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Interview

Grüne Jugend: Luis Bobga über Rassismus, ACAB und den Rechtsruck

Luis Bobga sitzt im Bundesvorstand der Grünen Jugend.
Luis Bobga sitzt im Bundesvorstand der Grünen Jugend. Nils Leon Brauer
Interview

Grüne-Jugend-Politiker über den Rechtsruck: "Ich habe Angst"

700.000 Wähler:innen haben die Grünen von der Bundestagswahl 2021 zur Bundestagswahl 2025 an die Linke verloren. Luis Bobga engagiert sich bei der Grünen Jugend. Er findet, seine Partei muss sich dringend fragen, wofür sie stehen will.
11.07.2025, 19:2211.07.2025, 19:22
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Der Fall beschäftigt ihn bis heute. In Oldenburg tötete Ende April ein Polizist den 21-jährigen Lorenz A. mit mindestens vier Schüssen. Drei davon trafen Lorenz von hinten: in Hüfte, Oberkörper und Kopf. Kurz zuvor hatte der junge Schwarze Mann versucht, in einen Club hineinzukommen, wurde jedoch abgewiesen. Daraufhin soll er Reizgas versprüht, angeblich mit einem Messer gedroht und dann geflüchtet sein.

Luis Bobga sitzt im Bundesvorstand der Grünen Jugend und studiert Migration und interkulturelle Beziehungen im Master. Er ist selbst Schwarz, nur ein Jahr älter als Lorenz.

Im Gespräch mit watson erklärt er, wie nahe ihm der Fall ging. Außerdem verrät er, was er von dem ACAB-Pullover von seiner GJ-Kollegin Jette Nietzard hält und wie er sich angesichts des Rechtsrucks aktuell in Deutschland fühlt.

watson: Wann war das letzte Mal, dass du Alltagsrassismus erlebt hast, der dich wütend zurückgelassen hat?

Luis Bobga: Nach dem Tod von Lorenz A. in Oldenburg war ich emotional überfordert. Dass Medien und Politik so wenig über den Fall gesprochen oder sich solidarisch geäußert haben, hat mich wütend und ratlos zurückgelassen.

Inwiefern siehst du dich auch selbst in Lorenz?

Ich war mal in Hamburg und wollte feiern gehen, wurde aber nicht in den Club reingelassen, weil ich eine kurze Hose anhatte, während ich drinnen weiße Männer gesehen habe, deren Hosen auch kurz waren und den gleichen Stoff hatten wie meine. Seit Lorenz stelle ich mir also die Frage: Hätte die Situation genauso eskalieren können?

Ist die Angst vor Polizei oder Polizeigewalt ein alltägliches Thema für dich?

Wenn man als schwarzer Mann oder Jugendlicher in Deutschland aufwächst, denkt man bei Polizei nicht automatisch an Schutz und Sicherheit, sondern auch an Angst und Gefährdung. Ob mich jemand kontrolliert, der rechtsextrem oder rassistisch eingestellt ist?

Was ist das Problem mit der Polizei?

Wenn Studien über gesamtgesellschaftliche Haltungen zu dem Schluss kommen, dass fast jeder Dritte rassistische oder völkisch-nationalistische Ansichten vertritt, stelle ich mir schon die Frage, wie stark diese auch innerhalb der Polizei vertreten sind. Leider weigern sich alle Instanzen bis heute, dieser Frage nachzugehen.

Was bräuchte es, um strukturellem Rassismus in der Polizei entgegenzuwirken?

Es kann sich nichts daran ändern, wenn wir nicht anfangen, darüber ehrlich zu reden. Es gibt eine große Hemmschwelle von Politiker:innen, überhaupt auszusprechen, dass Rassismus und Polizei keine getrennten Themenbereiche sind.

Wie hast du die Debatte über den ACAB-Pullover von deiner GJ-Kollegin Jette Nietzard wahrgenommen?

Dieses Land hat ein großes Problem, wenn eine Debatte um den Pullover einer Vorsitzenden der Grünen Jugend breiter, länger und emotionaler geführt wird als eine Debatte über Polizeigewalt, die tödlich enden kann.

Macht es einen Unterschied, wenn weiße Menschen einen ACAB-Pulli tragen?

Ich weiß nicht, wie die Reaktionen ausfallen würden, wenn ich oder andere migrantische Menschen in ihrer Position diesen Pullover getragen hätten. Aber es lässt nichts Gutes vermuten, wie diese Debatte verlaufen ist.

Hast du das Gefühl, dass wir auf einem zu intellektuellen Level über Rassismus sprechen und die Menschen, die es betrifft, deshalb gar nicht so richtig mitnehmen?

Der Kern des Problems ist doch eher, dass es im öffentlichen Raum zu wenig Stimmen von Menschen gibt, die von Rassismus betroffen sind. Die meisten Debatten über Rassismus werden immer noch von weißen Menschen geführt.

Was läuft noch schief?

