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Interview

Wer geht auf "Hygiene-Demos"? Protest-Forscher erklärt das Corona-Phänomen

May 9, 2020, Munich, Bavaria, Germany: Despite ongoing relaxing measures, a “Querfront” (cross-front) mixture of 3,000 conspiracy theorists, QAnon followers, right-extremists, AfD figures, neonazi ...
Teilnehmer der "Hygiene-Demo" in München am 9. Mai. Bild: ZUMA Wire / Sachelle Babbar
Interview

Wer geht auf "Hygiene-Demos"? Protest-Forscher erklärt das Phänomen

13.05.2020, 17:4314.05.2020, 07:54
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Erfuhren die Corona-Beschränkungen der Bundesregierung am Anfang noch eine breite Zustimmung der Bürger, regt sich inzwischen mehr Protest. Am vergangenen Wochenende fanden in Berlin, München, Frankfurt und Stuttgart Proteste mit teilweise mehreren Tausend Menschen statt. Dazu kamen viele kleinere Aufmärsche in anderen Städten. In der Hauptstadt treffen sich schon seit längerem Protestierende samstags zu sogenannten "Hygiene-Demos". Die erste dieser Demos fand unter diesem Titel Ende März statt.

Die Teilnehmer der Demonstrationen sind auf den ersten Blick eine bunte Mischung. Natürlich sind Impfgegner prominent vertreten, alle möglichen Schattierungen von Verschwörungstheoretikern ebenfalls. Dazu kommen auffällig viele Akteure aus dem rechten Spektrum. Doch auch vermeintlich ganz normale Menschen von nebenan sieht man mitlaufen.

Protestforscher Peter Ullrich von der Technischen Universität Berlin und vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung sieht in den Protesten ein klares Muster: Das Weltbild vieler Teilnehmer sei diffus, aber im Zweifel rechtspopulistisch, erklärt er im Interview mit watson. Linke Gruppen sieht er dagegen kaum bis gar nicht vertreten. Er betont allerdings, die Forschung wisse noch zu wenig über die Zusammensetzung der Demonstrationen. Daher seien alle Aussagen dazu unter Vorbehalt getroffen.

"Viele Leitfiguren sind als Verschwörungstheoretiker bekannt."

watson: Wie setzen sich die Teilnehmer der Hygiene-Demos zusammen?

Peter Ullrich: Es handelt sich um neues, eher volatiles Phänomen, wie wir es in den vergangenen Jahren immer mal wieder erleben. Das heißt, es werden viele Menschen mobilisiert, die bisher nicht zwingend politisch engagiert waren. Das gilt auch für manche Organisatoren, die neu auf der politischen Bühne sind. Viele Beteiligte verwenden aber Kennzeichen, die man zuordnen kann.

Zum Beispiel?

Es gibt da viel Esoterik, und erfahrene Demonstrationsbeobachter haben diverse bekannte Rechtsextreme und Neonazis ausgemacht. Viele Leitfiguren sind als Verschwörungstheoretiker bekannt.

Ist das etwas Neues oder gab es das schon vorher?

Das ähnelt in gewisser Weise den Montagsmahnwachen für den Frieden im Jahr 2014. Doch die waren zumindest anfangs wirklich sehr heterogen, auch einige Linke haben versucht, die Mahnwachen zu beeinflussen. Diese diffusen Bewegungen bilden sich, weil sich, insbesondere mit dem Internet, die Strukturen der politischen Öffentlichkeit verändern, vielfältiger werden. Soziale Medien erlauben auch die Vernetzung von Akteuren, die sich sonst nie begegnet wären.

Welche Gruppe spielt dabei die Hauptrolle?

Das Milieu der obskuren Verschwörungstheoretiker scheint eine besondere Rolle zu spielen, dazu Rechtsextreme.

Ken Jebsen auf einer "Hygiene-Demo" in Berlin.
Ken Jebsen auf einer "Hygiene-Demo" in Berlin.Bild: imago images / Rolf Zöllner
"Es dominiert eine diffuse, teils ideologisch ungefestigte, aber im Grundsatz rechtspopulistische Weltsicht."

Welche Rolle spielen linke Gruppen?

Immer mal wieder wird das Ganze "Querfront" genannt – das war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Strategie, Nationalisten und national orientierte Linke zusammenzubringen.

Beobachten Sie das in diesem Fall auch?

Ich halte das für einen völlig unangemessen Begriff, denn es sind eigentlich so gut wie keine organisierten Linken bei diesen Protesten zu erkennen. Vielmehr dominiert – bei allem Widersprüchlichen und Uneindeutigen – eher eine diffuse, teils ideologisch ungefestigte, aber im Grundsatz rechtspopulistische Weltsicht.

"Die Leugnung der Pandemie hat ja etwas von Weltflucht, ist extrem unsolidarisch und egoistisch."

