Katharina Schulze ist gemeinsam mit Ludwig Hartmann Spitzenkandidatin der Grünen in Bayern. Bild: picture alliance / daniel löb
Interview
21.09.2023, 07:3121.09.2023, 07:39
Erster Wiesn-Sonntag, 13.30 Uhr am Münchner Odeonsplatz. Katharina Schulze ist auf die Minute pünktlich.
Die 38-Jährige trägt Dirndl. Die Spitzenkandidatin der Grünen im bayerischen Landtagswahlkampf kommt vom traditionellen Trachtenumzug. "Ist es okay, wenn wir was essen gehen?", fragt sie.
Einige Minuten später sitzt sie in einem Café gegenüber der Universität, einen Teller Pasta vor sich.
Fast 90 Minuten lang spricht sie im watson-Interview über die Klimakrise, Hass im Netz, mangelnde Gleichberechtigung sowie – es ist nicht zu vermeiden – Markus Söder und Hubert Aiwanger.
Wenige Stunden später wirft ein Mann bei einem Wahlkampfauftritt in Neu-Ulm einen Stein in Richtung Schulze. Er wird festgenommen. Getroffen wurde glücklicherweise niemand. Doch der Vorfall passt zu den Themen, über die Schulze im Gespräch redet.
2018 bejubelte das Spitzenduo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann (r.) mit 17,6 Prozent ein grünes Rekordergebnis in Bayern.Bild: imago images / Sven Simon
Watson: Frau Schulze, wie rechts ist Bayern?
Katharina Schulze: Ich erlebe Bayern als vielfältig und sehr bunt. Ich bin seit Wochen in ganz Bayern unterwegs – und überall treffe ich viele Leute, die dafür arbeiten, dass es hier auch weiterhin so schön ist. Leider gibt es auch in Bayern zu viele Fälle von rechtsextremer Gewalt, Antisemitismus und Rassismus. Hass und Hetze im Netz nehmen zu. Mit Sorge sehe ich die zunehmende Verrohung in diesem Wahlkampf.
Eine AfD, die ungefähr so stark ist wie die Grünen, belegt das. Wenn man den Umfragen Glauben schenken darf, werden am 8. Oktober zwei Drittel aller Menschen eine Partei rechts der Mitte wählen.
Sehr viele Menschen machen sich genau deshalb Sorgen. Die AfD wird stärker, der Populismus greift um sich. Ich finde es schon immer wichtig, stärker darauf zu achten, den Hatern und Hetzern nicht so viel Raum zu geben. Sie sind sehr laut, deswegen werden die vielen anderen Stimmen oft nicht gut gehört. Alle, die möchten, dass Bayern auch in Zukunft gut dasteht, sollten sich jetzt darauf konzentrieren, demokratische Bündnisse zu schmieden.
Ein kurzfristiges Bündnis sind in Thüringen auch die Oppositionsparteien eingegangen: Die CDU hat ein Gesetz mit den Stimmen der AfD durchs Parlament gebracht.
Für mich ist durch Thüringen und durch die Entwicklungen um Hubert Aiwanger hier in Bayern in den letzten Wochen etwas zerbrochen.
Wie meinen Sie das?
Ich ging immer davon aus, dass unter politischen Mitbewerbern – auch wenn man verschiedene Meinungen hat – ein demokratischer Grundkonsens herrscht: Erinnerungskultur nach vorne stellen, jegliche Form von Antisemitismus vehement bekämpfen. Und dass wir uns gemeinsam gegen die stellen, die unsere Demokratie kaputt machen wollen. Sowohl Hubert Aiwangers Verhalten als auch Markus Söders Entscheidung, an ihm festzuhalten, haben mein Grundvertrauen erschüttert, wie auch das Verhalten der CDU in Thüringen.
Katharina Schulze sitzt seit zehn Jahren im Landtag.Bild: imago images / rolf poss
Ihre Partei profitiert von den Debatten um Aiwanger nicht, Umfragen sagen gerade zwischen 14 und 16 Prozent voraus. Mit welcher Zahl wären Sie zufrieden?
Wir haben als bayerische Grünen klar gesagt, dass wir Regierungsverantwortung übernehmen wollen. Wir möchten so stark werden, dass niemand an uns vorbeikommt. Wir sind der Meinung: Fünf Jahre weiterer Stillstand kann sich unser schöner Freistaat schlicht nicht leisten.
Markus Söder arbeitet sich fast ausschließlich an Ihrer Partei ab. Warum hat er Angst vor den Grünen?