Wir verlieren uns in Fragen, die gar nicht so entscheidend für die Lebensqualität von migrantisierten Menschen in diesem Land sind. Jedes große Unternehmen hat mittlerweile Diversity-Richtlinien und Antidiskriminierungstrainings, um Menschen zu sensibilisieren. Da lernen sie, dass es vielleicht gar nicht so cool ist, Leute dreimal zu fragen, woher sie wirklich kommen oder Menschen ungefragt in die Haare zu fassen. Aber auch, wenn das nervig und diskriminierend ist, ist das nichts, was meine Lebensrealität krass beschneidet.

Sondern?

Viel dramatischer ist, dass ich mir in einer Polizeikontrolle Sorgen machen muss, wie ich da rauskomme. Oder – das zeigen Statistiken zu Armutsgefährdung sehr deutlich – dass migrantische Menschen in Deutschland doppelt so häufig von Armut gefährdet sind.

Wenn dir Rassismus widerfährt, sprichst du das dann offen an?

Es gibt viele Menschen, die Stereotype reproduzieren, aber gar keine böse Intention haben. Dann spreche ich das gern auf eine Weise an, die ermutigt, sich damit weiter zu beschäftigen. Das kostet Kraft, die ich auch nicht jeden Tag habe.

Obwohl er einige Kritik an den Grünen hat, hat Luis Bobga die Partei nicht verlassen.
Obwohl er einige Kritik an den Grünen hat, hat Luis Bobga die Partei nicht verlassen. Santiago Rodriguez

Wie reagieren die Menschen dann?

Weiße Menschen fühlen sich oft angegriffen. Viele denken, die AfD oder die Geschichte Deutschlands in der NS-Zeit ist rassistisch – aber sie selbst, in der Mitte der Gesellschaft, können doch keine Rassisten sein. Genau das macht es oft schwierig, sich ehrlich damit zu beschäftigen.

Welche Kritik hast du an den Grünen?

Die Grünen haben sich nie ehrlich genug damit beschäftigt, wieso so viele junge Menschen ausgetreten sind. Sie beschäftigen sich nicht damit, warum sich so viele Erstwähler:innen und Jungwähler:innen, bei denen sie 2021 die stärkste Kraft waren, von ihnen abgewandt haben und 700.000 Wähler:innen zu den Linken gewandert sind. Sie haben sich bis heute nicht die Frage gestellt, wieso migrantische Menschen kein Vertrauen mehr in die Grünen haben. Die Partei muss sich dringend fragen, wofür sie stehen will.

Wie sehr nervt dich die Unterteilung von Menschen mit Migrationshintergrund in die Kategorien "gut integriert" oder "nicht gut genug integriert"?

Jede Unterteilung von Menschen in gut und schlecht integriert nützt denjenigen, die das Land spalten wollen und nur versuchen, sie gegeneinander auszuspielen.

Wie fühlst du dich gerade in Deutschland, wo eine Partei im Bundestag sitzt, die "Remigrationspläne" diskutiert und der Rechtsruck boomt?

Unwohl. Die AfD ist eine gesichert rechtsextreme und rassistische Partei, die menschenverachtende Pläne für dieses Land hat. Demokratische Parteien finden seit Jahren keine Antwort darauf. Sie glauben, wenn sie einen Schritt auf rechte Politik zugehen, dann können sie Wähler:innen überzeugen. Aber der Bundestagswahlkampf hat gezeigt, dass, auch wenn Friedrich Merz mittlerweile die Pläne der AfD von vor fünf Jahren umsetzt, die Zustimmung zur AfD trotzdem nicht sinkt, sondern steigt. Frei nach dem Motto: "Muss ja was dran sein, wenn es jetzt selbst die Union umsetzt."

Hast du Hoffnung, dass das, was in den USA passiert, noch ein Weckruf für Deutschland sein könnte?

Es muss ein Weckruf sein, dass auch Faschismus früher und schneller kommt, als man denkt. Donald Trump hat offen darüber gesprochen, was seine Pläne sind. Menschenhaben ihn trotzdem gewählt. Sie dachten, dass er nur im Wahlkampf so redet. Genauso führen wir eine Debatte über die AfD. Am Ende sind dann alle überrascht, dass eine rechtsextreme Partei faschistische Politik betreibt. Das kann doch nicht sein?!

Hast du Angst, dass du dich in Deutschland irgendwann nicht mehr sicher fühlen kannst, weil die Lage tatsächlich kippt?

Ja, ich habe Angst, davor, dass ich mich durch den Rechtsruck in Deutschland bald nicht mehr sicher fühle.

Hast du schon mal überlegt, ob du dann auswanderst?

An diesem Punkt sind wir noch nicht. Ich sage den Grünen lieber das zwanzigste Mal: Die Antwort auf eine erstarkende AfD muss lauten, den Nährboden für rassistische und rechtsextreme Ideologie zu entziehen. Dieser Nährboden bildet sich dort, wo Menschen das Gefühl haben, abgehängt zu sein und man entzieht ihn mit sozialer Politik, die spürbar das Leben von Menschen in ihrem Alltag verbessert.

Was macht dir Hoffnung für die Zukunft?

Es wurden, wenn man zurückschaut auf die letzten Jahrzehnte oder auch die letzten fünf Jahre, schon Fortschritte gemacht bei der Frage, wie über Rassismus gesprochen werden kann in diesem Land. Rassismus wird heute viel klarer auch als solcher benannt. Und das ist wichtig und gut so.

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