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Nach "Bild"-Attacke: Diese Punkte haben die Kritiker bei Drosten hinterfragt

26.03.2020, Berlin: Christian Drosten, Direktor, Institut für Virologie, Charite - Universitätsmedizin Berlin, aufgenommen im Forschungsministerium bei einer Pressekonferenz zum Nationalen Forschungsb ...
Der Virologe Christian Drosten wurde für seine Studie zu Coronaviren bei Kindern kritisiert – leider nicht immer sportlich.Bild: picture alliance/dpa/Michael Kappeler
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Nach "Bild"-Attacke: Was Kritiker bei Drosten-Studie hinterfragt haben – und wie es weitergeht

26.05.2020, 21:4827.05.2020, 06:18
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"Fragwürdige Methoden", "grob falsch", "unsauber gearbeitet". Es sind schwere Vorwürfe, die die "Bild"-Zeitung gegen den Chef-Virologen der Charité, Christian Drosten, am Montag erhoben hat. Die Zeitung beruft sich dabei auf Experten, die sich umgehend von dem Artikel und der Berichterstattung distanziert haben.

Sie sehen ihre Kritik an einer Charité-Studie falsch dargestellt. Worum geht es genau? Was haben die Experten konkret kritisiert? Und was bedeutet das für Drosten und sein Team?

Wir geben euch Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die Attacke auf die Drosten-Studie.

Eure Fragen unsere Antworten
Bild: watson

Worum ging es in der Drosten-Studie?

Mehrere Wissenschaftler des Instituts für Virologie an der Charité hatten untersucht, ob Kinder das Coronavirus genauso verbreiten wie Erwachsene, ob sie also genauso ansteckend sind.

Was genau hat die Studie ergeben?

Es stellte sich heraus, dass es zwischen Kindern und Erwachsenen keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Viruslast gebe. In der Studie heißt es genauer: "Basierend auf diesen Resultaten haben wir Vorbehalte gegen die unbegrenzte Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten in der derzeitigen Situation. Kinder könnten genauso ansteckend sein, wie Erwachsene."

Für die Auswertung verglich Drosten zusammen mit dem Mathematiker Terry Jones die vorhandene Virusmenge von 3712 Corona-Infizierten anhand von PCR-Tests. Diese wurden allesamt an der Berliner Charité durchgeführt. Unter den Probanden waren 127 Kinder, davon 37 im Kindesalter, 16 Grundschüler und 74 Jugendliche, die auf weiterführende Schulen gehen. Das erscheint zwar wenig, aber laut Drosten waren zum Zeitpunkt der Studie weltweit lediglich 1065 Kinder positiv getestet.

Wichtig: Bei der Studie handelt es sich um eine Vorveröffentlichung. Bisher wurde sie noch nicht von Fachkolleginnen und Fachkollegen geprüft.

Was haben die Kritiker laut "Bild" an der Drosten-Studie bemängelt?

Als Kritiker der Studie zitiert die "Bild" unter anderem Leonhard Held vom Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich. Dieser kritisiert demnach die Aussagekraft der Studie, die "unter einer kleinen Stichprobengröße von Kindern und Jugendlichen" leide – die Erkenntnisse müssten daher "mit einiger Vorsicht interpretiert werden".

Statistik-Professor Dominik Liebl weist laut "Bild" ebenfalls auf schwere Ungereimtheiten in der Drosten-Studie hin. "Die mittlere Viruslast der Altersgruppe Kindergarten ist um 86 Prozent niedriger als die mittlere Viruslast der Altersgruppe der Älteren", wird der Bonner Statistiker dort zitiert. Die statistische Analyse der Autoren widerspreche ihrer zentralen Schlussfolgerung.

Die Kritik von Wirtschaftswissenschaftler Jörg Stoye von der Cornell University in New York geht der "Bild" zufolge in eine ähnliche Richtung. "Meine Leseart der Charité-Studie kehrt ihre Stoßrichtung um", zitiert die "Bild" Stoye. Die Ergebnisse "scheinen von Entscheidungen der Forscher getrieben zu sein". Die Stoßrichtung der Resultate "stimme mit den öffentlichen Standpunkten (…) der jeweiligen Hauptautoren überein".

