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Rezo macht es sich mit Corona-Rant zu einfach – trotzdem sollte Union ihn ernst nehmen

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Rezo macht es sich mit seinem Corona-Rant zu einfach – trotzdem sollten CDU und CSU ihn sich zu Herzen nehmen

06.04.2021, 13:0706.04.2021, 16:32
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Rezo hat wieder ausgeteilt. Genauer gesagt: Wieder einmal boxt er CDU und CSU voll ins Gesicht. In einem 13-minütigen Clip, den der Youtuber auf einem seiner Kanäle hochgeladen hat, redet er sich seine Wut über die Corona-Politik in Deutschland von der Seele. Die Bilder stammen aus einer Aufzeichnung aus Rezos Kanal auf dem Gamestreaming-Portal Twitch. Gut 220.000-mal ist der Clip auf Youtube Stand Dienstagmittag abgerufen worden.

Es ist ein Video, auf das Politikerinnen und Politiker der etablierten Parteien dringend antworten sollten. Denn in ihm steckt Wut, die viele junge Menschen teilen. Es ist Wut, die nichts zu tun hat mit Querdenkern und anderen Demokratiefeinden – sondern die aus verständlichem Frust entsteht. Und diesen Frust haben politische Fehler verursacht. Es ist ein Video, in dem kluge Beobachtungen und einzelne kluge Sätze stecken.

Aber es ist andererseits auch ein Video, das Rezos Schwächen zeigt: Immer wieder spricht er von Dingen, von denen er kaum Ahnung hat. Manchmal gleitet er deswegen in Populismus ab.

Das Video, in dem Rezo mit der Pandemiebekämpfung abrechnet – und nur CDU- und CSU-Politiker angreift. Video: YouTube/Renzo

Wo Rezo Recht hat: drei große Fehlleistungen der Pandemiebekämpfung

Man kann Rezo gut oder schlecht finden – in jedem Fall ist er blitzgescheit. Das beweist er in seinem Rant-Clip wieder einmal. Sollte sein gefilmter Wutausbruch wirklich so spontan sein, wie er es vorgibt, dann wäre das besonders bemerkenswert. Der 28-Jährige umschreibt in wenigen Worten drei politische Fehlleistungen, die viele Menschen in Deutschland momentan zurecht wütend machen:

  • Die fehlende Gesamtstrategie: Rezo kritisiert, dass die Regierenden in Deutschland sich seit über einem Jahr immer nur von Notlösung zu Notlösung tasten, von Pandemiewelle zu Pandemiewelle. Es sei nie "ein konkretes mittel- bis langfristiges Ziel aus der Politik" gesetzt worden, sagt er. Rezo erwähnt das nicht, aber das steht in krassem und schwer verständlichem Kontrast zu Ländern wie Taiwan oder Südkorea, die wegen ihrer frischen Erfahrung mit anderen tödlichen Epidemien konsequente Quarantäne-, Test- und Kontaktverfolgungsstrategien umgesetzt haben – oder Neuseeland, das klar kommuniziert hat, dass es Covid-19 im Land ausrotten wolle. So ein Ziel, auf das die gesamte Bevölkerung hinarbeiten kann, hat in Deutschland niemand ausgegeben.
  • Das problematische Verhalten gegenüber Wissenschaftlern: Rezo spielt in seinem Clip Zitate und Videos von zwei CDU-Ministerpräsidenten ein, die mitten in Welle zwei und drei, nach Monaten der Pandemie, behauptet haben, man hätte doch nicht vorhersehen können, wie sich die Infektionszahlen entwickeln würden: Michael Kretschmer (Sachsen) und Armin Laschet (Nordrhein-Westfalen). "Nein, Michael! Du hast das Virus unterschätzt, Du!" sagt er zu Recht über Kretschmers Aussage aus dem Dezember 2020, "wir alle" hätten das Coronavirus unterschätzt. Rezo sagt weiter: "Das ist das Krasseste: diese tief sitzende Respektlosigkeit vor wissenschaftlichen Erkenntnissen." Und er hat hier einen großen Punkt: Experten von den Virologen Christian Drosten und Melanie Brinkmann bis zum SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagen seit Monaten ziemlich präzise auf Basis wissenschaftlicher Modelle voraus, wie schlimm es noch kommen wird – und werden wahlweise ignoriert oder belächelt. Bis es wirklich so schlimm kommt.
  • Die Korruptionsskandale in CDU und CSU: Rezo arbeitet sich am Maskenskandal in der Union ab: an den Fällen mutmaßlicher Korruption, bei denen Abgeordnete beider Parteien persönlich finanziell von der Pandemie profitiert haben sollen, indem sie sich für die Vermittlung von Schutzausrüstung bezahlen ließen. Es sind Beispiele gewissenloser Gier. "Die kann man gar nicht alle mitbekommen, weil es so viele Korruptionsfälle sind", sagt Rezo – und angesichts der seit Anfang März schnell hintereinander bekannt gewordenen Fälle Nüßlein, Sauter, Löbel und Hauptmann trifft er auch hier ins Schwarze.

Wo sich Rezo verheddert: Er kennt die Spielregeln nicht – und lässt sich von seiner Antipathie leiten

So talentiert Rezo darin ist, echte Probleme auf den Punkt zu bringen – so problematisch ist es, dass er in seiner Wut immer wieder über Themen spricht, von denen er nicht viel Ahnung hat.