Da müssen Sie ihn fragen. Ich weiß nur: Wir Grünen sind Teil von elf Landesregierungen. Sechs davon mit der CDU. Es gab 2018 Umfragen in Bayern, die zeigten, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Schwarz-Grün wollte. Und ja, mit so einer Konstellation kann man das Beste aus verschiedenen Welten zusammenbringen.
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Andersrum gefragt: Könnten Sie sich wirklich vorstellen, vertrauensvoll mit Markus Söder zusammenzuarbeiten?
Ich finde es in Zeiten wie diesen wohlfeil, mich zu verschließen, nur weil mir die Nase von einem nicht passt. Demokratinnen und Demokraten müssen immer miteinander reden können. Es geht am Ende immer ums Land und nicht um die Partei. So ist mein Verständnis von Politik.
"Uns muss klar sein: Wenn wir jetzt nichts verändern, wird nichts besser, sondern auf Dauer schlechter."
Bayern gehört in vielen Dingen zur Spitze Deutschlands. Im Kampf gegen die Klimakrise geht hingegen wenig voran. Können Sie das erklären?
Wenn die bayerische Regierung nur über die Ampel in Berlin schimpft und mit sich selbst beschäftigt ist, darf man sich nicht wundern, wenn unser schönes Land beim Klimaschutz hinterherhinkt. Das Vorgehen von CSU und Freien Wählern ist beschämend. Ich nenne mal ein konkretes Beispiel: Nur auf knapp fünf Prozent aller staatlichen Liegenschaften Bayerns sind Solaranlagen auf den Dächern.
Dennoch hält sich die Empörung darüber an den Wahlurnen in Grenzen. Was machen die Grünen kommunikativ falsch?
Es ist wichtig, dass wir wieder mehr darüber reden, was wir durch mehr Klimaschutz gewinnen – weil bei ganz vielen Leuten immer Bilder in den Köpfen sind, was man angeblich alles verliert. Wenn wir das Klima schützen, schützen wir unser Eigentum und uns selbst. Hagelstürme und Unwetter zerstören Häuser und Autos.
Das heißt?
Der Ausbau von Wind und Sonne macht unseren Strom und damit unser Leben billiger. Städte, die nicht so heiß werden im Sommer, Dachgeschossbewohner, die einigermaßen gut schlafen können, Seniorinnen mit weniger gesundheitlichen Problemen, Kinder, die auch im Hochsommer Spielplätze benutzen können. Das ist doch alles ein großer Gewinn. Wir müssen als Gesellschaft mutiger werden und die Chancen ergreifen. Uns muss klar sein: Wenn wir jetzt nichts verändern, wird nichts besser, sondern auf Dauer schlechter.
In Bayern ist besonders auffällig, dass diese Botschaften in den Großstädten ankommen, auf dem Land aber nicht. Warum?
Ich warne davor, diese Stadt-Land-Spaltung zu befeuern. Ich halte das für gefährlich. Gerade bei der Energiewende bin ich überzeugt, dass der ländliche Raum der Gewinner sein wird. Wir können nicht da vorne auf dem Marienplatz eine Windparkanlage aufstellen. Aber im ländlichen Raum, wo du den Platz hast, können Kommunen Energieunternehmen gründen. Dann dreht sich das Windrad und in der Gemeindekasse klingelt es. Und mit dem Geld kannst du deine Kita finanzieren und das Schwimmbad in Schuss halten. Wohnen Sie hier in München zu Miete?
Ich? Ja.
Ich auch. Und? Haben Sie einen Parkplatz mit eigener Ladesäule?
Nein, natürlich nicht.
Sehen Sie. Auf dem Land kannst du dein E-Auto mit dem Strom vom eigenen Dach laden. Das meine ich: Wir dürfen Klimaschutz nicht zum Spalt-Thema zwischen Stadt und Land machen, wie es die Herren Söder und Aiwanger gerne tun. Was man liebt, spaltet man nicht. Wir müssen ganz Bayern fit für die Zukunft machen. Wir brauchen eine Mobilitätswende mit einem viel besseren ÖPNV. Dennoch wird im ländlichen Raum das Auto weiter ein wichtiges Fortbewegungsmittel bleiben. Aber wir wollen, dass Menschen wenigstens das zweite Auto abschaffen können.
Davon ist Bayern vielerorts ebenso weit entfernt wie von der finanziellen Gleichberechtigung von Mann und Frau. Bayern hat die zweitgrößte Lohnlücke aller Bundesländer.