Was eint die verschiedenen Teilnehmer?

Das ist ebenfalls etwas spekulativ. Aber der Ruf nach "Freiheit" scheint mir nur sehr bedingt etwas mit dem libertären Willen zu tun zu haben, nicht drangsaliert zu werden und sich frei zu entfalten. Denn die Leugnung der Pandemie hat ja etwas von Weltflucht, ist extrem unsolidarisch und egoistisch. Dabei gibt es ja durchaus Anlass zur Sorge: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit beispielsweise ist anfangs sehr autoritär eingeschränkt worden.

Was meinen Sie konkret?

Vor allem kleine linke Demonstrationen für die Aufnahme von Geflüchteten, mit wenigen Leuten und großem Abstand, hatten teilweise mit massiven Polizeireaktionen umzugehen. Allerdings können die sogenannten "Hygiene-Demos" ganz offensichtlich stattfinden, obwohl sie alle Standards der aktuellen Pandemie-Situation unterlaufen. Es ist schon fast bizarr – schließlich fühlt sich die Bewegung ja eher unterdrückt, obwohl man sie weitgehend gewähren lässt.

"Gerade die Selbstdarstellung als Verfolgte, zum Beispiel mit Judensternen, zeigt wie verdreht die Realitätswahrnehmung ist, die zudem noch die antisemitischen Verbrechen des Holocaust relativiert."

Viele Teilnehmer berufen sich auch auf die Demokratie, die es aus ihrer Sicht zu schützen gilt. Was halten Sie davon?

Auch demokratisch ist die Bewegung kaum: Man geriert sich als Stimme des Volkes, obwohl man nur eine kleine Minderheit repräsentiert. Wenn man sich dann noch die Bedeutung rechter Akteure vor Augen führt, drängt sich der Eindruck auf, dass es eher eine ziemlich autoritäre Mischung ist, in der sich Ressentiment gegen soziale Verantwortung, vermeintliche Übeltäter und 'die da oben' entlädt.

Kommt es auch zu Konflikten zwischen den verschiedenen Gruppen, die teilnehmen?

Es gab vereinzelte Berichte, dass um die Fahne des deutschen Reiches und ähnliche Symbole gestritten wurde. Ein Redner, der "Nazis raus" rief, soll ausgebuht worden sein. Dies zeigt die grundsätzliche Richtung. Gerade die Selbstdarstellung als Verfolgte, zum Beispiel mit Judensternen, zeigt wie verdreht die Realitätswahrnehmung ist, die zudem noch die antisemitischen Verbrechen des Holocaust relativiert. Das ist nicht nur ein unpassender Vergleich, das ist angesichts der grassierenden Verschwörungserzählungen antisemitische Täter-Opfer-Umkehr.

Querdenken Demo auf dem Canstatter Wasen - Tausende Menschen besuchen die Veranstaltung - Abstand wird teilweise nicht eingehalten Demo für Grundrechte auf dem Wasen - Ken Jebsen mi Maske und vesteckt ...
Teilnehmer an der "Querdenken"-Demonstration in Stuttgart am 9. Mai.Bild: www.imago-images.de / 7aktuell.de Marc Gruber
"Alle Menschen sind ideologisch geprägt."

Immer wieder wird betont, dass auch viele "normale Bürger" mitlaufen würden. Wie schätzen Sie das ein?

Die Unterscheidung in feste ideologische Gruppen und "ganz normale Bürger" ergibt nicht viel Sinn. "Ganz normale Bürger" haben alle ihre politische Meinung und die sind auch ernst zu nehmen. Alle Menschen sind ideologisch geprägt – sei es durch den Mainstream mit seinen neoliberalen, nationalen, konservativen und sozialdemokratischen Elementen oder seien es weniger dominante Strömungen.

Aber Menschen mit einem festen rechtsextremen Weltbild sind das ja nicht.

Wenn ganz normale Bürger mit Rechten auf eine Demo gehen und dort rechte Symbole okay finden und rechte Verschwörungsmythen vertreten oder hinnehmen, dann sind es eben ganz normale, rechts eingestellte Teilnehmer. Die sind mündig und brauchen keinen Welpenschutz als Politikneulinge.

Prägend für die Protestbewegung sind diese Menschen aber wohl nicht, oder?

Es gibt natürlich organisierte Akteure – rechte Gruppen, Alternativmedien und so weiter – die dem Ganzen eine Form geben und mit ihrer Erfahrung, ihren Medien, größeren Einfluss auf die Gestalt des Protests ausüben.

Peter Ullrich
Peter Ullrich ist Soziologe und Kulturwissenschaftler. Er ist Ko-Leiter des Bereichs "Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte" am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Außerdem ist er Fellow am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin und im Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Politische Soziologie, Protest-, Polizei- und Antisemitismusforschung.
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