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Familiennachzug gestoppt: CDU und CSU belügen sich selbst

Schlussbild mit Friedrich Merz CDU Vorsitzender und Kanzlerkandidat ,Markus SOEDER Ministerpraesident Bayern und CSU Vorsitzender ,Alexander DOBRINDT Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bun ...
"We Are Family", aber Theorie und Praxis klaffen bei der Merz-Union weit auseinander. Bild: imago images / Sven Simon
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Familiennachzug gestoppt: Die Mär von den "Familienparteien" CDU und CSU

Union und SPD haben im Bundestag beschlossen, den Familiennachzug für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus für zwei Jahre auszusetzen. Weder als konkrete Maßnahme noch als Symbol ergibt die Entscheidung Sinn. Besonders den "Familienparteien" CDU und CSU darf man Doppelmoral vorwerfen.
27.06.2025, 16:2427.06.2025, 16:25
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"Die CSU ist die Familienpartei. Wir stehen für eine familienfreundliche Gesellschaft, in der Kinder willkommen sind und Familien wertgeschätzt werden."

"Familien sind die Keimzelle der Gesellschaft und Grundlage für deren Zusammenhalt."

"Wir als Union sind eine Familienpartei, das hat sie geprägt. Das gilt es fortzuführen."

Auf CSU-Websites, im Grundsatzprogramm der CDU, in Reden führender Parteipolitiker:innen, wie der stellvertretenden CDU-Generalsekretärin Christina Stumpp: Die Union spart beim Thema Familienpolitik selten an Eigenlob und Absolutheitsanspruch.

Richtige, echte Politik für Familien: Ausschließlich die Unionsparteien sollen diese den Müttern, Vätern und Kindern in Deutschland bieten. Jedoch: Wessen Familie nicht etwa dem urdeutschen Bürgertum angehört, wird gerne mal im Familienkonzept der Union ignoriert oder abgelehnt.

Friede den Großfamilien, Krieg den Clans. Und auch in der aktuellen Migrations- und Fluchtpolitik der Union spiegelt sich das wider, so beschloss der Bundestag am Freitag: Der Familiennachzug für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus wird für zwei Jahre ausgesetzt.

Familiennachzug gestoppt: Union belügt sich bei Sicherheit

Dabei sollten es ausgerechnet CDU und CSU doch besser wissen. Auch wenn die Schwesterparteien durch ihren Fokus auf traditionelle Familien des Öfteren drohen, andere Modelle der Liebe und des Zusammenlebens zu vernachlässigen: Sie haben einen Punkt, wenn sie in einer sich immer weiter individualisierenden Gesellschaft auf die Wichtigkeit von Gemeinschaft pochen.

Den sogenannten subsidiär Schutzberechtigten – häufig von Krieg und Verfolgung im eigenen Land bedrohten Männer aus Syrien, Afghanistan, Iran, Somalia oder anderen Ländern – verwehrt die Union nun nicht nur den Nachzug ihrer Frauen und Kinder. Sie erschwert es ihnen auch, integrierte Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden.

"Wer in Familien investiert, investiert in die Zukunft unseres Landes", erklärte noch vor Kurzem die familienpolitische Sprecherin der Union-Bundestagsfraktion, Anne König. Doch gleichzeitig verkauft ausgerechnet die Union den Stopp des Familiennachzugs als Maßnahme, um die Sicherheit Deutschlands zu verbessern.

BT Abstimmung Grundgesetz
"Familie ist alles, Bro." – "Ja man, Family first."Bild: imago images / mike schmidt

Kanzler Friedrich Merz scheiterte, damals noch als Oppositionsführer, bereits im Januar daran, ein Migrationsgesetz – unter anderem die Abschaffung des Familiennachzugs – zu verabschieden. Er verstehe nicht, wie man sich diesen Maßnahmen nicht anschließen kann, "wenn wir eine solche Gefährdung der inneren Sicherheit und Ordnung in unserem Land haben" sagte Merz damals.

Doch der Stopp des Familiennachzugs hilft nicht nur nicht, die Sicherheit zu verbessern – er ist sogar "kontraproduktiv". Das sei unter Wissenschaftler:innen Konsens, erklärte die Kriminologin Gina Wollinger im April dem ARD-Magazin "Monitor".

Familie und soziales Umfeld seien "stabilisierende Faktoren" für Menschen. Wer "sozialen Rückhalt" habe, begehe mit geringerer Wahrscheinlichkeit Straftaten.

Kommunen bei Geflüchteten am Limit? Studie widerspricht

Es ist davon auszugehen, dass diesen einfachen Zusammenhang auch Unions-Politiker:innen verstehen. Alternativ werden von den Parteien auch weitere Gründe angeführt.

André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) und bis 2023 auch CDU-Bundestagsabgeordneter, erklärte zuletzt in der "Neuen Osnabrücker Zeitung", dass die Integration der Flüchtlinge in den Gemeinden mit Familien zwar einfacher wäre. Dennoch ist das Aussetzen des Familiennachzugs richtig, weil der Wohnraum immer knapper werde.

Die Kommunen seien weiterhin an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit "und teils darüber hinaus", bescheinigte der DStGB-Chef.

Doch eine Befragung der Universität Hildesheim und des "Mediendienstes Integration" aus dem Mai 2024 zeigte: Lediglich 22,9 Prozent der Kommunen sind bei der Unterbringung von Geflüchteten "überlastet, im Notfallmodus" – in Ostdeutschland sind es gar lediglich 7,7 Prozent.

Statt den Familiennachzug abzuschaffen, sollte die schwarz-rote Koalition also vielleicht seine Energie darauf verwenden, neue Werkzeuge zur Verteilung von Geflüchteten zu entwickeln.

Migration: Symbolpolitik und Hetze bestimmen deutschen Diskurs

Letztlich geht es der Union um Kanzler Merz und Innenminister Alexander Dobrindt wohl ausschließlich um Symbolpolitik, rational ist das Aussetzen des Familiennachzugs kaum zu argumentieren.

Doch was ist das für ein Symbol? Wir lassen weniger Frauen und Kinder, ausgerechnet aus den am härtesten gebeutelten Ländern, nach Deutschland? Eine grausame Botschaft, wenn auch keine überraschende. Die Union vermischt, gehetzt von der AfD, schon seit Langem Migrations-, Flucht-, Sicherheitspolitik und andere Felder miteinander.

"Ausländerpolitik", so müsste man es mittlerweile ehrlich zusammenfassen, was die Union da macht. Dazu noch reichlich destruktiv.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Natalie Pawlik (SPD), warnte diesbezüglich im Bundestag, man müsse endlich wegkommen, von der "Negativdebatte" über Migration. Schließlich biete diese auch Chancen für die deutsche Gesellschaft.

Pawlik hat recht damit. Die betroffenen subsidiär Schutzberechtigten erhalten in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis, die sie auch berechtigt, zu arbeiten. Es ist längst bekannt, dass Deutschland wegen des demografischen Wandels massenhaft sowohl hochqualifizierte Fachkräfte als auch weniger gut ausgebildete Arbeiter:innen aus dem Ausland braucht.

Dass das Aussetzen des Familiennachzugs Leid "für Kinder, die ihre Eltern nicht sehen können, für Ehepartner, die sich nur über Bildschirme begrüßen können", bedeutet, wie der Grünen-Abgeordnete Marcel Emmerich im Bundestag kritisierte, verfängt im ausländerfeindlichen Diskurs eh schon längst nicht mehr. Besonders nicht bei den "Familienparteien".

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