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"Hart aber fair": Moderator Plasberg macht Witze über Wladimir Kaminer

Der Journalist Theo Sommer war bei Frank Plasberg zu Gast.
Der Journalist Theo Sommer war bei Frank Plasberg zu Gast. bild: screenshot ard
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Journalist bei "Hart aber fair": So machtlos ist Deutschland gegenüber Russland

08.09.2020, 07:2108.09.2020, 08:50
Dirk Krampitz
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Nun schließt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Sanktionen gegen die Erdgaspipeline Nord Stream 2 nicht mehr aus. "Keine Frage, da zieht ein Sturm auf", bilanziert "Hart aber fair"-Moderator Frank Plasberg. Der Grund für das politische Unwetter ist der Fall des mit einem chemischen Kampfstoff der Nowitschok-Gruppe vergifteten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Zum Thema "Vergiftete Beziehungen – wie umgehen mit Putins Russland?" diskutieren diesmal: Peter Altmaier (CDU, Bundeswirtschaftsminister), Annalena Baerbock (B'90/Grüne, Bundesvorsitzende), Theo Sommer (Journalist und Publizist), Wladimir Kaminer (Schriftsteller), über dessen Aussprache sich Moderator Plasberg noch lustig macht, und Udo Lielischkies (Journalist).

Altmaier laviert herum

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist für Nord Stream 2.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist für Nord Stream 2.bild: screenshot ard

"Das war ein feiger Mordanschlag an einem russischen Bürger mit einem Material, das man nicht im Supermarkt kaufen kann", stellt Altmaier fest und legt nach: "Man darf Dinge nicht hinnehmen, wenn gegen fundamentale Menschenrechte verstoßen wird."

Das klingt erstmal überraschend deutlich und man vermutet, Altmaier würde sich jetzt für eine Sanktionierung der Pipeline aussprechen. Doch der Bundeswirtschaftsminister legt dann innerhalb weniger Sätze eine 180-Grad-Wende hin, ohne, dass er es vermutlich so bezeichnen würde: Er sei dafür, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.

"Ich glaube, dass Menschenrechte vertreten werden müssen, aber wir müssen überlegen, dass man am Ende vielleicht mehr erreichen kann, wenn wir nicht mit allen Ländern brechen."
Peter Altmaier

Und dann stellt er den Sinn von Sanktionen infrage. "Ich kenne keinen Fall, wo ein Land wie Russland zur Veränderung seines Verhaltens gebracht wurde." Es klingt so, als sei Peter Altmaiers Geheimrezept: Allerschärfstes miteinander Reden.

Baerbock mag die Pipeline nicht

Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock fodert stärkere Sanktionen.
Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock fodert stärkere Sanktionen.bild: screenshot ard

Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock würde Nord Stream 2 am liebsten sofort stoppen. Weil das Projekt Europa entzweit und auch aus Umweltgründen. Und der Anschlag auf Nawalny sei ja nicht der erste Gewaltakt aus Russland. Vom Anschlag 2018 auf den Agenten Sergej Skripal und seine Tochter in London, über den Tiergarten Mord vor ziemlich genau einem Jahr in Berlin, den Abschuss des Flugs MH17 von Malaysia Airlines im Jahr 2014 über der Ukraine oder die Besetzung der Krim – für Baerbock hätte die internationale Staatengemeinschaft viel früher kritisch über Nord Stream 2 nachdenken müssen. "Die Sanktionen laufen alle etwas ins Leere, wenn man am Hauptprestigeprojekt festhält."

Fast schon ein Zeitzeuge

Theo Sommer.
Theo Sommer.null / screenshot ard

Der Redaktion ist es gelungen einen besonderen Gast ins Studio zu laden. Der Journalist Theo Sommer hat bei der Wochenzeitung "Die Zeit" die Entwicklung Deutschlands und der Welt über Jahrzehnte begleitet. Er ist fast schon ein Zeitzeuge. Die "Hart aber fair"-Redaktion hat sogar einen alten Auftritt Sommers bei Werner Höfers TV-Sendung "Der Internationale Frühschoppen" in schwarzweiß herausgesucht und spielt ihn ein. Der Journalist amüsiert sich sichtlich, sein jüngeres Ich zu sehen. Damals wurde im TV noch geraucht. Und beim Frühschoppen gab es Wein. "Eigentlich bedauerlich", findet Plasberg, dass es das heute nicht mehr gebe.

Journalist Theo Sommer amüsiert sich über sich selbst in einem alten TV-Ausschnitt.
Journalist Theo Sommer amüsiert sich über sich selbst in einem alten TV-Ausschnitt. bild: screenshot ard

Aber es ist eine andere Zeit. Sommer ist mittlerweile 90 Jahre alt. Aber das muss man erst bei Wikipedia nachschlagen. Im TV wirkt er locker 15 Jahre jünger. Für ihn ist der Fall Nawalny eine "neue abscheuliche Tat" sie beweise die "Skrupellosigkeit des russischen Machtapparats. Das war immer so, und ich fürchte, das wird auch so bleiben." Allerdings plädiert er dafür "nicht gleich die große Bertha", also die stärkste verfügbare Waffe, herauszuholen.

