihm, ein supernetter Mensch mit einer ganz klaren Haltung. Ihm ist am Tag der Thüringen-Wahl zum ersten Mal bewusst geworden, dass die Nazis tatsächlich in Deutschland die Möglichkeit haben, die Macht wieder zu erlangen. Die Gefahr ist real, das sollte allen klar sein.

"Ich hätte nie gedacht, dass mich das Thema Rechtsextremismus mein ganzes politisches Leben begleitet und sogar noch an Bedeutung zunimmt. Das frustriert schon"

Sollten mehr Menschen dagegen aufstehen?

Das gibt mir trotz der tragischen Ereignisse ja auch Zuversicht: Dass viele Menschen nach Hanau auf der Straße waren. Sei es bei der Mahnwache hier in Berlin am Brandenburger Tor oder an vielen anderen Orten. Auch das manche davon den Kontakt zur SPD suchen und sagen: Ich will nicht länger zusehen, was da gerade passiert. Aber ob das wirklich jeder verstanden hat im politischen Bereich, weiß ich nicht.

Sie haben früher in Niedersachsen schon gegen Neonazis gekämpft. Wie weh tut es Ihnen, dass die AfD mittlerweile in allen Landtagen vertreten ist?

Als ich anfing mit Politik, gab es in der Nähe meines Heimatortes in der Lüneburger Heide ein Schulungszentrum für Neonazis. Wir fingen an, dagegen zu demonstrieren. Nach eineinhalb Jahren wurde das Zentrum tatsächlich geschlossen. Das war ein riesiger Erfolg. Ich hätte nie gedacht, dass mich das Thema Rechtsextremismus mein ganzes politisches Leben begleitet und sogar noch an Bedeutung zunimmt. Das frustriert schon. Trotzdem: Mein oberstes Ziel ist und bleibt, alles dafür zu tun, dass diese Menschen keinen Zentimeter politisch in Deutschland bewegen können.

"Nach Hanau gibt es keine Entschuldigung mehr dafür, die AfD zu wählen"

Die Umfragewerte der AfD liegen dennoch konstant bei mehr als zehn Prozent.

Nicht jeder AfD-Wähler ist rechtsextrem. Es gibt auch Protestwähler darunter und die müssen wir zurückgewinnen. Aber das fängt damit an, dass wir allen klar sagen müssen, wen sie da bisher wählen: Eine Partei, die durchsetzt ist von Faschisten wie Höcke, von Hetzern wie Weidel, Gauland und von Storch. Nach Hanau gibt es keine Entschuldigung mehr dafür, die AfD zu wählen.

Gehört die AfD für Sie verboten?

Ich finde, dass die komplette AfD unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gehört. Das sind Verfassungsfeinde. Die AfD ist eine Partei, die die Demokratie beschädigt. Das muss man immer wieder sagen.

Über Hans-Georg Maaßen:

"Im Nachhinein beunruhigt mich das massiv, dass so jemand über eine ganz lange Zeit die Verantwortung für den Verfassungsschutz getragen hat"

Nimmt der neue Verfassungsschutzchef das Problem des Rechtsextremismus ernst genug?

Ich bin froh, dass der alte Chef weg ist! Jedes Zitat, das ich heute von Hans-Georg Maaßen lese, bestätigt mich darin. Zum Glück hat die SPD damals Druck gemacht, dass er seinen Posten verlässt. Im Nachhinein beunruhigt mich das massiv, dass so jemand über eine ganz lange Zeit die Verantwortung für den Verfassungsschutz getragen hat. Maaßen offenbart heute, dass er außerhalb der politischen Mitte steht. Beim neuen Verfassungsschutzchef erlebe ich, dass er sich seit Tag 1 den Kampf gegen rechts auf die Fahne geschrieben hat. Das ist gut. Aber Verfassungsschutz alleine reicht nicht.

Was meinen Sie?

Der Kampf gegen Nazis muss auch im Parlament, in der Zivilgesellschaft und in den Schulen geführt werden. Wir brauchen eine Reform der politischen Bildung in Deutschland. Ich möchte, dass alle Schüler verpflichtend KZ-Gedenkstätten besuchen und sich so mit diesem Thema der deutschen Geschichte auseinandersetzen. Diese Begegnungen auch mit Zeitzeugen sind unheimlich wertvoll. Die müssen wir schaffen, solange es noch möglich ist.

