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Interview

Einbürgerung: Wie eine Organisation für Staatenlose kämpft

Christiana Bukalo von Statefree
Christiana Bukalo hat eine Organisation gegründet, die Staatenlose empowern und unterstützen will.Bild: Benjamin Jenak
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"Abnormität, die nicht ins System passt": Wie eine Organisation für Staatenlose kämpft

Überall auf der Welt gibt es Menschen, die keine Staatsbürgerschaft haben. Auch in Deutschland. Eine von ihnen ist Christiana Bukalo. Weil Staatenlose tagtäglich mit Problemen konfrontiert sind, hat sie eine Organisation gegründet.
21.12.2022, 18:30
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Watson: Christiana, rund 28.000 Menschen in Deutschland sind staatenlos. Du bist eine von ihnen. Was bedeutet es überhaupt, staatenlos zu sein?

Christiana Bukalo: Tatsächlich sind es eigentlich 122.000 Menschen. Es gibt nämlich nicht nur Menschen, die staatenlos sind und deren Staatenlosigkeit anerkannt ist. Sondern es gibt in Deutschland auch knapp 94.000 Menschen, deren Staatsangehörigkeit offiziell als ungeklärt gilt. All diese Menschen haben sehr eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Rechten.

Welche Rechte zum Beispiel?

Wir leben in einer Welt, in der viele unserer Rechte an die Staatsangehörigkeit gekoppelt sind: Identitätsdokumente, Reisefreiheit, Wahlrecht. Beim Eröffnen von Bankkonten gibt es Schwierigkeiten genauso wie beim Zugang zum Gesundheitssystem.

Wenn schon anerkannten Staatenlosen grundlegende Rechte fehlen, inwiefern unterscheiden sich die Möglichkeiten von Menschen mit ungeklärter Staatsbürgerschaft davon?

Sie haben noch weniger Zugang. Die ungeklärte Staatsbürgerschaft ist kein richtiger juristischer Status. Oft haben Menschen, deren Staatsbürgerschaft ungeklärt ist, nicht mal einen Aufenthaltstitel. Sie befinden sich in der Duldung. Sie bekommen häufig keinen Reiseausweis und haben keine Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen.

Christiana Bukalo von Statefree
Auch Christiana selbst ist staatenlos.Bild: Benjamin Jenak

Haben anerkannte Staatenlose die Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen?

Nach sechs Jahren können sich Staatenlose einbürgern lassen, zumindest wenn ihr Status anerkannt ist. Es gibt dabei aber ein Problem.

Und zwar?

Es gibt kein offiziell geregeltes Verfahren für die Anerkennung der Staatenlosigkeit. Selbst wenn einzelne Dokumente der Person, wie zum Beispiel der Aufenthaltstitel, eine anerkannte Staatenlosigkeit vermerken, wird dieser Status im Fall der Einbürgerung meistens nochmal infrage gestellt und geprüft. Für diese Prüfung gibt es allerdings kein einheitlich geregeltes Verfahren.

Was bedeutet das konkret?

Um sich um die Einbürgerung zu bemühen, braucht man entweder die Staatsangehörigkeit von einem Drittstaat, oder eine festgestellte Staatenlosigkeit. Aktuell können Betroffene aber nicht zum Amt gehen und sagen: "Hey, ich habe einen ungeklärten Status, ich möchte meine Staatenlosigkeit feststellen lassen."

Lediglich, wenn man einen Reiseausweis oder Aufenthaltstitel beantragt, kann in diesem Zusammenhang eine Prüfung und potenziell auch Feststellung der Staatenlosigkeit erfolgen. Oft kommt es aber auch vor, dass dem Personal die Expertise fehlt – und dann eher eine ungeklärte Staatsangehörigkeit, als die Staatenlosigkeit ausgestellt wird.

Auch Staatenlose werden irgendwo geboren. Trotzdem bedeutet das nicht automatisch, dass sie die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Landes zugeteilt bekommen. Die Ampelregierung möchte daran zumindest für Menschen, die in Deutschland geboren werden, etwas ändern. Ist das aus deiner Sicht ein sinnvoller Vorstoß?

Auf jeden Fall! Es gibt unterschiedliche Prinzipien, nach denen die Staatsangehörigkeit vergeben wird. In Deutschland gilt größtenteils das Abstammungsprinzip – das heißt, die Staatsbürgerschaft wird nach Blut vergeben. In Kombination mit der Tatsache, dass Staatenlosigkeit weitervererbt wird, führt das dazu, dass aktuell 35.000 Kinder in Deutschland geboren und trotzdem staatenlos sind. So wie ich.

In anderen Ländern – zum Beispiel in Spanien, gilt das Geburtsortprinzip. Hier kommt es darauf an, wo eine Person geboren ist.

Um ein Bankkonto zu eröffnen, eine Wohnung zu mieten oder einen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen brauchst du eine Staatsangehörigkeit. Wie funktioniert das Leben, wenn du die Frage nach der Nationalität nicht beantworten kannst?

