Gleich zu Beginn der Sendung kündigt Moderator Markus Lanz ein "rhetorisches Duell" zwischen dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot an. Obwohl die Politologin es nicht als solches anerkennen wollte, kam es zum Schlagabtausch zwischen fast allen Gästen – teilweise so chaotisch, dass kaum mehr ein Wort zu verstehen war.
Karl Lauterbach macht bereits in seinen ersten Sätzen deutlich, dass wir am Beginn einer zweiten Infektionswelle in Deutschland stünden. Dabei gibt er dem Virologen Christian Drosten recht:
Jetzt, wo die Zeit kommt, in der man sich eher drinnen aufhalten wird, werden auf die Infektionszahlen wieder steigen – möglicherweise mehr als im Sommer. Die Pandemie würde sich nicht von Einzelfällen "ernähren" können, sondern brauche quasi Superspreader-Ereignisse. In geschlossenen Räumen würde so etwas häufiger stattfinden.
"In zwei, drei Wochen wird sich zeigen, welchen Weg wir gehen", sagt der Mediziner. Seiner Einschätzung nach seien wir mit zu vielen Infektionen in den Herbst gestartet – flächendeckend in Deutschland. "Hätten wir den Lockdown etwas länger durchgezogen, wären wir in eine andere Lage gekommen", ordnet Lauterbach die Zahlen ein. Er warne zwar nicht vor einem weiteren Lockdown, jedoch müssten jetzt "maßvolle Maßnahmen ergriffen werden".
Die Kabarettistin und Schriftstellerin Elke Heidenreich befürwortet die Maßnahmen: "Ich zähle zur absoluten Risikogruppe. Ich bin 77, ich hatte Krebs, ich habe nur eine halbe Lunge, ich muss wirklich aufpassen. Ich will das nicht haben", sagt die Autorin. Und dann feuert sie gegen die Hygiene- und Querdenker-Demonstranten:
Die 77-Jährige redet sich in Rage und ist felsenfest davon überzeugt, dass die Regierung niemanden "gängeln" würde, sondern dass sie darum "bitte ermahne, sich an die Regeln zu halten". Dann erzählt sie von einer tragischen Geschichte: Der Bruder einer Freundin von ihr verstarb nach drei Tagen an Covid19 – mit gerade einmal 45 Jahren. "Ein Mensch wie ein Baum", fügt sie hinzu.
Doch dafür scheint die anwesende Politologin Ulrike Guérot kein Mitgefühl zeigen zu können. Die Professorin für Europapolitik und Demokratieforschung macht zunächst klar, dass sie nicht ins Studio gekommen sei, um sich zu duellieren, wie Markus Lanz es angekündigt habe, sondern um die "Streitkultur zu inszenieren". Sie spüre ein Ressentiment innerhalb der Bevölkerung, in dem andere Meinungen an den Rand gedrängt würden. Sie ist gegen die Stigmatisierung von Kritikern.
Sie möchte, dass die Argumente "ernst genommen" werden. "Auch aus dem dümmsten Mund kann ein wahres Argument kommen", sagt die 56-Jährige. Jemanden als "Covididiot" zu bezeichnen, käme einer Erosion der Demokratie nahe. Guérot möchte, dass auch andere Meinungen wieder in die Mitte der Diskussion rücken und nicht am Rand verharren – und dass es dabei nicht um ein Duell ginge. "Ich wollte Sie nur warm machen", versucht sich Lanz zu verteidigen. "Ich bin warm", antwortet sie.
Zwar trage die Politologin auch selbst Maske und würde sich an alle Maßnahmen halten, aber dennoch sagt sie in Bezug auf die potenzielle Gefahr des Virus:
Die Mutter zweier Söhne stellt die Situation etwas überspitzt dar, jedoch möchte sie auf etwas Bestimmtes hinaus: Sie warnt davor, dass in Deutschland das passieren könnte, was weltweit nach den Anschlägen vom 11. September passiert ist: Flughäfen wurden zu Hochsicherheitstrakten, man dürfe kein Wasser, kein Hipp-Glas, kein Lippenstift mitnehmen und müsse sich "bis auf die Unterhose ausziehen". "Hier wurde das Völkerrecht geändert. Aus dem "Right of interference", das besagt, dass man sich nicht in die staatlichen Angelegenheiten anderen einmischen dürfe, wurde das "Right to Protect", welches es den USA auch erlaubte, in den Irak einzumarschieren.
