Dutzende Schusswaffen, kiloweise Munition. Dazu Nazi-Devotionalien und gut 100.000 Euro Cash. All das hat die Polizei in der vergangenen Woche aus einer Wohnung in Hannover geräumt. Hinweise auf einen politischen Hintergrund wollen Polizei und Staatsanwaltschaft nicht erkennen, dafür werden sie nun kritisiert. Unterschätzen die Behörden die Gefahr durch bewaffnete Rechtsextreme?
Auf die Spur kommen die Ermittler dem 29-jährigen Besitzer der Waffen im Internet. Im Namen seines Vaters wurde offenbar über ein Internetportal versucht, eine scharfe Pistole zu bestellen. Das Ermittlungsverfahren läuft rund anderthalb Monate, wie die Polizei Hannover in einer Presseerklärung mitteilt. Dann erfolgt schließlich der Zugriff. Zuerst treffen die Polizisten in der Nähe des Wohnhauses im Hannoveraner Stadtteil Stöcken auf den 53-jährigen Vater, kurz darauf in der Wohnung auf den Sohn.
Letzterer hat offenbar ein ganzes Waffenarsenal angelegt: 16 Langwaffen, drei Maschinenpistolen, 17 Pistolen, acht Revolver und sieben Signalwaffen. Außerdem mehrere Kilogramm Munition und militärische Nebeltöpfe.
Zusätzlich beschlagnahmen die Beamten etwa 100.000 Euro Bargeld, Nazi-Devotionalien – darunter Orden, Ehrenzeichen und Bilder – und mehrere Laptops.
Laut der Polizeimitteilung wehrt sich der Waffenbesitzer gegen die Durchsuchung, verletzt einen Polizisten mit einem Faustschlag ins Gesicht.
Polizei und Staatsanwaltschaft erklären außerdem, dass es keine Hinweise auf einen "politisch motivierten Hintergrund" gebe. Im Internet werden die Behörden wegen dieser Aussage nun kritisiert. Waffen und Nazi-Devotionalien, aber kein rechter Hintergrund?
Die Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung warf den Behörden in einem Facebook-Post vor, "Indizien auf rechtsextremen Terror" zu verkennen. Die Stiftung setzt sich gegen Rechtsextremismus und für Opfer rechter Gewalt ein.
Wie kommt die Staatsanwaltschaft also zu dieser Einschätzung? "Wir haben keine Anhaltspunkte, dass irgendwelche rechtsextremen Taten mit den Waffen begangenen werden sollten", erklärt die Staatsanwältin Kathrin Söfker watson am Telefon. Bei dem Festgenommenen soll es sich "um jemanden handeln, der die Waffen für sich selber sammelt", sagt sie. Das habe der Mann zumindest selber so angegeben.
Man könne aufgrund der Nazi-Devotionalien zwar Schlüsse auf eine rechte Gesinnung ziehen, bislang habe sich der Tatverdächtige da aber "nicht zu eingelassen". Ihrer Kenntnis nach sei der 29-Jährige bisher auch nicht "wegen solcher Sachen" aufgefallen.
Für Robert Lüdecke, den Pressesprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung, ist klar: "Die Behörden unterschätzen rechte Gewalt und vor allem rechten Terror." Das werde nicht nur im Hannoveraner Fall deutlich.
Wenn jemand Waffen und Bargeld horte und NS-Devotionalien besitze, könne man zumindest von einer Affinität zur rechten Szene ausgehen, sagt Lüdecke. Und weiter:
Auch Matthias Quent, Direktor des von der Amadeu-Antonio-Stiftung getragenen Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena sieht Versäumnisse bei den Behörden.
"Ich habe den Eindruck, dass manche Bundesbehörden die Gefahr ernster nehmen als früher", sagt er. Es werde frühzeitig eingegriffen und das Bundeskriminalamt warne immer wieder vor der potentiellen Gefahr des Rechtsterrorismus. "Andererseits wirft der zögerliche Umgang mit 'Combat 18' und dem 'Hannibal'-Netzwerk die Frage auf, warum da bisher nicht entschiedener aufgeklärt und vorgegangen wird", ergänzt er jedoch.
Vor allem die rechtsradikalen Verstrickungen des "Hannibal"-Netzwerks in die Behörden seien besorgniserregend. Dieses Netzwerk besteht laut Recherchen der "taz" vor allem aus Soldaten, Polizisten und sogar Verfassungsschutz-Mitarbeitern (hier mehr dazu lesen). "Combat 18" ist ein bereits seit den 90er Jahren bestehendes und auch in Deutschland aktives rechtes Terrornetzwerk (hier mehr dazu lesen).
Probleme bestünden vor allem in den Bundesländern, erklärt Quent. Dort sei die in einigen Bereichen gestiegene Sensibilität noch lange nicht in alle Behörden durchgedrungen: "Es gibt in vielen Behörden ein Umsetzungsproblem und eine Kultur des Nicht-Ernstnehmens der Gefahr von rechtsaußen."
Rechter Terror ist das Extrem. Rechte Gewalt ist der Alltag an vielen Orten in Deutschland. Wie groß das Problem wirklich ist, lässt sich zumindest anhand der offiziellen Statistiken jedoch nur schwer erkennen. Schon seit Jahren weisen diese deutlich geringere Zahlen aus, als die, die von zivilgesellschaftlichen Initiativen und Opferberatungsstellen erhoben werden.
Erst am Dienstag haben die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt in den ostdeutschen Bundesländern und Berlin ihre Zahlen für 2018 vorgestellt. 1212 rechte, rassistisch und antisemitisch motivierte Angriffe haben sie dort registriert.
Ein Blick auf das Vorjahr zeigt, wie stark diese Zählung von der offiziellen Statistik abweicht. 2017 hatte das BKA für das gesamte Bundesgebiet lediglich 821 rechte Hassgewalttaten festgestellt, die Opferberatungsstellen hatten alleine in den ostdeutschen Bundesländern und Berlin im gleichen Zeitraum 1123 rechte Angriffe dokumentiert.
Das führe zu einer Verzerrung der Statistik. "Das ist problematisch, weil wir dadurch kein klares Bild davon bekommen, wie groß die Bedrohung wirklich ist, und auch die Netzwerke rechter Täter im Dunkeln bleiben", sagt der Soziologe.
Außerdem gebe es ein großes Dunkelfeld, viele Fälle würden gar nicht erst angezeigt werden. Deshalb müsse mehr dafür sensibilisiert werden, "dass es wichtig ist, dass Fälle rechter Gewalt in der Statistik auftauchen." Das sei nicht nur für die Ermittlungen relevant, sondern auch für die gesellschaftliche Diskussion, "damit ein Problembewusstsein geschaffen wird."