Eine Demonstrantin wird auf einer Corona-Demo von Polizisten abgeführt. Bild: dpa / Fabian Sommer
Meinung
29.01.2022, 12:4503.02.2022, 11:11
77 Jahre nach der Shoa ist Antisemitismus noch immer in der Gesellschaft verankert.
Die Shoa
Shoa steht für den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden Europas. Also den Holocaust. Der Begriff stammt aus dem hebräischen und bedeutet soviel wie "Katastrophe" oder "großes Unglück".
Das ist kein rein deutsches Phänomen, sondern in ganz Europa zu sehen. An Übergriffen, wie beispielsweise im vergangenen Dezember in Großbritannien, wo eine Gruppe von Menschen einen Bus angriffen hat, weil sich darin Juden befanden. Oder an Gesten wie dem Hitlergruß. Erst vor wenigen Tagen zeigte eine Niederländerin diesen auf dem Gelände der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Auschwitz.
Das Konzentrationslager Auschwitz.Bild: NurPhoto / Artur Widak
Wir tragen in Deutschland nach wie vor eine besondere Verantwortung. Das ist richtig. Und das ist wichtig.
Nicht umsonst ist die NS-Zeit wichtiger Unterrichtsstoff in den Schulen. Von klein auf soll den Kindern so vermittelt werden, dass ein solches Unheil nie wieder vorkommen darf. Es ist richtig, dass unsere Generation keine Schuld an den Verbrechen der Nazis hat. Aber sie hat eine Verantwortung, wie auch die Generation unserer Eltern und Großeltern.
Erinnern und lernen.
Und dafür einstehen, dass ein solches Verbrechen nicht noch einmal geschieht.
Deswegen ist es auch höchste Zeit, dass die Polizei strenger gegen Menschen auf Corona-Demonstrationen vorgeht, die gelbe Davidsterne mit der Aufschrift "ungeimpft" tragen. Die Pandemie mit all ihren Einschränkungen und Regeln mit der Shoa – also dem industriellen Mord an sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten – zu vergleichen, ist pervers.
Durch die Verwendung des gelben Davidsterns verharmlosen Coronaleugner den Holocaust.Bild: dpa / Christophe Gateau
Jüdinnen und Juden waren in der NS-Zeit zur Flucht gezwungen, sie mussten um ihr Leben und das ihrer Liebsten fürchten. Sie wurden schließlich systematisch und auf Befehl des deutschen Staates ermordet. Impfverweigerer und Coronaleugner dürfen heute lediglich nicht mehr in Restaurants, Freizeiteinrichtungen und den Einzelhandel.
Was diese Menschen weiterhin dürfen: Woche für Woche auf die Straße gehen und ihren Missmut ausdrücken. Ihre Meinung äußern. Weiterlaufen in ihren Protestzügen, obwohl sie sich weder an Abstandsregeln halten, noch eine Maske tragen. Oft auch, obwohl sie die Märsche nicht angemeldet haben.
Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Aber Antisemitismus und Holocaustverharmlosung sind keine Meinung, sondern Volksverhetzung. Strafbar nach Paragraf 130 des Strafgesetzbuches. Und das Tragen der gelben Sterne mit der Aufschrift "ungeimpft" ist eine Verharmlosung.
Gelbe Davidsterne
Diese Sterne waren im dritten Reich ab 1941 die Zwangserkennungszeichen jüdischer Menschen. Getragen werden mussten sie von jedem, der nach der Einführung der Nürnberger Rassengesetze 1935 als jüdisch galt. Getragen werden mussten diese Sterne nicht nur in Deutschland, sondern auch in den von Deutschland besetzten Gebieten. Dieses Erkennungszeichen machte den Nazis die Verfolgung und die Deportation der europäischen Juden in die Konzentrationslager einfacher. Werden die Sterne von Coronaleugnern verwendet, suggerieren diese damit, ebenfalls verfolgt und deportiert zu werden. So verharmlosen sie die Shoa.
