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"Lanz": Virologin Brinkmann kritisiert Bundesregierung: "Nicht glücklich, wie es läuft"

Melanie Brinkmann: Die Virologin spricht über die Lockerungsmaßnahmen.
Melanie Brinkmann: Die Virologin spricht über die Lockerungsmaßnahmen.Bild: Screenshot ZDF
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"Nicht glücklich, wie es läuft": Virologin Brinkmann kritisiert Regierung

02.05.2020, 08:5602.05.2020, 08:55
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Angela Merkel stellte am Donnerstag nach Gesprächen mit den Ministerpräsidenten klar, dass die Menschen weiterhin vorsichtig sein müssen. Mit Blick auf den Sommerurlaub würden demzufolge Reisen in Europa nicht auf der Agenda stehen. Weiterhin sollen Entscheidungen zu weiteren Lockerungsmaßnahmen erst am 6. Mai fallen. Zudem bleiben die Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Leben vorerst bestehen.

Am Donnerstagabend ging es bei "Markus Lanz" um die neuesten Entwicklungen der Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf die Wirtschaft. Politiker Reiner Haseloff (CDU), Alexander Graf Lambsdorff (FDP), Virologin Melanie Brinkmann und Unternehmer Peter Schwenkow tauschten sich über die Folgen und die Vorgehensweise zur Eindämmung des neuartigen Virus aus. Dabei nahm besonders Brinkmann eine klare Haltung ein.

Die Gäste: Während der Sendung diskutierten sie über die Folgen von Corona.
Die Gäste: Während der Sendung diskutierten sie über die Folgen von Corona.Bild: Screenshot ZDF

Die Virologin teilt ihre Sorgen

Melanie Brinkmann stellte klar, dass sie es für wichtig halte, die Maßnahmen klug anzupassen. Im Sommer würde es keinen Sinn ergeben, die Spielplätze geschlossen zu halten. Dennoch habe sie Bedenken.

"Ich habe Sorge, dass die Lockerungen in einer gewissen Sorglosigkeit münden, es das falsche Signal ist und die Menschen denken, dass jetzt alles vorbei ist. Das darf nicht passieren. Wenn man wieder lockert und in den Normalzustand geht, werden die Zahlen wieder zunehmen."
Melanie Brinkmann: Bei "Markus Lanz" sprach sie offen darüber, was aus ihrer Sicht falsch läuft.
Melanie Brinkmann: Bei "Markus Lanz" sprach sie offen darüber, was aus ihrer Sicht falsch läuft.Bild: Screenshot ZDF

FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff forderte, dass es endlich eine klare Perspektive geben müsse. "Dass man einen Fahrplan macht. Dass wir der Gastronomie irgendwann mal eine Perspektive geben, das würde ich mir wirklich wünschen von der Bundesregierung."

Brinkmann stimmte in Teilen zu. Sie findet es "total wichtig", dass wieder Planungssicherheit einkehre. Die Virologin kritisierte dabei die Kommunikation der Bundesregierung.

"Es ist in der Kommunikation nicht glücklich, wie es gerade läuft. Wir müssen kommunizieren, wo wir hinwollen."

Es müsste klargemacht werden, welche Strategie man fahren wolle. "Wollen wir uns auf diesem schmalen Grat bewegen, dass wir immer um R = 1 uns bewegen. Dann geht es ewig so weiter", so Brinkmann. "Oder fahre ich etwas weiter drunter mit Sicherheitsabstand und etwas Puffer?" Eine Frage, die die Bundesregierung bisher nicht deutlich beantwortet hat.

Es sei dabei sehr wichtig, "nicht nur auf die R-Zahl zu starren", mahnte sie. Die aktive Zahl der Neuinfizierten sei für sie wichtig, denn die Reproduktionszahl würde nur einen Trend angeben. Die Virologin ist davon überzeugt, wenn die Fallzahlen niedrig gehalten werden, die Wahrscheinlichkeit gering sei, dass sich ein Schüler infiziere. Dennoch sei wichtig:

"Man muss in der Lage sein, die Kontakte nachzuvollziehen. Deswegen ist ein Besuch im Fußballstadion Wahnsinn. Dort gibt es so viele Kontakte."