Daran wollen wir dringend etwas ändern. Wir fordern zum Beispiel ein Vergabegesetz: Wenn der Staat öffentliche Aufträge vergibt, würde dann darauf geschaut werden, ob die Unternehmen auf Geschlechtergerechtigkeit und betriebliche Frauenförderung achten.
"Will Markus Söder all denen absprechen, bayerisch zu sein? Das ist doch einfach nur Quatsch."
In der Politik sieht es in Sachen Parität nicht besser aus.
Ja, Politik ist immer noch sehr männlich geprägt, mit all den Auswirkungen. Aber je mehr Frauen wir dort sind, desto mehr verändert sich die politische Kultur. Vielfalt bringt uns voran.
Markus Söder warnt gerne davor, dass die Grünen die bayerische Kultur nicht verstehen würden.
Wir sind aktuell die zweitstärkste Kraft in Bayern, bei der letzten Landtagswahl haben 17,6 Prozent der Menschen die Grünen gewählt. Will Markus Söder all denen absprechen, bayerisch zu sein? Das ist doch einfach nur Quatsch.
Katharina Schulze ist 38 Jahre alt. Damit dürfte sie in Bayern nicht Ministerpräsidentin werden, weil sie zu jung ist.Bild: imago images / panama pictures
Eine Wechselstimmung will in Bayern dennoch nicht aufkommen. Geht es Bayern zu gut, um für eine Veränderung bereit zu sein?
Mit so pauschalen Äußerungen muss man vorsichtig sein. In Bayern wächst jedes siebte Kind in Armut auf. Das ist etwas, was sich der wohlhabende Freistaat nicht leisten darf. Wir müssen, auch in Bayern, ganz gezielt Familien entlasten und Kinder aus der Armut holen.
Sie haben zu Beginn des Gesprächs über Hass und Hetze gesprochen. Darauf möchte ich noch einmal zurückkommen, weil Sie davon auf Social Media massiv betroffen sind. Wie verkraften Sie das – als Mensch?
Ich würde Ihnen jetzt gerne sagen, dass mir das alles gar nichts ausmacht.
Das würde ich Ihnen nicht glauben.
An manchen Tagen kann ich das besser abschütteln, an anderen nicht. Wenn ich morgens aufwache, geht mein Griff zum Handy. Wenn dann das Erste, was du in der Früh liest, sexistische Beleidigungen sind oder dass du vergewaltigt gehörst, dann tut das weh.
Und wie verarbeiten Sie das?
Mir geht es besser, wenn ich aktiv etwas dagegen mache. Mittlerweile zeige ich alle strafrechtlich relevanten Dinge an. Und ich habe im Landtag ein großes Antragspaket geschrieben gegen Hass und Hetze im Netz, wo ich zum Beispiel eine virtuelle Polizeiwache für Bayern fordere. Wenn ein Hater mir nachts um 23.50 Uhr eine Vergewaltigungsandrohung schickt, dann will ich um 23.52 Uhr einen Screenshot machen und den an die Polizei weiterleiten können. Und man darf nicht vergessen: Ich habe Hilfe, ein Büro. Hass und Hetze treffen unzählige Menschen, sehr oft Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte, die ehrenamtlich arbeiten. Die brauchen mehr Unterstützung. Wir dürfen nicht zulassen, dass Hass und Hetze weiter zunehmen.
Womit wir wieder beim Rechtspopulismus wären.
Ja, wir erleben gerade, wie das Playbook der Rechtspopulisten auch hier abgespielt wird: Du delegitimierst Institutionen, Politik, Parlamente, die Presse und siehst dich vermeintlich als Teil des Volkes, wo du gegen "die da oben" agierst. Das sind Mechanismen, die wir aus anderen Ländern kennen. Brandgefährlich! Wir sollten endlich konkrete Maßnahmen dagegen ergreifen, denn die gibt es: Unsere Polizei gut ausstatten, mehr Geld in digitale Bildung und Demokratiebildung investieren, die Zivilgesellschaft und die staatlichen Institutionen stärken – um ein paar Maßnahmen zu nennen.
Außerdem sind alle Demokratinnen und Demokraten aufgerufen, aufzustehen und sich gegen den Rechtsrutsch zu stemmen. Wir müssen da zusammenstehen und unsere demokratischen Werte verteidigen. Dies sollten auch einige unserer demokratischen Mitbewerber tun, anstatt selbst Öl ins Feuer zu gießen. Wer das Lied der Rechtspopulisten singt, macht deren Chor nur lauter und stärker. Das dürfen wir nicht tun.