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Interview

Menschenrechte: Amnesty stellt extreme Verschlechterung der Lage fest

THE HAGUE - Members of Amnesty International prior to offering signatures to the embassy of Qatar. The human rights organization calls on Qatar and FIFA to compensate the affected migrant workers who  ...
Amnesty International kritisiert die Menschenrechtslage im Weltmeisterschafts-Austragungsort Katar.Bild: IMAGO / ANP
Interview

Menschenrechte: Amnesty stellt extreme Verschlechterung der Lage fest

10.12.2022, 13:02
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Der 10. Dezember ist der Tag der Menschenrechte. 1948 wurde an diesem Jahrestag die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündet. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kämpft seit 1961 gegen Verletzungen und Missachtungen dieser Rechte an. Mit watson sprach Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, über die aktuelle Situation der Menschenrechte in Deutschland und weltweit.

Watson: Frau Duchrow, wie hat sich die Menschenrechtssituation in diesem Jahr entwickelt?

Julia Duchrow: In diesem Jahr hat sich die Menschenrechtslage extrem verschlechtert. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde eine Erosion der menschenrechtlichen Grundlagen fortgesetzt und wir haben eine massive Verletzung des Völkerrechts erlebt. Auch wenn es schon früher Verletzungen des Völkerrechts durch Staaten gegeben hat. Durch den Krieg in der Ukraine haben Verletzungen der Menschenrechte nochmal massiv zugenommen.

Julia Duchrow ist stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.
Julia Duchrow ist stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.bild: Amnesty International / Sarah Eick

Welche Menschenrechtsverletzungen konnten Sie in der Ukraine beobachten?

Durch die Auswahl der Ziele, durch die Auswahl der Waffen: Russland hat durch die Kriegsführung in der Ukraine wahllos zivile Opfer produziert. Aber auch die Menschenrechtssituation in Russland selbst hat sich massiv verschlechtert. Die Möglichkeit, sich diesem Krieg zu entziehen und diesen zu kritisieren, hat sich für viele Russen eingeschränkt. Allein schon die Möglichkeiten, sich gegen den Krieg zu äußern.

Es sind auch andere Kriege auf der Welt. Wie sieht es dort aus?

In Äthiopien herrscht ein Krieg, der international kaum Beachtung findet. Wo Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verzeichnen sind. Wo ethnische Säuberungen stattfinden. Es gibt immer noch den vergessenen Krieg im Jemen. Ganz aktuell finden massive Menschenrechtsverletzungen abseits von Kriegen im Iran statt. Wo Protestierende zum Tode verurteilt wurden und uns erste Berichte von der Umsetzung der Todesurteile erreichen.

"Wir dokumentieren die Fälle sehr genau. Und wir strengen einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus an."
Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, zu Menschenrechtsverletzungen im Iran

Was tut Amnesty International, um diesen Missständen zu begegnen?

Wir haben verschiedene Möglichkeiten, diesen Menschenrechtsverletzungen zu begegnen. Wir dokumentieren die Fälle, unterstützen in einzelnen Fällen ganz konkret. Beispielsweise mit "urgent actions", mit denen wir konkret bei akuten Fällen den Regierungsstellen schreiben, Unterschriften sammeln und den öffentlichen Druck auf die staatlichen Stellen des jeweiligen Landes zeigen, dass wir das beobachten.

Können Sie mir ein paar Beispiele nennen?

Zum Beispiel Katar: Wir haben immer noch eine Petition am Laufen, die Entschädigungszahlungen von der FIFA an die Angehörigen der Wanderarbeiter einfordert, die bei dem Bau der Stadien zur Fußball-Weltmeisterschaft umgekommen sind.

Ganz aktuell wurden die ersten Todesurteile gegen Protestierende im Iran vollstreckt. Was macht Amnesty zur Lage dort?

Wir haben zusammen mit anderen eine Demonstration organisiert, wir dokumentieren die Fälle sehr genau. Und wir strengen einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus an. Das ist ein großer Erfolg, dass es zum ersten Mal gelungen ist, eine Resolution der Bundesregierung in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einzubringen – obwohl die Bundesregierung ihrer Mehrheit im Vorfeld nicht sicher sein konnte.

Was war die Rolle von Amnesty International dabei?

Der zivilgesellschaftliche Druck und der Druck von Amnesty International war notwendig für diesen Schritt. Genauso die Forderung, Menschen aus der Russischen Föderation sicheren Aufenthalt zu ermöglichen. Auch damit Frauen, Männer, Journalisten und Aktivisten aus Afghanistan einen sicheren Aufenthalt bekommen können.

"Es ist ein Meilenstein, was ab dem 1. Januar mit dem Lieferkettengesetz für Unternehmen in Kraft treten wird."
Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty Deutschland

Haben Sie Beispiele, wo sich die Situation der Menschenrechte verbessert hat?

Es ist ein Meilenstein, was ab dem 1. Januar mit dem Lieferkettengesetz für Unternehmen in Kraft treten wird. Das schreibt Unternehmen vor, bei ihrer Geschäftstätigkeit im Ausland darauf zu achten, ob Menschenrechte eingehalten werden – wenn Partnerunternehmen produzieren, beispielsweise in Indien, ob da die Rechte der Arbeitnehmer eingehalten werden. Allerdings ist das Gesetz nicht ausreichend.

Warum nicht?

Es gibt keinen gesicherten Rechtsweg: Weil Klagen im Ausland ganz schwierig sein können, aber auch die Haftung nachzuweisen sich schwierig gestalten kann. Deshalb braucht es aus unserer Sicht ganz dringend ein wirksames europäisches Lieferkettengesetz.

Äußert sich Amnesty Deutschland zu Menschenrechtsfragen in Deutschland selbst?

Zur Menschenrechtssituation in Deutschland äußern wir uns schon. Wenn es um Rechte von Flüchtlingen an der EU-Außengrenze geht, dann ist das zwar nicht die Grenze Deutschlands. Aber wenn die Geflüchteten hier leben und es um eine mögliche Abschiebung in die Herkunftsländer geht, wo es massive Menschenrechtsverletzungen gibt, dann prangern wir das an.

Und was sagen Sie zu Missständen hier im Land?

Wir sprechen auch darüber, welche Menschenrechtsverletzungen es in der Polizeiarbeit in Deutschland gibt. Da fordern wir unabhängige Beschwerdestellen. In Deutschland fehlen für die Bundespolizei solche Stellen, die Verstöße unabhängig dokumentieren und aufarbeiten.

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