Bis heute seien all die Sicherheitsmaßnahmen nicht rückgängig gemacht worden. Guérot warnt davor, dass das auch mit den Corona-Maßnahmen passieren könnte und fordert ein Versprechen der Regierung, dass dies nicht geschehen wird. Die Autorin Heidenreich kann die Argumente nicht verstehen und sagt, sie vertraue dem Land und den Politikern. "Was denken Sie denn?", fragt sie provozierend. Während die Politologin immer wieder den Begriff "Gehorsam" verwendet, halten Lauterbach und Heidenreich dagegen und reden stattdessen von "Verantwortung". Als auch Markus Lanz noch dazwischenredet, bleibt kaum mehr ein Wort verständlich.
Lauterbach versucht im ruhigen Ton mitzumischen und wird dennoch deutlich:
ede Maßnahme würde genau überdacht und diskutiert werden. "Man wird doch nicht wiedergewählt, wenn man die Maskenpflicht behält und die Pandemie vorbei ist." Der SPD-Politiker ist der festen Überzeugung, dass es Anfang des Jahres einen Impfstoff geben wird, der zwar "nicht perfekt" ist, aber dennoch helfen wird. Trotzdem kommt er noch einmal darauf zurück, dass nun die "härtesten Wochen auf uns zukommen". Viele seien müde, es habe schon Lockerungen gegeben und nun müssten wir wieder schauen, wie sich die Pandemie verhalte.
Zudem warnt der Mediziner vor den Folgen der Virus-Erkrankung. Manche Menschen würden starke Langzeitschäden davontragen – vor allem viele Frauen seien davon betroffen. Er wollte zwar keine Panik verbreiten, aber es sei auch nicht harmlos. Der ägyptische Islamwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, der erst gegen Ende wirklich zu Wort kommt, warnt noch vor etwas ganz anderem. Es behauptet, es gäbe innerhalb der Bevölkerung in Deutschland eine Vertrauenskrise.
Als er vor 25 Jahren nach Deutschland kam, hätten sich die Menschen einfach an Regeln gehalten. Nun beobachte er einen "Prozess der Entfremdung". Leute würden von "denen, da oben" sprechen. Nach der Euro-, der Flüchtlings- und nun der Covid19-Krise fehle das Vertrauen in die Regierung. Seiner Meinung nach handele es sich jedoch um eine Vermittlungskrise. "Es gibt keinen Vermittlungsraum, in dem unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen." Jeder, der andere Meinungen habe, würde sofort an den Rand gedrängt werden, sagt der Politologe, der prompt Zustimmung von Guérot erhält.
Auch Abdel-Samad fordert eine "gesunde Streitkultur" und lebt diese – weitestgehend – selbst aus. Weg vom Thema Corona geht es am Ende auch um das Thema der Integration. Abdel-Samad hat einen Youtube-Kanal, der insbesondere im arabischen Sprachraum sehr beliebt ist – zumindest bei jungen Leuten. In Deutschland würde er von "seinen eigenen Leuten angefeindet werden". Der gebürtige Ägypter befürwortet vieles in seinem Glauben, aber kritisiert auf seinem Kanal den Islam auch in Teilen, indem er sagt, dieser habe eine "gefährliche Gesellschaftsordnung", würde Frauenrechte nicht wahren und keine gute Kindererziehung propagieren. Zur Integration Geflüchteter in Deutschland sagt er, man dürfe die Leute nicht über den Glauben integrieren, sondern über die Freiheit, hier zu leben.
So endet der Abend bei Markus Lanz als Plattform für viele unterschiedliche Meinungen, wie es von einigen Gästen gefordert wurde.