Svenja Appuhn (l.) und Katharina Stolla wollen an der Spitze der Grünen Jugend Druck auf die Ampel machen.Bild: Grüne Jugend / Elias Keilhauer
Nah dran
Der Applaus in der Turnhalle einer Leipziger Schule ist laut. Soeben hat die Grüne Jugend eine neue Spitze für ihren Verband gewählt. 86,5 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte Svenja Appuhn auf sich vereinigen, Katharina Stolla wurde mit 93 Prozent gewählt. Ab sofort werden die beiden 25-Jährigen die Gesichter des Grünen-nahen Jugendverband sein.
Sie freuen sich natürlich, erklären die beiden nach ihrer Wahl. Sie lächeln. Trotzdem sehen sie angespannt aus. Der Tag sei eine Berg-und-Tal-Fahrt gewesen – denn auf dem Bundeskongress wurden auch viele Menschen verabschiedet. Mit 28 wird man zu alt für den Jugendverband. Ein Los, das nun unter anderem den früheren Vorsitzenden Timon Dzienus getroffen hat. Gleichzeitig sei die aktuelle politische Lage natürlich düster, pure Freude zu dieser Zeit kaum möglich.
Für Sarah-Lee Heinrich und Timon Dzienus ist die Zeit an der Spitze des Verbandes vorbei.Bild: dpa-Zentralbild / Bodo Schackow
Dass die Fußstapfen, in die Svenja und Katharina nun treten, groß sind, ist den beiden bewusst. Ihre Vorgänger:innen Sarah-Lee Heinrich und Timon Dzienus waren im Diskurs präsent. Saßen in Talkshows von Markus Lanz oder Maybritt Illner. Sahen sich als linke Opposition zur Ampel – obwohl ihre Mutterpartei, die Grünen, Teil des Bündnisses sind. Bei ihrer Verabschiedung gab es Standing Ovations.
Appuhn und Stolla wollen Druck von Links auf die Ampel machen
Die Grüne Jugend, machen Katharina und Svenja im Gespräch mit watson deutlich, will unbequem bleiben. "Unser Verband ist aktuell so stark und schlagkräftig, wie selten zuvor", sagt Svenja. Die Grüne Jugend gehe gestärkt in die zweite Hälfte der Legislatur. Dazu komme: Die beiden neuen haben eine klare Agenda.
Svenja führt aus:
"Wir wollen gemeinsam mit Verdi und Fridays for Future durch die Kampagne 'Wir fahren zusammen' für soziale Politik und Klimaschutz Druck aufbauen. Wir wollen außerdem Verteilungsfragen in den Mittelpunkt rücken."
Dass sie sich für eine gerechtere Welt und Klimaschutz im Turbo einsetzen will, das stellt sie auch in ihrer Kandidatur-Rede klar. Jobgarantie, soziale Wohnungspolitik und demokratische Energiewende, das sind Themen, die Svenja offensichtlich wichtig sind. Das kommt wohl gut an, immer wieder wird sie von lautem Applaus unterbrochen.
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Mit den neuen Vorsitzenden gibt sich die Grüne Jugend auch ein neues Design. Aus Grün als dominanter Farbe, wird eine bunte Palette aus Giftgrün, Lila, Pink und einem poppigen Orange. "Wir sind linker als die Grünen", sei die Ansage gewesen, als die Berliner Designagentur Tau engagiert wurde.
Svenja Appuhn studiert in Hannover Medizin.Bild: Grüne Jugend / Elias Keilhauer
Dass der Verband nun weiter nach links rutscht, symbolisiert womöglich auch die neue Neigung des Logos. Statt sieben Grad neigt sich die Grüne Jugend sechs Grad weiter nach links oben. Die Neujustierung sei eine nette Anekdote, meint Katharina. Nicht überinterpretieren also. Klar sei aber trotzdem: "Solange die Ampel unsoziale Politik macht, werden wir lautstark soziale Politik einfordern."
Es gehe nicht darum, wie links man sich positioniere, sondern "linke Politik ist die Politik, die das Leben der Menschen verbessert", sagt Katharina. Es gehe darum, dass Menschen ein freies Leben führen können, dass Menschen sicher sind, dass Menschen ein schönes Leben haben. "Und dafür kämpfen wir", fasst Katharina zusammen.
Katharina Stolla hat in Hamburg Meteorologie studiert.Bild: Grüne Jugend / Elias Keilhauer
Wofür Katharina auch kämpfen will: eine humane Asylpolitik. In ihrer Antrittsrede spricht sie von dem Unverständnis für den Rechtsruck, der gerade auch die Ampel erreiche. Bei ihrem Verband trifft sie damit offensichtlich einen Nerv. Der Applaus im Saal wird mit jeder Forderung lauter.
Appuhn: "Klimakrise ist eine krasse Verteilungskrise"
Ob bei Rechtsruck, Verteilungsdebatten und Dauerkrise die Klimakrise ins Hintertreffen gerät? Auf keinen Fall, stellt das neue Führungsduo klar. Denn es stelle sich nicht die Frage des Entweder-Oder. "Die Klimakrise ist auch eine krasse Verteilungskrise", sagt Svenja.