"Wir müssen auf den Nawalny-Anschlag reagieren. Es wäre aber ein Schuss ins eigene Bein, wenn wir Nord Stream 2 sofort abblasen würden."
Theo Sommer

So machtlos ist Deutschland

Der Grund: "Wir brauchen dieses Gas." Erneuerbare Energien könnten den Energieverlust durch den geplanten Ausstieg bei Kohle und Atomstrom (noch) nicht kompensieren. Und mit der Erfahrung seiner neun Lebensjahrzehnte setzt er nach. "Wenn wir nur mit Staaten handeln, deren Moral wir billigen, wären wir ziemlich allein." Allerdings fühlt er sich derzeit schon weltpolitisch an den Kalten Krieg erinnert.

"Wir stehen vor einer Frostperiode. Wie lange sie dauern wird, weiß ich nicht", beschreibt er seinen Eindruck. "Vielleicht müssen wir Putin aussitzen, wie wir Donald Trump aussitzen", sagt er, um diesen Gedanken gleich wieder mit einer sehr gewagten Zukunftsvision zu verwerfen: Sollte es irgendwann einmal einen Präsidenten Nawalny geben, solle man sich keine falschen Hoffnungen machen. "Er ist auch ein Russe und wird russische Interessen vertreten."

Nun ist Nawalny sicherlich nicht der Heilige und Hoffnungsträger, zu dem er derzeit manchmal stilisiert wird. Aber das klingt dann doch ein wenig nach verinnerlichter Kalter-Krieg-Rhetorik.

Kaminer: Es geht nur um Reichtum

Waldimir Kaminer geht hart mit seinem Geburtsland ins Gericht.
Waldimir Kaminer geht hart mit seinem Geburtsland ins Gericht.bild: screenshot ard

Für den russischen Schriftsteller Wladimir Kaminer seht fest: Der grundsätzliche Unterschied in Russland heute zum Kalten Krieg ist: "Heute geht es um keine Ideologien mehr, sondern nur um den Reichtum des inneren Machtzirkels."

Wladimir Kaminer teilt mit Putin den Vornamen, aber keine Ansichten. Er gibt sich abgeklärt. Er sei erstaunt über das Aufheben, das jetzt um den Anschlag auf Nawalny gemacht wird. "Es ist nicht das erste Mal" und zudem 1000 Kilometer weit weg passiert. "In Berlin haben die gleichen Geheimdienstler einen Menschen vom Fahrrad weggeschossen", sagt er und meint damit den Tiergarten-Mord im August 2019, der in der Tat keine vergleichbaren Wellen geschlagen hat.

Oppositionelle aus dem Weg räumen sei für Putin "die Art des politischen Kampfes – die einzige Art um an der Macht zu bleiben". Das werde er auch weiterbetreiben, glaubt Kaminer, "weil es keine Alternativen gibt". Russland sei ein "extrem aggressives Regime, das sein Land vergrößern will".

Er meint damit den Nachbarstaat Belarus, wo nach der zweifelhaften Wiederwahl des Präsidenten Lukaschenko, das Volk seit Wochen demonstriert. Die Lage spitzt sich täglich zu. Alexander Lukaschenko hat sich schon der militärischen Nothilfe von Wladimir Putin versichert. Gerade wurde Lukaschenkos Gegnerin Maria Kolesnikowa in Minsk verschleppt, Kaminers Freund, der Poltikberater Vitali Shkliarov, sitzt schon seit einigen Wochen in Haft.

Nord Stream 2 aufgeben findet Kaminer trotzdem keine gute Möglichkeit. Man könne ja Gaskauf und den Austausch politischer Gefangener verbinden, schlägt er vor. "Wenn wir aussteigen, ist das keine Strafe für Putin." Es würden bereits Gaspipeline nach China gebaut. "Die Chinesen werden jeden Kubikmeter Erdgas abnehmen."

Plasberg macht sich über Kaminers Aussprache lustig

Der Schriftsteller spricht "Pipeline" so aus wie man es schreibt. "'Pi-pe-li-ne' ist übrigens ein schönes Wort", spöttelt Plasberg. Kaminer stutzt. "Oder wie heißt es?", fragt er verunsichert. "Wunderbar", bügelt Plasberg ihn amüsiert ab. So elegant es Kaminer in seinen Büchern gelingt, vom Privaten aufs Gesellschaftliche und Politische zu kommen, so schwer tut er sich im Fernsehen unter quasi-live Bedingungen – da macht er lange Pausen, mancher Witz hakt etwas. "Bei Ihnen ist es nicht ganz einfach zu merken, was sie ironisch meinen", sagt dann auch Plasberg.

Ein extrem autokratisches System

TV-Journalist Udo Lielischkies war vier Jahre in Moskau.
TV-Journalist Udo Lielischkies war vier Jahre in Moskau. bild: Udo Lielischkies

Fern von jeder Ironie ist hingegen der TV-Journalist Udo Lielischkies. Von 2014 bis 2018 hat er das ARD-Studio Moskau geleitet. Für ihn ist der Anschlag eine Machtdemonstration des Kremls. "Das machen wir mit Menschen, die abtrünnig werden". Eine Sanktion von Nord Stream 2 wäre "ein deutliches Zeichen für Putin", findet Lielischkies. Für ihn ist Russland unter Putin ein "autokratisches System der extrem zynischen Art", die Methode "Wir reden mal miteinander" sei "dramatisch gescheitert".