"Es ist ein harter Kampf, jemanden wie Thilo Sarrazin aus der Partei zu werfen"

Sie haben die Abgrenzung der CDU zur AfD in Zweifel gezogen. Auf Rügen haben auch SPD-Kommunalpolitiker mit der AfD zusammengearbeitet. Können Sie garantieren, dass Sie ihren Laden im Griff haben?

Das ist mein klarer Anspruch. Als das auf Rügen bekannt wurde, habe ich noch am selben Tag mit dem SPD-Generalsekretär von Mecklenburg-Vorpommern telefoniert und die Zusammenarbeit wurde rückgängig gemacht. Die SPD hat eine klare Haltung gegen rechts. Es ist ein harter Kampf, jemanden wie Thilo Sarrazin aus der Partei zu werfen, der seit Jahren die Gesellschaft mit rassistischen Thesen vergiftet. Die SPD hat hier eine Glaubwürdigkeit seit 156 Jahren. Die Brandmauer gegen die AfD steht. Das werden wir an jeder Stelle auch deutlich machen.

Lars Klingbeil im Gespräch mit den watson-Redakteuren Joseph Hausner und Leonhard Landes.
Lars Klingbeil im Gespräch mit den watson-Redakteuren Joseph Hausner und Leonhard Landes.Bild: watson

Die CDU gibt sich führungslos, die FDP kämpft mit den Folgen von Thüringen. So angenehm wie gerade war es schon lange nicht mehr für einen SPD-Politiker, oder?

Der rechte Terror und die AfD sind präsent, das würde ich als Demokrat nicht angenehm nennen. Aber es stimmt schon, wenn wir nur auf die SPD schauen. Die letzten zwei Jahre als Generalsekretär waren nicht gerade einfach. Angefangen mit der Entscheidung, ob die SPD in die GroKo geht oder nicht. Dann der Rücktritt von Schulz, der Rücktritt von Nahles. Aber auch, wenn es jetzt ruhiger ist, bin ich mit meiner Partei noch lange nicht da, wo ich sie haben möchte. Es ist mühselige Arbeit, Vertrauen zurückzugewinnen und die SPD wieder stark zu machen. Wir fangen gerade an, die Bundestagswahl vorzubereiten. Also Langeweile habe ich nicht.

"Ich war vergangene Woche im Land unterwegs. Viele waren positiv auf die Parteispitze zu sprechen. Was in den vergangenen zwei Jahren nicht immer der Fall war"

Welche Konsequenzen haben Sie denn aus dem vergangenen Bundestagswahlkampf gezogen?

Wir sind zweimal hintereinander sehr unvorbereitet in einen Wahlkampf hineingestolpert. Keine klaren Personalentscheidungen, keine klaren strategischen Entscheidungen, keine organisatorischen Aufstellungen. Das bedeutet für mich, dass ich jetzt schon anfange, den Wahlkampf zu organisieren. Für eine professionelle Kampagne dürfen wir keinen Tag zu spät anfangen. Am Ende muss jeder wissen, wofür die SPD steht. Wenn ich auf die erfolgreichen Wahlen in Hamburg, Niedersachsen und Brandenburg gucke: Da gab es eine starke personelle Spitze, es gab eine Geschlossenheit in der Partei und jeder wusste im jeweiligen Land, für welche zwei, drei Themen die SPD steht, mit denen sie sich von den anderen abhebt. Und es waren Wahlkämpfe, bei denen sich die Partei nicht um sich selbst gedreht hat.

Sie haben starke Personen an der Spitze angesprochen. Wie beurteilen Sie denn die bisherige Arbeit Ihrer neuen Parteichefs, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans?

Wir haben eine sehr gute und enge Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Und es ist angenehm, dass wir in den Gremien miteinander diskutieren. Am Montag haben wir sehr lange über Hanau im Parteivorstand gesprochen. Da merke ich: Es tut der Partei gut, sich offen auszutauschen. Die klare Positionierung nach Thüringen und nach Hanau wird in der Partei generell sehr positiv angenommen. Das habe ich gemerkt, als ich vergangene Woche im Land unterwegs war. Viele waren positiv auf die Parteispitze zu sprechen. Was in den vergangenen zwei Jahren nicht immer der Fall war.

