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Wahlprogramm der Union "eher unmodern": Politologe Lothar Probst im Interview

Armin Laschet und Markus Söder bei der Pressekonferenz zum Wahlprogramm der Union für die Bundestagswahl.
Armin Laschet, CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat der Union, mit CSU-Vorsitzendem Markus Söder bei der Vorstellung des gemeinsamen Wahlprogramms.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Interview

"Es trifft nicht das Lebensgefühl vieler junger Menschen": Politologe bewertet das Wahlprogramm der Union

22.06.2021, 12:5322.06.2021, 14:56
lukas armbrust
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Knapp 100 Tage vor der Bundestagswahl hat die Union ihr Wahlprogramm vorgestellt. Kanzlerkandidat und CDU-Vorsitzender Armin Laschet und CSU-Vorsitzender Markus Söder präsentierten das gut 140 Seiten umfassende Papier am Montag der Öffentlichkeit. Man stehe vor einem Epochenwechsel und den wolle man aktiv gestalten, sagte Laschet.

Er versprach einen "Modernisierungsschub für Deutschland" und betonte, dass dafür ein Dreiklang von Klimaschutz, wirtschaftlicher Stärke und sozialer Sicherheit notwendig sei. Die Union wolle die Mitte der Gesellschaft entlasten und die Menschen nicht bevormunden, sondern ihnen vertrauen, so Laschet.

Die Kritik der politischen Konkurrenz ließ nicht lange auf sich warten: SPD-Chef Norbert Walter-Borjans bezeichnete das Programm von CDU und CSU im Gespräch mit der "Augsburger Allgemeinen Zeitung" als planlos und unsozial. Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, sagte gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland", dass Laschet nicht für einen Aufbruch, sondern für "ein müdes Weiter-So" stehe.

Wie viel Modernisierung steckt tatsächlich im Programm von CDU und CSU? Wird der Union nach 16 Jahren mit Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Neustart gelingen? Und mit welchen Punkten sprechen sie junge Menschen an? Darüber hat watson mit dem emeritierten Professor für Politikwissenschaft der Universität Bremen Lothar Probst gesprochen.

Watson: Das Wahlprogramm der Union wurde als "Das Programm für Stabilität und Erneuerung - Gemeinsam für ein modernes Deutschland" vorgestellt. Kanzlerkandidat Armin Laschet kündigte bei der Pressekonferenz ein „Modernisierungsjahrzehnt“ an. Welche Forderungen aus dem Wahlprogramm der Union würden Sie als modern bezeichnen?

Probst: Es fällt mir ein bisschen schwer, die Kernelemente einer Modernisierungsstrategie darin zu erkennen. Es findet sich auf jeden Fall viel Stabilität im Wahlprogramm der Union. Das heißt, dass CDU und CSU in vielerlei Hinsicht so weitermachen wollen wie bisher. Man könnte von einer Art Beruhigungspille für all diejenigen sprechen, die Angst vor Veränderung und Wandel haben. Aber viel Neues, was sich fundamental von dem unterscheidet, was die Union in der Vergangenheit gemacht hat, konnte ich dem Programm nicht entnehmen.

Das heißt, außen steht Modernisierung drauf, aber im Programm selbst findet sich nicht viel davon?

Das Land modernisieren wollen natürlich alle Parteien in Deutschland. Das ist, ehrlich gesagt, nicht sonderlich originell. Angesichts der Herausforderungen, vor denen wir stehen, kann in der jetzigen Situation niemand sagen, ‚Wir wollen so weitermachen wie bisher‘.

"Das Programm offenbart viel Kontinuität, aber wenig Neues aus dem Konrad-Adenauer-Haus."

Insgesamt bleibt die Union mit ihren Forderungen aus Ihrer Sicht also zu vage?