Es ist traurig, das so zu sagen, aber es funktioniert eben nicht. Staatenlose leben unter extrem prekären Bedingungen. Und es gibt keine Institution, die sich diesem Thema annimmt. Natürlich: Arbeiten ist ein riesengroßes Problem, genauso die Sache mit den Bankkonten. Oft kommt es vor, dass der Aufenthaltstitel einer Person nicht verlängert wird, weil die Staatenlosigkeit nicht festgestellt ist. Aufgrund der fehlenden Aufenthaltserlaubnis gibt es dann aber auch keine Arbeitserlaubnis. Keinen Job.

Und die Chancen einen Aufenthaltstitel ohne Job zu bekommen sinken, die Menschen sind also in einem Teufelskreis. Und dann sind sie gezwungen, andere Wege zu finden, Geld zu verdienen und zu überleben.

Du hast die Organisation Statefree gegründet. Was genau ist die Idee dahinter?

Ich habe an meiner eignen Staatenlosigkeit gemerkt, dass es wahnsinnig schwer ist, an Informationen zu kommen, wie ich mit meiner Situation umgehen kann. Ich war ganz lange in dem Glauben, dass es nicht so viele Menschen geben kann, die das Problem betrifft. Sonst könnte es ja nicht sein, dass sich niemand darum kümmert, das Problem zu lösen.

Als ich dann angefangen habe, zu recherchieren, habe ich schnell herausgefunden, das stimmt nicht. Weltweit wird die Anzahl der Staatenlosen auf 15 Millionen geschätzt. In Deutschland sind wir über 120.000 Menschen. Für mich war es schockierend zu sehen, dass es so viele Menschen gibt, die dieselben Fragen und Zweifel haben.

Und deshalb hast du eine Plattform gegründet, auf der Betroffene Informationen austauschen können.

Und auf der sie ihre Erfahrungen miteinander teilen können. Staatenlosigkeit ist eine extrem isolierende Erfahrung. Auch, weil es extrem schambehaftet ist.

Warum das?

Die meisten Staatenlosen gehören unterrepräsentierten Gruppen an. Gründe für Staatenlosigkeit sind neben Krieg, der Auflösung von Staaten und politischen Konflikten natürlich auch diskriminierende Gesetze. Das heißt: Viele Staatenlose befinden sich in der Intersektionalität. Sie sind also nicht nur staatenlos, sondern auch schwarz oder auch weiblich.

Es gibt Länder, da können Frauen ihre Staatsangehörigkeit nicht an ihr Kind weitergeben. Es gibt Länder, in denen ganze Ethnien per Gesetz ohne Staatsangehörigkeit leben. In Deutschland wurden im Dritten Reich Jüd:innen aus der Staatsangehörigkeit entlassen. Die Menschen werden also politisch kleingehalten. Und gleichzeitig bekommt man durch die eigene Staatenlosigkeit das Gefühl, dass mit einem selbst etwas falsch ist.

Wie meinst du das?

Du bist eine Abnormität, die nicht in das System hinein passt. Gleichzeitig gibt es über Staatenlose viele kriminalisierte Narrative. Nach dem Motto: Sie müssen irgendetwas Schlimmes getan haben, um diesen Status zu haben. Dabei bin ich nicht schuld daran.

Was hat dich staatenlos gemacht?

Ich wurde in Deutschland geboren, als Kind westafrikanischer Eltern. Aufgrund der unzureichenden Identitätsnachweise meiner Eltern wurde ich gleich nach meiner Geburt als Kind mit ungeklärter Staatsangehörigkeit kategorisiert. Trotz der Tatsache, dass ich hier aufgewachsen und zur Schule gegangen bin, habe ich oft die Erfahrung gemacht, nicht dieselben Dinge tun zu können wie mein Umfeld. Nicht ins Schullandheim fahren, keinen Personalausweis vorzeigen können, nicht wählen. Ich bin also mit dem Gefühl aufgewachsen, dass man mich hier eigentlich gar nicht haben will.

Was willst du mit Statefree verändern?

Für uns geht es um Selbstermächtigung, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung. Wir wollen eine Community schaffen, in der Menschen erleben, dass sie nicht allein sind. Für Selbstermächtigung reicht es allerdings nicht nur, sichtbarer und in Gemeinschaft zu sein. Vor allem die Gleichberechtigung ist hierfür super wichtig: Wie kann sich politisch wirklich etwas verbessern für Staatenlose.

Und was genau strebt ihr da an?

Die Ampel-Koalition hat bereits im Koalitionsvertrag versprochen, dass das Staatsangehörigkeitsgesetz reformiert wird und dieses Momentum wollen wir nutzen! Denn oft passiert es, dass bei Reformen vergessen wird, dass Staatenlose eine spezielle Lebenssituation haben. Wir wollen, dass Staatenlosigkeit explizit genannt und anerkannt wird, damit sich auch in diesem Bereich endlich etwas verbessern kann.

Wir sind davon überzeugt, dass Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen könnte. Fortschrittliche Integration kann nicht ohne Staatenlose stattfinden. Aber dafür muss das Thema auf die Agenda kommen. Es würde viel verändern im Leben von Staatenlosen – auch mental. Denn es hat natürlich einen Einfluss auf die eigene Entwicklung, in einem Land aufzuwachsen, das dich abstößt.

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