Der Mannheimer Statistik-Professor Christoph Rothe kritisiert demnach zudem die angewendeten Methoden: "Dass derart große Unterschiede von den Autoren als ‚nicht signifikant‘ eingestuft werden, liegt daran, dass die verwendeten statistischen Methoden sehr schwach sind."

Was sagen die Kritiker nach dem "Bild"-Artikel?

Nachdem der Bild-Artikel erschienen war, distanzierten sich einige der darin genannten Experten. So schrieb der Statistik-Professor Christoph Rothe auf Twitter: "Niemand von der Bild hat mit mir gesprochen, ich distanziere mich ausdrücklich von dieser Art der Berichterstattung."

Ähnlich schreibt es auch der Statistik-Professor Dominik Liebl:

Zudem sagt er, dass in der Statistik Fehler passiert seien. "Dies kann passieren. Passiert jedem Wissenschaftler einmal." Die Ergebnisse müssen laut Liebl neu interpretiert werden.

Außerdem äußerte sich Jörg Stoye noch in einem "Spiegel"-Interview zu dem "Bild"-Artikel. So sagt er, dass er von der "Bild" nicht kontaktiert worden sei. Seine Zitate gegen Drostens Studie stammen aus einem englischsprachigen Aufsatz, den die Bild "recht freihändig" übersetzt habe.

Er betont, dass er zwar geschrieben hat, dass die Stoßrichtung der Resultate mit den "öffentlichen Standpunkten (…) der jeweiligen Hauptautoren" übereinstimme, der Satz für sich allein aber "schräg" sei. Er könne wie die Anschuldigung klingen, dass Drosten die Ergebnisse seiner Studie vorher festgelegt habe. Allerdings schreibt Stoye ebenfalls in seinem Aufsatz: "Ich betone, dass ich den Autoren keine Absicht unterstelle." Das Zitat fehlte in dem Bild-Artikel.

Auf Twitter wird er noch etwas direkter:

Stoye bleibt jedoch bei der inhaltlichen Kritik an der Studie. So sagt er in dem "Spiegel"-Interview, dass die Kinder in der Untersuchung weniger Viren in sich tragen als Erwachsene. "Die Frage ist nun: Ist das nur Zufall? Oder ist es ein Muster? Ich glaube an Letzteres, anders als die Studie. Da sind wir tatsächlich unterschiedlicher Meinung", sagt er weiter.

Was bleibt jetzt von der Drosten-Studie?

Dass er und sein Team "relativ grobe statistische Methoden" verwendet haben, räumt Drosten im NDR-Podcast ein – das ändert seiner Ansicht nach aber nichts an der medizinischen Bedeutung und Interpretation der Daten. Die Schlussfolgerung, dass Kinder genauso viel Virus im Rachen haben wie Erwachsene, sei gerechtfertigt.

Drosten zufolge überprüften die Forscher die Daten nach der Kritik aber erneut und stellten eine statistische Verzerrung fest: Zu Beginn der Pandemie seien Proben von Kindern, die kaum Symptome zeigten, analysiert worden – die Viruslast im Rachen war hoch. Später dann wurden schwer erkrankte Kinder untersucht, bei denen die Viruslast bereits wieder gesunken war.

"Wenn wir das separat analysieren, dann ist es überdeutlich, dass die Kinder die gleiche Viruskonzentration haben wie die anderen Altersgruppen. Da gibt es nichts dran zu kritisieren."
Christian Drostenndr

Drosten will die Analysen jetzt überarbeiten und anschließend in einer Fachzeitschrift publizieren. Einer der kritischen Statistiker sei mittlerweile mit ins Team aufgenommen worden und arbeite am Update der Studie mit.

(ll/tkr/ftk)