
In der Neuen Odessa Bar in Berlin-Mitte gab es am 30. Juli einen Corona-Ausbruch. Auch am Abend danach ist sie gut besucht.Bild: ZB / Gerald Matzka
Deutschland
13.08.2020, 14:3213.08.2020, 14:33
Bis in die Morgenstunden steht die heiße
Sommerluft derzeit in den Straßen der Berliner Innenstadt. Die Bänke
vor Kneipen und Bier-Kiosken (in Berlin: "Spätis") sind in Kreuzberg,
Neukölln und Mitte voll junger Menschen. Corona-Abstände, Masken,
Kontaktlisten? Selten ist das die Priorität in den Partykiezen im
heißen August. Eher kommt dem Beobachter 2raumwohnung in den Sinn:
"36 Grad, und es wird noch heißer - mach den Beat nie wieder leiser -
(...) das Leben kommt mir gar nicht hart vor".
Nach der Debatte um sorglose Partys in Parks bringt die Berliner
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) nun ein Alkoholverbot für
Kneipen und Bars ins Spiel – zumindest wenn die ständigen Verstöße
gegen die Corona-Verordnungen nicht enden. Unterstützung bekommt sie
vom Neuköllner Bezirksbürgermeister, der sich gut auskennt in seinem
Kiez und über manche Entwicklungen "entsetzt" ist. Aber eine seltene
Koalition aus Linken, Grünen, FDP und Wirtschaft reagiert empört.
Die nachlässigen Kneipen würden ihr große Sorgen machen, hatte
Kalayci bereits am Montag der "Berliner Morgenpost" gesagt. Bußgelder
müssten "konsequent" verhängt werden. Konkreter wurde sie dann am
Dienstag im RBB-Inforadio. Es gehe nicht um ein allgemeines
Alkoholverbot. Problematisch seien aber bestimmte Straßen, wo sich
"enge Menschenmassen" aufhielten und beim Trinken "ein sehr naher
Kontakt" und "Partyatmosphäre" entstünde. "Das ist auf jeden Fall ein
Infektionsrisiko."
Hamburg schränkt Alkohol-Verkauf bereits ein
Andere Bundesländer setzten ähnliche Strategien bereits um. So
ist in Hamburg der Verkauf von Alkohol zum Mitnehmen in Szenevierteln
am Wochenende seit Juli verboten, um die üblichen Massen-Partys auf
der Straße zu verhindern. Im partyverwöhnten Berlin halten viele
Einschränkungen beim Alkohol hingegen für undenkbar.

Corona-Streife der Polizei im Großeinsatz in der Sternschanze in Hamburg.Bild: www.imago-images.de / Luca Field
So twitterte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) ungewöhnlich
harsch: "Diese #Alkoholverbot-Nummer ist eine Räuberpistole. Trägt
nichts bei zur Pandemieeindämmung." Derartige Vorschläge solle man
lieber "wenigstens drei Tage" bedenken und diskutieren.
Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga sprach von mündigen
Bürgern, die selbst entscheiden könnten. Und der Berliner
FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja forderte, Alkohol lieber
öffentlich zu trinken. Dort hätten Ordnungsamt und Polizei wenigstens
etwas Kontrolle über das Geschehen.
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) monierte erst,
"Prohibitionsdiskussionen" würden nicht weiterhelfen. Am Dienstag
betonte sie, auch die "gebeutelte Gastronomie" müsse die Regeln
einhalten. Durchsetzten müssten sie aber Polizei und Ordnungsämter.
Genau daran hapert es oft in Berlin. Kontrollen fallen in der
Hauptstadt ohne Sperrstunde, mit hunderten Spätis und Bars sowie
jungen Touristen, die wegen billiger Kneipen, Clubs und Drogen
anreisen, grundsätzlich schwer. Harte Sanktionen werden kaum
verhängt.
15 Verstöße in 13 Bars – keine Einsicht bei den Gästen
Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) hatte am
Wochenende sein Ordnungsamt zusammen mit der Polizei losgeschickt.
Samstagnacht konnte man in der für ihre Kneipendichte bekannten
Weserstraße beobachten, wie die Uniformierten von Bar zu Bar und
Späti zu Späti zogen. Gäste mussten aufstehen, Kellner die eng auf
dem Bürgersteig stehenden Tische wegräumen. Geschlossen wurde keine
Bar.
Letztlich wurden laut Hikel aber nur 13 Bars kontrolliert. Sein
Fazit am Dienstag bei Facebook: Er sei "entsetzt", "genau in einer
Bar gab es keinerlei Beanstandung – in allen anderen hatten
Ordnungsamt und Polizei alle Hände voll zu tun". Es gab demnach 15
Verstöße, weil keine Kontaktlisten geführt oder kein Mundschutz
getragen wurde. Die meisten Kneipen hatten viel zu viele Tische oder
Stühle auf dem Gehweg stehen. Statt auf Einsicht bei den trinkenden
Menschen zu stoßen, hätten sich seine Leute "von vielen Gästen
Vorträge über Corona-Verschwörungstheorien anhören" müssen.
Allein in Neukölln entstanden in den vergangenen Monaten in drei
Kneipen neue Infektionsherde. In einem Fall suchte das Gesundheitsamt
wegen unvollständiger Kontaktlisten mit einem Aufruf nach den Gästen.
Mindestens 22 Infektionen wurden so bekannt.
Auch in Berlin-Mitte kontrollierte der Bezirk Ende Juli auf der
Trinkmeile rund um Rosenthaler Platz und Torstraße. Das Ergebnis: 50
Anzeigen wegen Verstößen gegen die Hygienevorschriften. Zuvor waren
mindestens zehn Gäste einer Bar unter dem Berliner Fernsehturm
positiv auf das Coronavirus getestet worden.
Unterstützung für ein mögliches Alkoholverbot und Unmut über die
Gegner findet sich im Internet schnell. Gerade die strikten Regeln
für die Schüler und die Lockerheit vor den Kneipen versteht nicht
jeder. "Lieber Schulen offen als betrunkene Touristen – warum hängt
ein Kultursenator so am Alkoholausschank?", antwortet bei Twitter ein
Schreiber. Lederer betont: "Aber rational müssen wir bleiben. Und
kommunizieren. Sonst wird es chaotisch und niemand hält sich mehr an
irgendwas."
(lau/dpa)