Auf der einen Seite stünden jene, die mit Privatjets um die Erde fliegen, auf der anderen Seite jene, die nicht einmal über Urlaub nachdenken könnten. Weil sie nicht einmal wüssten, wie sie ihre Heizkosten bezahlen sollen. Oder weil ihr Zuhause durch die Klimakrise zerstört wurde.
Svenja sagt:
"Das ist untrennbar miteinander verbunden und wir wissen auch: Es wird Milliarden kosten, die Klimakrise zu bewältigen. Wir müssen uns die Frage stellen, wer das bezahlen soll. Unsere Antwort lautet: Konzerne und Superreiche."
Am Ende gehe es auch um Ressourcen und ihre Verteilung. Als Beispiel nennt Svenja die Baubranche. So ließe sich entweder eine Villa bauen – die Rohstoffe könnten aber auch für die Sanierung von Häusern genutzt werden, in denen zahlreiche Menschen leben könnten.
"Die Antwort auf den Rechtsruck kann nicht sein, keine Klimapolitik mehr zu machen", macht Svenja deutlich. Stattdessen gehe es um eine Klimapolitik, die das Leben der Menschen spürbar verbessert. Ein Satz, den auch Sarah-Lee und Timon nicht müde wurden, zu betonen. Ob die beiden neuen die Grünen weiter in diese Richtung drängen werden können?
"Die Ampel fährt eine Sparpolitik, die es nicht schafft, den Menschen ihre Verunsicherung zu nehmen", sagt Katharina. Das bedeute: Die Grüne Jugend muss als linkes Korrektiv zu den Grünen und zur Ampel agieren. Denn im Parlament stünde die Opposition rechts der Ampel. Das führe letztlich dazu, meint sie, dass Debatten über beispielsweise Klimaschutz zu Kulturkämpfen stilisiert würden. Und, dass die Klimafrage eben nicht mit der sozialen Frage verbunden würde.
Grüne Jugend hofft auf Unterstützung der Jusos
Die beiden erhoffen sich dabei auch Unterstützung von einem anderen linken Ampel-Jugendverband: den Jusos. Die SPD-nahe Jugendorganisation sei schon immer ein enger Bündnispartner gewesen. Wenn es nach Svenja und Katharina geht, eine Koalition, die auch in Zukunft anhalten wird.
Auch und gerade, weil sie die Entwicklung der SPD in der Regierung kritisch sehen. Kürzlich hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Interview gegeben, in dem er sich für schnellere Abschiebungen ausgesprochen hat, Aussagen, die Katharina und Svenja schockiert haben. "Wir wollten den Klimakanzler. Wir bekamen den Abschiebekanzler", wetterte Svenja prompt auf X, früher Twitter.
Natürlich könnten sich auch Katharina und Svenja nicht frei machen, von all den Krisen. "Gerade in der aktuellen Situation dürfen wir uns von unserem Weltschmerz nicht lähmen lassen. Wir dürfen das nicht akzeptieren, denn wenn reaktionäre Kräfte an die Macht kommen, wird es nur dunkler", macht Svenja deutlich.
Es fühle sich manchmal so an, meint Katharina, als würde ausschließlich Krisenbewältigung betrieben. Gleichzeitig würde der Verband sich aber auch proaktiv dafür einsetzen, dass sich eben Dinge verbessern. Ganz konkret, für die Menschen. Dass ihre Gesichter bald in der ganzen Republik bekannt sein dürften, ist für sie kein Problem. Sie sind darauf vorbereitet, dass ihnen nicht alle Menschen wohlgesonnen sein werden. Sie haben den Hate mitbekommen, mit dem Sarah-Lee und Timon teilweise konfrontiert waren.
Katharina (l.) und Svenja ist klar, dass ihre Gesichter bald in Deutschland bekannt sein werden.Bild: Grüne Jugend / Elias Keilhauer
Appuhn und Stolla rechnen mit Hate
Wie aber bereitet man sich auf so etwas vor? Mit ihrer Kandidatur, meint Svenja, habe sie direkt zahlreiche Trolle in ihre Timeline gespült bekommen. Und auch ihre Mama sei nach einem kurzen Facebook-Check erschüttert gewesen, wie viel Hass Mitglieder der Grünen Jugend abbekommen. Sich dadurch einschüchtern zu lassen, sei aber keine Lösung.
Die bessere Alternative: Keine Kommentare checken und den Hass so gar nicht erst an sich heranlassen. Wenn es doch mal passiert, helfe es aber, den Dampf bei anderen jungen Grünen abzulassen. Und auch "Hate Aid" helfe. Die Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen Hassrede im Internet vorzugehen.
"Es ist nicht so, dass wir den ganzen Tag dasitzen und vor Sorge zittern", stellt Katharina klar und fügt an: "Wir freuen uns jungen Menschen mit unseren Stimmen ein Gesicht verleihen können."