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Bücher gegen Krieg: Jung-Verleger will mit politischer Lyrik die Welt verändern

Fabian Leonhard hat mit 28 Jahren einen eigenen Verlag gegründet, um der politischen Lyrik wieder Leben einzuhauchen. Er möchte die Menschen mit seinen Gedichten wachrütteln.
Fabian Leonhard hat mit 28 Jahren einen eigenen Verlag gegründet, um der politischen Lyrik wieder Leben einzuhauchen. Er möchte die Menschen mit seinen Gedichten wachrütteln. Bild: / Trabanten Verlag
Interview

Gedichte können den Krieg nicht aufhalten? Ein junger Verleger erklärt, warum vielleicht doch

12.12.2022, 11:49
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Viele hielten ihn für verrückt: einen Verlag gründen, der Lyrik veröffentlicht, inmitten der Corona-Pandemie.

Aber Fabian Leonhard hat sich gedacht, warum eigentlich nicht? Am Anfang sei dies nicht geplant gewesen. Der 30-Jährige wollte lediglich einen Weg finden, um seine eigenen Gedichte zu verlegen – nun führt er seit zwei Jahren erfolgreich den Indie-Verlag Trabanten in Berlin. Mittlerweile stehen zwar Romane und Sachbücher im Fokus, aber die Lyrik werde immer ein wichtiger Bestandteil des Programms bleiben.

Leonhard will mit seinem Independent-Verlag vor allem auf politische Themen aufmerksam machen.
Leonhard will mit seinem Independent-Verlag vor allem auf politische Themen aufmerksam machen.bild: / Trabanten Verlag

Die Besonderheit seiner Gedichtbände: Sie sind hochpolitisch und beziehen Menschen auf den sozialen Medien mit ein.

Der junge Mann möchte Menschen wachrütteln und glaubt dabei an die Macht der Lyrik. Doch liest heute noch jemand Gedichte und wie politisch darf Literatur sein? Dazu hat sich watson mit dem Literaturliebhaber unterhalten.

Watson: Fabian, was liest du momentan?

Fabian Leonhard: "Anleitung ein anderer zu werden" von Édouard Louis.

In diesem Buch hinterfragt der Protagonist die radikale Selbstveränderung, die sich nie ganz vollendet. Inwiefern trifft das auf dich zu?

Es trifft zu, vielleicht nicht ganz so radikal wie im Buch. Aber nach zwei Jahren, in denen ich den unabhängigen Trabanten Verlag aufgebaut habe, erwarten mich persönliche sowie berufliche Veränderungen. Ich und der Verlag werden sich viel stärker politisch engagieren – auch durch Proteste und Kunstaktionen.

Wie politisch darf Literatur denn sein?

Literatur darf extrem politisch sein. Wir leben in extrem politischen Zeiten – wie schon lange nicht mehr. Wohlfühl-Literatur und Liebesschnulzen gibt es zur Genüge. Gerade die Lyrik kann etwas, was andere Kunstformen nicht können.

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Der Buchmarkt ist ein hartes Pflaster – Lyrik hat es da oft besonders schwer.Bild: dpa / Rolf Vennenbernd

Und was ist das?

Sie kann sich extrem schnell auf neue Situationen einstellen. Mit Lyrik kann man rasch auf Krisen reagieren, wie etwa auf den Krieg in der Ukraine. Ein Gedicht ist schnell von der Hand geschrieben. Mithilfe von Social Media kann man es in die Welt hinaustragen. Das finde ich spannend und es funktioniert eben auch.

Inwiefern?

Worte berühren Menschen und nehmen sie gefühlsmäßig mit. So sehr, dass sie zum Nach- und Umdenken anregen können. Anstatt der täglichen Schlagzeilen bieten Gedichte einen anderen Weg, um über die aktuellen Geschehnisse nachzudenken. Das ist bemächtigend und kann etwas bewegen. Man darf Lyrik nicht mehr einfach abwinken, nach der Devise: Ja, schreib mal deine Gedichte, die werden nicht den Krieg aufhalten. Am Ende geht es darum, in vielen Köpfen eine Veränderung auszulösen. Es ist ein Instrument, das heute wichtiger als je zuvor ist.

Auch für die jüngere Generation? Gelten Gedichte nicht als out?

Durch Social Media sind gerade junge Menschen kurze Texte gewöhnt. Das ist eine große Chance, die es vorher nicht gegeben hat. Über unsere Projekte wie "Lockdown-Lyrik" und "Anti-Kriegs-Lyrik" kommen allerhand Menschen zum ersten Mal wieder mit Gedichten in Berührung. Diese Projekte wecken Interesse bei den Jüngeren und Älteren.

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Über die sozialen Netzwerke ermutigt Leonhard Menschen Gedichte zu lesen und zu verfassen.Bild: AP / Richard Drew

Über die sozialen Netzwerke rufst du Menschen direkt auf, sich an Gedichtbänden zu beteiligen und Texte einzureichen.

Und das funktioniert wunderbar. Ich beziehe die Leute direkt mit ins Projekt ein. Es waren auch schon bekannte Persönlichkeiten dabei, wie etwa Linken-Politiker Gregor Gysi oder die Schriftstellerin Sibylle Berg.

Und gibt es bald einen neuen Gedichtband?

Momentan arbeiten wir an dem Gedichtband "Revolutions-Lyrik". Wir sammeln Texte für die Freiheit der Menschen im Iran. Dieses Buch soll die Demonstrierenden unterstützen, die jeden Tag ihr Leben riskieren.

