Frank Plasberg diskutiert in seiner Sendung das Thema "Das Virus kommt mit Macht zurück – wer schützt jetzt die Alten?" Vielleicht nicht unbedingt der aktuellste Aspekt der Pandemie, aber später am Abend steht in der ARD die Doku "Ich weiß nicht mal, wie er starb – Wie ein Pflegeheim zur Corona-Falle wurde" im Programm und darauf nimmt der Talk Bezug.
Seit Monaten warnen Politik und Medizin vor der zweiten Corona-Welle. Nun scheint es aber so, als hätten ausgerechnet diese beiden Bereiche die eigenen Warnungen nicht ernst genug genommen. Zu Gast bei "Hart aber fair" sind:
Krankenpflegerin Nina Böhmer wurde am Anfang der Pandemie bekannt mit einer Facebook-Nachricht. Am 23. März schrieb sie sich den Frust von der Seele:
Auch wenn sich die junge Frau bei Frank Plasberg nun etwas diplomatischer im Ton äußert, benennt sie die Missstände doch auch an diesem Abend ähnlich klar:
Wirklich schockierend ist, was die bei einer Zeitarbeitsagentur angestellte Pflegerin, die viele unterschiedliche Heime aus ihrer Tätigkeit kennt, mehr als ein halbes Jahr nach dem deutschen Maskennotstand enthüllt: "Egal, wo ich bin, ich habe nur eine Maske pro Dienst." Dabei sollte diese nach jedem Patienten gewechselt werden. Aber mehr Material sei nicht verfügbar.
In der Runde herrscht Entsetzen. Der Intensivmediziner Uwe Janssens sagt: "Ich verstehe das nicht so ganz, das darf eigentlich nicht so sein." Bernd Meurer, Betreiber dreier Pflegeheime in Bayern und Rheinland-Pfalz, sieht das aber eher als Einzelfall. "Es gibt auf dem Markt im Moment genug Möglichkeiten, Masken zu beschaffen". Allerdings warnt er gleich vor einer anderen Knappheit, die uns bevorsteht: Handschuhe, vor allem die reizarmen und besonders verträglichen Nitrilhandschuhe. "Der Rohstoff wird knapp", sagt er.
Klingt fast wie am Anfang von Corona. Als es weltweit keine Schutzausrüstung mehr gab. Die Leidtragenden sind die Pflegenden. Nina Böhmer erzürnt auch, dass der angekündigte Corona-Bonus für die Pflegeberufe nun doch nicht flächendeckend in voller Höhe ausgezahlt wird. "Wenn man wirklich Wertschätzung ausdrücken will, könnte man allen diesen Bonus auszahlen." Streik für bessere Bedingungen? "Wir müssen trotzdem immer gewährleisten, dass die Patienten gut versorgt sind – da fällt ein Streik gar nicht auf." Trotzdem sagt sie: "Ich mache meinen Job gerne, trotz allem."
Nun sind Pflegekräfte bekanntlich schon immer schlecht bezahlt. Das weiß auch Andreas Westerfellhaus, Pflegebeauftragter der Bundesregierung. Er war selbst ausgebildeter Krankenpfleger, bevor er in die Politik wechselte. In der Job-Beschreibung des Pflegebeauftragen heißt es: "Die Bundesministerien und -behörden beteiligen den Pflegebevollmächtigten bei allen Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen wichtigen Vorhaben mit Pflegebezug." Der gelernte Krankenpfleger ist in seinem Amt Interessenvertreter vor allem der Pflegebedürftigen, aber auch "Ansprechpartner für alle in der Pflege Beteiligten." Allerdings spricht er über seine ehemaligen Pflege-Kollegen, als wären sie selbst schuld an der Gehaltsmisere. "1,2 Millionen Menschen, die es nicht schaffen, solidarisch aufzutreten", wirft er den bundesdeutschen Pflegekräften vor, um allerdings danach gleich wieder einzuräumen, dass er das nicht als Vorwurf meine.
Man könnte auch auf den Gedanken kommen, warum er sich in seinem politischen Amt nicht für eine Verbesserung der Situation einsetzt. Einen Streik erachtet Pflegerin Böhmer als gefährlich, weil er auf Kosten der Patienten gehen könne. Doch Westerfellhaus entgegnet: "Ich finde es viel riskanter, auf Dauer zu wenig qualifizierte Pfleger zu haben."
Und das sieht auch Intensivmediziner Uwe Janssens so: "Die Pflege ist am Limit. Jüngere kommen nicht nach, weil der Beruf so unattraktiv ist."
Er glaubt, dass mehr Verantwortung den Job attraktiver macht. "Da sind die Ärzte gefordert in ihrem Standesdünkel, eine Änderung herbeizuführen." Auch Nikolaus Schneider, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, weiß: "Die Probleme sind seit Jahren bekannt". Gemeint sind vor allem Ausstattung und Bezahlung.
"Die Mitarbeiterschaft der Pflegenden ist erpressbar, weil sie so ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein haben." Aber auch er schiebt den Pflegenden den Schwarzen Peter zu: "Wir kommen nicht weiter, wenn nicht die Pflegenden selbst eine andere Macht entfalten." Die evangelische Kirche zahle aber in den von ihr betriebenen Einrichtungen nach Tarif.
Das hilft dem Hamburger Rentner Alex Kienscherf allerdings herzlich wenig. Er ist für seine demenzkranke Frau, mit der er seit 55 Jahren verheiratet ist, ins Seniorenheim gezogen, weil er sie sonst nicht mehr hätte besuchen dürfen. Er ist "sehr glücklich" mit der Entscheidung, auch wenn er die Einrichtung danach nicht mehr verlassen durfte. Seine Frau ist demenzkrank, spricht nicht mehr, die Kommunikation läuft nur über die Augen. Er ist der Einzige, den sie noch erkennt. Und er habe sie sehr unruhig und zitternd vorgefunden, als sie sich fünf Tage nicht gesehen hatten, bevor er zu ihr zog. Die Therapien waren ausgesetzt wegen Corona, er hat diese dann unter SMS-Anleitung einer Pflegerin übernommen. "Ich habe gesehen, sie braucht meine Hilfe, um zu erkennen, dass überhaupt jemand für sie da ist."