Rezo wirkt manchmal wie ein Fußballfan, der Richtung Spielfeld brüllt, warum denn sein Team nicht endlich den Stürmer da vorne vor dem gegnerischen Tor anspielt, der fünf Meter vor dem letzten Verteidiger steht – ohne zu wissen, das das nicht geht, weil der Spieler im Abseits steht. Rezo kennt einige grundlegende Regeln des politischen Systems in Deutschland nicht, das belegt er in diesem Video immer wieder.

Er wütet zu Beginn des Videos gegen die Bundesregierung, die das Pandemie-Management einfach nicht hinbekomme – und missachtet, dass die wichtigen Entscheidungen in der Pandemie meistens Landesregierungen und Mehrheiten in den Landtagen treffen. Er rantet gegen Politiker, die "ihre Arbeit verweigern" und ruft ins Mikro: "Das würdest Du in keinem anderen Kontext machen!" Er verkennt dabei, dass die meisten Regierenden in Bund und Ländern und viele Abgeordnete seit Monaten an der Grenze der Belastbarkeit und darüber hinaus arbeiten – und macht sich nicht bewusst, dass die Karrieren von Politikern eben, anders als bei Menschen in anderen "Kontexten" eben von demokratischen Wahlen abhängig sind.

Rezo macht einen schrägen Vergleich mit dem Straßenverkehr und wirft Bundesregierung und Landesregierungen vor, nicht zu "lenken". Er sagt dazu: "Wenn du das nicht tust, dann verweigerst du das grundlegende, inhärente Element deines Jobs." So einfach ist es eben nicht. Die wichtige Frage in einer liberalen Demokratie ist eben nicht nur, wie stark der Staat lenkt. Mindestens genauso wichtig ist die Frage, wo der Staat nicht lenkt – und die Bürger in Ruhe lässt. Das ist ein wesentlicher Konflikt, der Politiker in der Coronakrise umtreibt. Dass Rezo das übergeht, ist schon ziemlich ignorant.

Außerdem lässt sich Rezo, der der Klimaschutzbewegung Fridays For Future nahesteht, wieder einmal stark von seiner parteiischen und persönlichen Antipathie leiten: Er arbeitet sich in seinem Clip ausschließlich an Politikern von CDU und CSU ab – obwohl auch SPD, Grüne und FDP durch ihre Beteiligung an Bundes- und Landesregierungen mitverantwortlich sind für einige der Fehler in der Coronapolitik.

Rezo tut das nicht, was zum Beispiel gute Wissenschaftlerinnen, Journalisten oder grundsätzlich mündige Staatsbürger immer tun sollten: die eigenen Vorurteile hinterfragen und sie an gesicherten Fakten abgleichen. Als Informatiker mit Master-Abschluss müsste er es besser wissen. Sein vorurteilsgetriebenes Verhalten gipfelt darin, dass er Bundesinnenminister Horst Seehofer wegen seiner Weigerung, sich mit dem Impfstoff von Astrazenenca impfen zu lassen, mit diesen Worten beleidigt:

"Ist der beschissen im Kopf?"

Das Problem daran: Durch sein Unwissen und seine emotional geleitete Kritik gleitet Rezo immer wieder in den Populismus ab. Er vermittelt seinen Hunderttausenden Zuschauern den Eindruck, dass alles doch ganz einfach sei, dass die handelnden Politikerinnen und Politiker einfach nur zu dumm und inkompetent seien. Aber so einfach ist es eben nicht. Politik, vor allem Regierungspolitik, heißt, Interessen miteinander abzuwägen, Kompromisse zu schließen – und, in einer Demokratie, auch immer im Blick zu haben, wie das bei Bürgerinnen und Bürgern ankommt.

Warum etablierte Parteien dringend auf Rezo antworten müssen

Trotz dieser Kritik: Man muss Rezo zugutehalten, dass er als Youtuber all das darf. Er darf mit dem Holzhammer draufhauen, er darf auch das Spiel kritisieren, ohne die Spielregeln zu kennen. Die Kritik an seiner Methode muss er dann allerdings auch aushalten können.

Trotz der genannten Schwachpunkte enthält Rezos Video starke Argumente. Und man kann an den Zugriffszahlen auf Youtube, den Kommentaren dort und auf Twitch erahnen, dass er wieder einen Nerv getroffen hat, gerade bei jungen Menschen – wie schon 2019, mit seinem Video "Zerstörung der CDU".

Wieder holt Rezo Menschen ab, vor allem junge, die kolossal wütend sind. Die aber in den allermeisten Fällen wohl überzeugte Freunde der liberalen Demokratie sind, die keine Sympathie hegen für Querdenker oder sonstige Verschwörungsideologen. Hier spricht ein Teil des Volks, des demokratischen Souveräns, der Antworten auf den eigenen Frust und die eigene Wut verlangt. Deshalb sind Videos wie dieses von Rezo und die Reaktionen darauf wie ein riesiges, schnell blinkendes Leuchtsignal an Politikerinnen und Politiker in etablierten Parteien. Ein Leuchtsignal mit dieser Aufschrift: Bietet diesen jungen Menschen Antworten!

Die spannende Frage ist: Bekommen es die etablierten Parteien – vor allem CDU und CSU, die Rezo ins Visier genommen hat – es diesmal hin, adäquat zu antworten? 2019, mit dem Gewürge um Philipp Amthors Antwortvideo auf Rezo, sind sie peinlich gescheitert. Es wäre verdammt gut, wenn es diesmal anders käme.

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