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Im Iran riskieren Frauen und Männer momentan ihr Leben, weil sie gegen das autoritäre Regime protestieren.Bild: AP

Kann wieder jeder daran teilnehmen?

Ja. Die Aktion ist gerade erst gestartet. Wir werden noch bis Weihnachten die Gedichte aus Deutschland und Europa sammeln. Die besten Texte landen im Gedichtband. Dabei wollen wir auch eine große Anzahl an Gedichten aus dem Iran sammeln. Wir arbeiten dazu mit Nichtregierungsorganisationen zusammen und schmuggeln Texte von Iranerinnen aus dem Land.

Das klingt gefährlich. Wie läuft das ab?

Die Texte werden über eine Mittelsfrau sicher nach Deutschland gebracht. Mehr kann ich dazu nicht sagen, weil wir die Frauen wirklich schützen müssen. Das ist die oberste Priorität. Wir übersetzen ihre Gedichte und veröffentlichen sie unter einem Pseudonym.

Trägst du auch ein Gedicht bei oder fehlt dir dafür Zeit und Muße als Verlagsleiter?

Ich fange gerade erst wieder an mit dem Dichten und Schreiben. In den vergangenen zwei Jahren bin ich kaum dazu gekommen. Es war ein enormer Kraftakt, den Verlag aufzubauen. Erst jetzt kann ich wieder durchatmen.

"Ich finde es beschämend, wie unpolitisch viele Bücher sind."

Und worüber willst du dichten?

Vieles. Die Weltlage prasselt auf mich ein. Das ist wie so eine Welle, die über mich einschlägt. Kapitalismus, Klimawandel, Krieg, Inflation – die überlappen sich alle. Wahrscheinlich werde ich Gedichte schreiben, die einfach alles thematisieren.

Nutzt du Gedichte als Ventil, um persönlich mit der Lage in der Welt umzugehen?

Ich kenne Leute, denen hilft das. Aber das war nie meine Intention. Bei der politischen Lyrik geht es mir weniger um meine eigene Empfindsamkeit, sondern vielmehr um den Demonstrationsgeist. Ich möchte mit meinen Texten die Menschen wachrütteln. Im Idealfall landet eines meiner Gedichte auf einem der Plakate zu großen Demonstrationen.

Blüht die politische Lyrik wieder auf in diesen unruhigen Zeiten?

Ich denke schon. Es zeigt sich allein daran, dass meine Projekte auf großes Interesse bei den Menschen in den sozialen Netzwerken stoßen, aber auch bei den Medien. Es wird nicht mehr einfach weggelächelt, wie früher.

Und die großen Verlage? Veröffentlichen sie genügend politische Literatur?

Ich finde es beschämend, wie unpolitisch viele Bücher sind. Man muss sich dazu nur mal die Bestseller-Liste anschauen. Sie ist voll von leichten, sanften Wohlfühl-Themen. Das Politische und Wachrüttelnde gibt es zwar, aber man muss teilweise danach suchen.

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Laut Leonhard müsste es viel mehr politische Bücher in den Buchhandlungen geben. Bild: dpa / Frank Rumpenhorst

Aber viele Verlage publizieren doch politische Bücher, zum Beispiel über Feminismus.

Wenn die Verlage bemerken, ein Thema läuft gut wie eben Feminismus, dann werden endlos viele Bücher dazu verlegt. Das war schon immer so, aber heute ist das extrem. Verlage müssen eben Geld verdienen. Sie sind wirtschaftliche Unternehmen – aber sie sind auch mehr als das und tragen Verantwortung. Die Themen, die verlegt werden, sind auch jene, über die diskutiert wird.

Wie könnte man das Problem lösen?

Vielleicht würde es helfen, wenn Verlage noch mehr staatliche Zuschüsse erhalten würden. Damit werden sie freier. Am Ende des Tages leben wir im Kapitalismus und ein Verlag kann sich nicht davon freispielen. Die Mitarbeiter:innen müssen bezahlt werden, die Mieten für das Büro steigen. Der Verlag muss Bücher produzieren, die sich gut verkaufen. Das ist ein Konflikt, den kann man nicht wegwischen. Umso schöner ist es, dass dennoch Verlage politische Bücher herausbringen, die wichtig sind.

Wie dein Verlag.

Mir ist es wichtig, nicht nur dem Geld zu folgen, sondern auch meinen Idealen. Und dazu gehört für mich, gute Gedichte zu veröffentlichen, die andere Menschen berühren und im besten Fall auch etwas verändern.

Und mit welcher Persönlichkeit würdest du gern mal gemeinsam einen Gedichtband schreiben?

Es ist gar nicht so leicht, junge, talentierte Lyriker:innen zu finden.

Echt?

Ja, weil man Leute finden muss, die es schaffen sechzig bis achtzig gute Gedichte zu schreiben. Man findet viele, denen es immer mal wieder gelingt, ein gutes Gedicht zu verfassen. Aber eine große Menge an guten Texten, da wird es eng. Aber ich bin immer auf der Suche.

Gibt es unter den verstorbenen Lyriker:innen eine Person, mit der du gern einen Band gemacht hättest?

Auf alle Fälle mit dem österreichischen Lyriker Erich Fried. Er hat die politische Lyrik perfektioniert. Auch die einfache, ganz klare Sprache. Den hätte ich auch gern verlegt.

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