Brinkmann spricht über das schwierige Familienleben

Die Infektionsforscherin hat drei Söhne und berichtete auch über ihren Familienalltag: "Wir haben das Glück, dass sie in die Notbetreuung gehen können. Meine Eltern grenzen wir fast aus. Man kann sich draußen im Garten treffen. Das Umarmen fehlt, aber das Verständnis ist natürlich da, weil sie geschützt werden müssen." Derzeit stehe besonders die Wissenschaft vor großen Herausforderungen, weil wir so vieles noch nicht über Covid-19 wissen. "Das Thema Kinder ist ein riesiges Problem", erklärte Brinkmann. Wir bräuchten viel mehr Studien.

Die Virologin: In der Sendung debattierte sie auch über Studien, die fehlen würden.
Die Virologin: In der Sendung debattierte sie auch über Studien, die fehlen würden.Bild: Screenshot ZDF

Zur Diskussion rund um Hendrik Streeck und Christian Drosten sagte die Virologin:

"Man muss akzeptieren, dass es in der Wissenschaft unterschiedliche Meinungen gibt. Ich sehe diesen Streit nicht wirklich zwischen Streeck und Drosten. Drosten hat kritisiert, wie wissenschaftliche Daten präsentiert werden."
Alexander Graf Lambsdorff: Der FDP-Politiker war selbst mit Corona infiziert.
Alexander Graf Lambsdorff: Der FDP-Politiker war selbst mit Corona infiziert.Bild: Screenshot ZDF

Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff sah noch ein ganz anderes Problem: "Wir werden zugeschossen mit unterschiedlichen Informationen. Das sind so schwere Grundrechtsentscheidungen. Homeoffice und Homeschooling sind beides zusammen ein Albtraum." Jede Freiheitseinschränkung müsse begründet sein. Gleichzeitig solle auch Hoffnung gegeben werden.

Auch Reiner Haseloff, Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, betonte: "Ich habe vor den Virologen einen hohen Respekt. Jeden Tag kommt eine neue Studie. Als Physiker weiß ich, dass das alles ein hochkompliziertes System ist. Wir müssen tagesaktuell entscheiden und uns pragmatisch vortasten. So versuchen wir die Wirtschaft wieder ans Netz zu bekommen."

Reiner Haseloff: Der Ministerpräsident wurde ins Studio zugeschaltet.
Reiner Haseloff: Der Ministerpräsident wurde ins Studio zugeschaltet.Bild: Screenshot ZDF

Konzertveranstalter Peter Schwenkow schlägt Alarm

Peter Schwenkow äußerte seine Bedenken: "Wir leiden unter den Konsequenzen, die die Politik macht. Wir wollen nur wissen, wann wir absehbar eine Chance haben, langsam wieder aus der Krise zu kommen." Die Veranstaltungsbranche würde es aufgrund des Berufsverbots schwer haben. Dennoch sagte er:

"Ich finde das richtig, solange nicht geklärt ist, wie man mit Großveranstaltungen umgeht. Wir haben alles abgesagt."

Über fünf Millionen Tickets würde er jährlich verkaufen. Die Branche setze jährlich fünf Milliarden Euro um. Nun würden allein vier Milliarden fehlen.

Peter Schwenkow: Seine Branche ist besonders betroffen.
Peter Schwenkow: Seine Branche ist besonders betroffen.Bild: Screenshot ZDF

Schwenkow erklärte die ernste Situation: "Von heute auf morgen haben die Menschen keine Arbeit mehr. Unsere Meinung ist, dass wir Kultur möglich machen müssen." Seine düstere Prognose: "Wir gehen davon aus, dass die Klassik für drei Jahre tot ist." Das alte Publikum könne lange nicht mehr zu Konzerten gehen. Die Hälfte der Betriebe gehe bankrott.

Virologin Brinkmann zeigte sich am Ende optimistisch und meinte:

"Wenn wir geringe Fallzahlen in Deutschland haben, Quarantäne, Isolation, Unterbrechung der Infektionsketten einhalten, dann sind wir auf einem super Weg. Die Welt schaut auf Deutschland. Wir haben eine Vorbildfunktion."
Melanie Brinkmann: Am Ende der Sendung zeigte sie sich dennoch optimistisch.
Melanie Brinkmann: Am Ende der Sendung zeigte sie sich dennoch optimistisch.Bild: Screenshot ZDF

Schwenkow pflichtete bei: "Wir brauchen mutige Politiker." Haseloff stellte zudem klar: "Jede Öffnung muss mit klaren Bedingungen verbunden sein. Entscheidend ist die Rückverfolgbarkeit." Und weiter: "Wenn wir das nicht hinbekommen, gibt es Hotspots. Das raubt einem den Schlaf. Ich schlafe deutlich unruhiger als in meinen Amtsjahren."

(iger)