Was vielleicht als Modernisierungsversprechen mit am konkretesten ist, ist die Frage, wie die Pandemiebekämpfung zukünftig aussehen soll. Die will die Union zukunftsfähig machen, indem in der Verwaltung die Digitalisierung vorangetrieben und Bürokratie abgebaut wird. Aber am Ende fordert fast jede Partei eine Entbürokratisierung und die Union hatte ehrlicherweise 16 Jahre Zeit das umzusetzen. Das hat sie gewissermaßen verschlafen.

Inwieweit kann man dann überhaupt von einem Neustart nach der Merkel-Ära sprechen?

Um es auf den Punkt zu bringen: Das Programm offenbart viel Kontinuität, aber wenig Neues aus dem Konrad-Adenauer-Haus.

Und in welchen Forderungen der Union können sich junge Menschen wiederfinden?

Der einzige Punkt, den ich gefunden habe, der spezifisch auf jüngere Altersgruppen zielt, ist die sogenannte Generationenrente.

Sie meinen den Vorschlag der Union, wonach zu prüfen ist, ob der Bund künftig für jedes Kind einen monatlichen Betrag in einen Fonds oder auf ein persönliches Konto einzahlt, um eine zusätzliche Säule der Altersvorsorge einzuführen.

Genau. Das ist sicherlich eine interessante Idee. Im Vorfeld wurde über 100 Euro pro Monat und Kind diskutiert. Mir ist noch nicht ganz klar, ob man sich darauf nun festgelegt hat oder ob das noch offen ist. Feststeht: Das wären 1200 Euro pro Jahr und wenn jedes Kind diese Unterstützung bis zum 18. Lebensjahr erhalten soll, stellt sich natürlich die Finanzierungsfrage.

"Die Union versucht konkrete Festlegungen wie die Finanzierungsfrage zu umschiffen."

Zumal die Union Steuererhöhungen in der nächsten Legislaturperiode ablehnt.

Ja, mir ist aufgefallen, dass das Programm insgesamt sehr blumig bleibt. Die Union hat versucht konkrete Festlegungen wie die Finanzierungsfrage zu umschiffen. Einerseits will sie keine Steuererhöhungen und an der Schuldenbremse festhalten, andererseits gibt es Vorschläge wie die sogenannte Generationenrente. Ich frage mich, wie man das alles unter einen Hut bringen will.

Aber wie groß schätzen Sie das Potential dieser „Generationenrente“ ein, um die Jugend von der Union zu überzeugen?

Zuerst muss man festhalten, dass die Jugend keine homogene Gruppe ist. Manche haben beispielsweise Probleme, auf dem Land einen gut bezahlten Ausbildungsplatz zu finden, andere haben Schwierigkeiten, in Universitätsstädten ihre Miete zu bezahlen. Aber wenn es gerade eine Gruppe junger Menschen gibt, die sich besonders stark politisch artikuliert, sind es diejenigen, die unter anderem Fridays for Future unterstützen. Und ich glaube, dass sich diese Gruppe junger Menschen nicht vom Wahlprogramm der Union angesprochen fühlt, wenn darin steht, dass künftig Autobahnen weiter ausgebaut werden sollen. Da wirken CDU und CSU eher unmodern.

War es dann die richtige Entscheidung, mit der Forderung Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen, zehn Jahre hinter der Forderung von den Grünen zu bleiben? Fridays-for-Future-Aktivistin Carla Reemtsma hat bei watson das Papier stark kritisiert: „Dieses Wahlprogramm ist nicht mehr als der jahrelange klimapolitische Stillstand, der uns in die aktuelle Klimakrise hineingeführt hat und diese weiter eskalieren wird“.

Ich glaube, dieser Wettbewerb, wer die frühere Jahreszahl nennt, wird etwas überbewertet. Letztendlich wissen wir alle nicht, wann die Klimaneutralität in Deutschland möglich sein wird. Das sind hoch ambitionierte Ziele. Selbst das Jahr 2045 erfordert deutlich mehr als Umsteuerung, als das, was die Union sich wagt, in ihr Programm zu schreiben. Und für die Forderung der Grünen bräuchte es ein noch viel radikaleres Umdenken – ganz egal, ob man über Mobilität, Wärmeversorgung, den CO2-Preis oder andere Themen spricht.

