In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besichtigen Israelis eine Ausstellung über den Genozid von 6 Millionen Jüdinnen und Juden durch Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkrieges.Bild: newscom / DEBBIE HILL
Deutschland
Der Antisemitismus-Beauftragte Felix Klein fordert neue Ansätze, um die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach zu halten. "Sie darf nicht in Formeln und Ritualen erstarren, und sie sollte nicht nur den Kopf ansprechen, sondern auch das Herz und die Emotionen", sagte Klein der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Empathie sei entscheidend in "Zeiten der Verrohung und der Shoa-Relativierungen". Klein verurteilte Antisemitismus bei Corona-Protesten scharf.
Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus äußerte sich zum Holocaust-Gedenktag. Am 27. Januar wird an die Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz 1945 und an die Opfer der Nationalsozialisten erinnert, darunter Millionen Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle und politische Gegner des NS-Regimes.
Vor 77 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das NS-Vernichtungslager Ausschwitz befreit.Bild: ZUMA Press Wire / Damian Klamka
Der Bundestag begeht den Jahrestag am Donnerstag mit einer Gedenkstunde, bei der die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher und der israelische Parlamentspräsident Mickey Levy sprechen. Teilnehmen sollen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke).
Der Bundesbeauftragte Klein nannte es "extrem und infam", dass einige Teilnehmer von Corona-Demonstrationen sich gelbe Judensterne anheften und so die NS-Verbrechen relativieren. "Das ist die Lust an der Provokation und der Wunsch, damit Aufmerksamkeit zu erzeugen", sagte Klein. Aber das könne man nicht ignorieren. "Es zeigt einen wachsenden Verrohungszustand in unserer Gesellschaft."
Corona habe Antisemitismus beflügelt, fügte er hinzu. So habe eine Studie nachgewiesen, dass sich die Zahl deutschsprachiger Internet-Posts mit judenfeindlichen Inhalten seit Beginn der Pandemie verdreizehnfacht habe. "Diese einfachen Muster, dass es einen Sündenbock geben muss, das hat leider eine gewisse Tradition in unserer Gesellschaft."
Antisemitismus-Beauftragter Felix Klein.Bild: Flashpic / Jens Krick
Die monströsen NS-Verbrechen heute gedanklich zu fassen, sei fast unmöglich. "Aber wichtig ist, diese Geschichte anzunehmen, wie eine Art Erbschaft oder Vermächtnis, was aber nicht ausgeschlagen werden kann", sagte Klein. Hilfreich sei, dass es im Lauf der Zeit leichter werde, die Rolle der eigenen Familie in der Shoa kritisch zu beleuchten. Menschen mit Migrationshintergrund müssten in die Erinnerungskultur einbezogen werden - es sei durchaus möglich, sie zu erreichen.
Jüdinnen und Juden wünschten sich nichts mehr, als in Normalität und Sicherheit zu leben, sagte Klein. Normalität sei aber weit entfernt, wenn vor jüdischen Einrichtungen Polizeischutz zum Alltag gehöre. "Das ist die traurige Botschaft auch zu diesem Gedenktag, dass wir das noch nicht geschafft haben zu zeigen und zu leben: Die jüdische Gemeinschaft ist ein ganz normaler Teil der Gesellschaft und bereichert sie."
Studie sieht Antisemitismus in Deutschland auf einem Allzeithoch
Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) Ronald Lauder äußerte sich besorgt über wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Er verwies auf eine im November von seiner Organisation durchgeführten Umfrage unter 5000 Menschen in Deutschland, über deren Details die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und das ZDF berichteten. Demnach hat nach Lauders Angaben jeder Dritte unter 25 Jahren grundsätzlich antisemitische Vorstellungen, unter allen Erwachsenen sei es fast jeder Dritte. Die Studie zeige, dass das Ausmaß des Antisemitismus in Deutschland auf einem Allzeithoch sei, sagte Lauder im ZDF.
Die Corona-Pandemie hat Lauder zufolge wie ein "Brandbeschleuniger" für den Antisemitismus gewirkt. "Unter dem Deckmantel vermeintlicher Kritik an Corona-Maßnahmen ist Antisemitismus noch gesellschaftsfähiger und damit gefährlicher geworden", kritisierte Lauder in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung"
(nik)