Das Parteiestablishment hätte sich Olaf Scholz gewünscht. Konnten die neuen Parteichefs Sie und diese Mitglieder umstimmen?

Wir standen vor der Frage, ob wir ein Kräftemessen der verschiedenen Machtzentren, Partei, Fraktion und Regierung, bekommen. Wir haben sehr hart darum gerungen, dass alle zusammenarbeiten. Und das ist uns gelungen. Von Rolf Mützenich bis Olaf Scholz, von den Parteichefs bis in die Partei hinein.

"Ich habe so viel damit zu tun, Dinge zu korrigieren in der SPD, die in den vergangenen Jahren falsch gelaufen sind, dass ich nicht die Zeit habe, mich mit dem neuen Buch von Sigmar Gabriel zu beschäftigen"

Sie haben aber einen sehr prominenten Quertreiber in der Partei…

Jan Böhmermann?

Wir meinen Sigmar Gabriel. Der veröffentlichte am Montag sein neues Buch. Er attestiert der SPD darin ein andauerndes Führungsversagen. Und Ihnen und Ihren Mitstreitern für den Mitgliederentscheid wirft er vor, sich nur im "Gespenster-Vertreiben" geübt zu haben, "indem sie möglichst häufig die Arbeit früherer SPD-Vorsitzender verunglimpften". Was machen diese Worte mit Ihnen?

Ganz ehrlich: Ich habe so viel damit zu tun, Dinge zu korrigieren in der SPD, die in den vergangenen Jahren falsch gelaufen sind, dass ich nicht die Zeit habe, mich mit dem neuen Buch von Sigmar Gabriel zu beschäftigen.

Sie haben sich am Montag aber auch bei Gabriel entschuldigt. Sie schrieben auf Twitter: "Wenn aus dem Willy-Brandt-Haus Tweets gelikt werden, die Menschen in ein komplett falsches Licht rücken, dann ist das ein großer Fehler." Gabriel war darin in die Nähe von Rechten gerückt worden.

Ja, das ist etwas anderes. Es ist mir wichtig, Fehler nicht unter den Teppich zu kehren. Bei aller Konkurrenz und bei allem, was einen trennt: Wenn der SPD-Twitter-Account versehentlich einen solchen Tweet likt, dann ist es nicht damit getan, dass man es rückgängig macht. Sondern dann muss man das öffentlich klarstellen.

Letzte Frage: Die Grünen sind ökologischer als die SPD. Die Grünen haben sich schneller und klarer gegen Hartz IV positioniert. Und die Grünen sind bei jungen Wählern erfolgreicher als Sie. Warum sollten junge Menschen die SPD wählen?

Die SPD ist die Partei, die auf Zusammenhalt in dieser Gesellschaft setzt. Wir haben immer wieder in unserer langen Geschichte bewiesen, dass wir fest gegen rechts stehen. Danach sehnen sich junge Menschen in diesen turbulenten Zeiten. Sie fragen sich: Welche Parteien stehen dafür, dass dieses Land nicht zerfasert? Der Hass wird immer mehr, ob im Netz oder im Stadion. Der Wunsch, dass man von dieser Hetze wegkommt, ist sehr groß, gerade bei jungen Menschen. Und dafür machen wir Politik.

Cannabis-Legalisierung: JuLis schießen gegen CDU – "dürfen Spiel nicht mitmachen"
Nemir Ali ist 27 Jahre alt und stv. Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen (JuLis). Die Freigabe von Cannabis liegt den JuLis als FDP-nahe Nachwuchsorganisation besonders am Herzen.

"Cannabis ist gefährlich!" So ließe sich die Rede von Stephan Pilsinger (CSU) am 23. Februar im Bundestag zusammenfassen. Ganz Unrecht hat er nicht. Nur gilt das natürlich auch für Alkohol. Den liebt Pilsinger, der das Pils bereits im Namen trägt, so sehr, dass er sich für den Wahlkampf 2017 ein eigenes Bier brauen ließ.

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