Politikwissenschaftler Lothar Probst
Lothar Probst ist Politikwissenschaftler und emeritierter Professor an der Universität Bremen.Bild: www.imago-images.de / teutopress GmbH

Während der Corona-Pandemie haben viele junge Menschen zurückstecken müssen: Monatelanges Homeschooling, wenig Kontakt zu Freunden, kaum Freizeitaktivitäten – die psychische Belastung ist in dieser Zeit stark angestiegen. Warum ergreift die Union in dieser Situation nicht die Gelegenheit und macht jungen Menschen explizit ein Angebot?

Das ist in der Tat verwunderlich. Wir haben ja einen Teil der jungen Generation, die infolge der Corona-Pandemie wirklich vollständig abgehängt wurde. Die Union sagt zwar, dass sie in Zukunft besser auf Pandemien vorbereitet sein will, aber sie unterlegen das ja nicht mit konkreten Forderungen, wie junge Menschen jetzt am besten aus der Pandemie herauskommen sollen. Wie sie zum Beispiel ihre Ausbildung fortsetzen können, wie sie in der Schule Lernstoff nachholen können, wie sie die Situation psychisch bewältigen können. Da sind aus meiner Sicht viele Leerstellen im Programm der Union.

"Die Union kann, wenn sie diese Wähler über 60 nicht verlieren will, den jüngeren Menschen nicht zu viele Versprechungen machen."

Bis zur Bundestagswahl sind es weniger als 100 Tage. Was könnte die Union denn bis dahin tun, um mehr junge Wählerinnen und Wähler anzusprechen?

Sie müsste stärker die Impulse aufnehmen, die aus der jüngeren Generation kommen. Das würde die Union allerdings in eine Zwickmühle bringen: Denn ihre Agenda ist sehr wirtschaftsfreundlich und orientiert sich eher an älteren Menschen. Wenn man sich die Wahlen in den vergangenen Jahren anschaut, hat die Union eigentlich nur noch Mehrheiten bei den Wählern über 60 Jahre. Und es ist ja kein Zufall, dass mit der SPD zusammen die Rente ab 63 beschlossen wurde. Das sind große Milliardenpakete, die eigentlich auf Kosten der künftigen Generationen gehen. Die Generationen über 60 sind dadurch hingegen privilegiert oder zumindest gefördert worden.

Das heißt, der Union sind durch ihre Stammwählerschaft in gewisser Weise die Hände gebunden?

Die Union kann, wenn sie diese Wähler über 60 nicht verlieren will, den jüngeren Menschen nicht zu viele Versprechungen machen. Zumal hat sie bei der jungen Bevölkerung in Großstädten die Mehrheit schon an die Grünen verloren. Das hat sich bereits bei der Europa-Wahl gezeigt. Viele junge Menschen haben sich schon von der Union abgewandt, und ihr scheint bisher überhaupt nicht viel einzufallen, um sich für junge Leute attraktiver zu machen.

Was bleibt ihr also übrig?

Einerseits kann man seine Attraktivität über Personen steigern. Nun sind junge Aushängeschilder der CDU wie Philip Amthor und Paul Ziemiak vielleicht nicht diejenigen, die enorm viele junge Menschen mitreißen. Andererseits könnte man junge Wählergruppen über programmatische Forderungen erreichen. Die Grünen fordern beispielsweise, das Wahlalter bei der Bundestagswahl auf 16 Jahre herabzusenken. Das ist ein direktes Angebot zur politischen Mitgestaltung für junge Menschen. Meiner Meinung nach bleibt unter dem Strich im Wahlprogramm der Union nicht sehr viel übrig. Es trifft nicht das Lebensgefühl vieler junger Menschen.

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