Solche Sterne mussten Juden im dritten Reich tragen.Bild: newscom / DEBBIE HILL
Die Grundlage für ein härteres Vorgehen gegen die Verharmlosung der gelben Davidsterne hat Ende November auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gelegt: Und zwar, indem der Verfassungsbeschwerde des AfD-Kommunalpolitikers Rainer Lanzerath, nicht stattgegeben wurde.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ist in Deutschland die letzte Instanz.Bild: dpa / Uli Deck
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, hatte Lanzerath bereits 2018 ein Plakat hochgehalten, das auf der einen Seite den gelben Davidstern und den Text "1933 - 1945" zeigte, auf der anderen Seite das AfD-Logo und die Aufschrift "2013 - ?". Das Amtsgericht Augsburg erließ damals einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung. Der Politiker akzeptierte die Geldstrafe nicht und berief sich auf die Meinungsfreiheit. So klagte er sich durch alle Instanzen der bayerischen Justiz. Schließlich reichte er eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein.
Dass dieser Beschwerde nicht stattgegeben wurde, zeigt auch: Die strafrechtliche Verfolgung solcher Symbole ist vom Bundesverfassungsgericht gestützt.
Im Land Berlin dürfte sich nun im Umgang mit Pandemieleugnern etwas verändern. Wie der Tagesspiegel berichtet, will die Polizei dort einschreiten, wenn auf Demonstrationen der Holocaust verharmlost wird. Zum Beispiel durch eben solche Sterne. Im Intranet der Polizei Berlin sei eine Handlungsanweisung des Antisemitismusbeauftragten der Polizei veröffentlicht worden. Ein Schritt in die richtige Richtung – jetzt muss diese Handlungsanweisung aber auch konsequent umgesetzt werden.
Menschen auf einer Demonstration gegen die Impfpflicht. Bild: PRESSCOV via ZUMA Press Wire / Michael Kuenne
Bereits im vergangenen September wurde ein Impfgegner wegen Volksverhetzung verurteilt. Wie "rbb24" berichtet, soll dieser einen Facebook-Post verbreitet haben, auf dem der gelbe Stern mit der Überschrift "Die Jagd auf Menschen kann nun wieder beginnen" abgebildet war.
Auch solche Urteile muss es öfter geben. Zu oft verharmlosen Coronaleugner die Shoa. Ein elfjähriges Mädchen zum Beispiel hatte sich auf einer Coronademo mit der im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordeten Jüdin Anne Frank verglichen, weil sie ihren Geburtstag nur geheim mit ihren Freunden feiern durfte.
Gleichzeitig vermuten viele der Pandemieleugner jüdische Familien hinter den Geschehnissen dieser Zeit. Streuen Verschwörungserzählungen.
Antisemitische Verschwörungsideologien sind nicht neu. Vielmehr werden sie immer wieder aus den Schubladen gekramt, wenn Menschen sich benachteiligt fühlen. Wenn einfache vermeintliche Lösungen sehr schnell dankbare Abnehmer finden. Auch hier hilft Bildung. Und Erinnerungsarbeit.
Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin. Bild: dpa / Carsten Koall
Die NS-Zeit, die Shoa, der Völkermord – all das kann in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen nicht oft genug wiederholt werden. Daran kann am 27. Januar, dem Tag der Befreiung der Insassen in Auschwitz und dem Holocaust-Gedenktag, nicht genug erinnert werden. Es kann in Dokumentationen, Serien und Spielfilmen nicht oft genug aufgegriffen werden.
Solange, bis dem Letzten klar wird, welches Ausmaß diese Katastrophe hat. Was Menschen anderen Menschen antun können. Was unsere Vorfahren Menschen angetan haben.
Der Blick bei dieser Debatte darf aber nicht nur in die Vergangenheit gerichtet sein, denn die Corona-Demos, die Angriffe, selbst das Geschrei auf manchem Dorf-Fußballplatz zeigen: Antisemitisches Gedankengut macht vor der Gegenwart nicht Halt.
Bei vielen Corona-Demos gibt es auch Gegenprotest.Bild: Geisler-Fotopress / Christoph Hardt/Geisler-Fotopres
Wehret den Anfängen, heißt es. Wir haben diesen Punkt vielleicht schon verpasst.
Der Staat muss Härte zeigen, wenn es um die Verharmlosung der Shoa geht. Er muss Härte zeigen, wenn es um Volksverhetzung geht. Und er muss Härte zeigen, wenn es um Antisemitismus geht.
Aber auch wir als Gesellschaft haben eine Aufgabe: Wir müssen alles dafür tun, die Sprösslinge auszureißen, ehe sie wieder zu tief wurzeln.
Diese Geschichte darf sich nicht wiederholen.