Riskieren wir eine zweite Corona-Welle dadurch, dass wir die Maßnahmen langsam wieder lockern? Kanzlerin Angela Merkel ist zumindest skeptisch, sie teilte in ihrer Regierungserklärung ihre Sorge mit, dass man mancherorts vielleicht zu forsch mit den Lockerungen umgehe.
Eine, die damit durchaus gemeint gewesen sein könnte, ist Malu Dreyer, SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. In Zweibrücken, nahe der Grenze zum Saarland, ist seit drei Tagen ein Outlet-Center wieder offen. Die Begründung: Die einzelnen Geschäfte seien ja klein genug. Dreyer ist an diesem Donnerstagabend zu Gast bei "Maybrit Illner". Und sagt: "Ich fühle mich nicht angesprochen." Man gehe sehr bedacht mit den Lockerungen um und halte sich dabei auch an alle Vorgaben.
Neben Dreyer, die genau wie die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim zugeschaltet ist, sind Virologe Hendrik Streeck, VW-Chef Herbert Diess und Grünen-Politiker Cem Özdemir geladen. Und letzterer wirkt beim Thema Lockerungen gar nicht mal so begeistert. Er würde sich wünschen, seine Kollegen aus der Politik, die jetzt fordern, alle Kinder wieder in die Schule zu schicken, würden mal woanders ihr "Mütchen kühlen", also ihren "Zorn" rauslassen.
Er schlägt einen Wettbewerb vor, welche Schulen die besten Klos und wer Seife auf den Toiletten hat. Auch die "Reinigungsgeschichten" sollten mit in den Unterricht aufgenommen werden. Was genau er damit meint, führt er aber nicht aus. Begründet aber seine Aussage: "Damit das ordentlich in Fleisch und Blut übergeht".
Was Virologe Streeck von der Idee hält, ist an seinem Gesicht abzulesen. Während Özdemir spricht, schwenkt die Kamera zur Seite und der Zuschauer sieht ein süffisantes Grinsen des Experten. Den Vorschlag von Özdemir scheint er nicht so toll zu finden.
Und Özdemir hat einen weiteren Appell in Richtung seiner Kollegen. "Wir machen aus den Virologen gerade Politiker", sagt er. Das gehe so nicht und müsse getrennt werden. Özdemir war selbst an Covid-19 erkrankt. Zum Glück nur mit milden Symptomen, seine Familie blieb verschont.
Es geht an diesem Abend thematisch hin und her. Hier ein Themenwechsel, da ein neuer Impuls. Moderatorin Illner bringt die Covid-19-Verlaufskurve des Robert-Koch-Instituts ins Spiel, die kürzlich für Aufsehen sorgte. Die Kurve skizziert, dass die Reproduktionszahl des Coronavirus, also wie viele Menschen jeder Infizierte ansteckt, schon vor der Kontaktsperre, die am 23. März verhängt wurde, enorm gesunken ist. War der Lockdown also total unsinnig?
"Es ist naheliegend, diese Kurve so zu interpretieren", sagt Wissenschaftsjournalistin Nguyen-Kim. Aber das sei nicht die ganze Wahrheit. So hätten beispielsweise die Schreckensbilder aus anderen Ländern die Menschen in Deutschland schon vor dem 23. März in den persönlichen Lockdown bewegt.
Ein weiteres Thema an diesem Abend ist ein altbekanntes: Die Heinsberg-Studie. Die erste Covid-19-Studie aus einem Corona-Hotspot, konkret dem Ort Gangelt im Kreis Heinsberg. Virologe Hendrik Streeck ist das Gesicht der Studie geworden – und musste in dieser Funktion schon mit viel Kritik leben. Vor allem die Präsentation der Zwischenergebnisse vor zwei Wochen geriet in die Schusslinie.
Doch von Anspannung an diesem Abend keine Spur. Streeck verrät, dass das Manuskript kurz vor dem Abschluss stehe. Er sei "sehr entspannt". Über die Endergebnisse reden will er an diesem Abend aber nicht, Illners Nachfragen beantwortet er ebenfalls nicht konkret. Man müsse sich eben noch bis zur Veröffentlichung gedulden.