Die Corona-Pandemie ist zurück im Bewusstsein der Menschen – falls sie denn jemals weg war. Zumindest ein leichtes Vergessen bei mancher Bevölkerungsgruppe schien eingetreten zu sein. Doch jetzt melden die Gesundheitsämter Rekordzahlen, die Bundesregierung verschärft die Regeln wieder – und die betreffen Millionen von Menschen.
Bei "Maybrit Illner" am Donnerstagabend im ZDF ist eine interessante Runde geladen. Neben Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), der sich zu mehreren Corona-Maßnahmen bereits kritisch geäußert hatte, ist mit Manuela Schwesig (SPD) auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern da. Beide saßen am Mittwoch acht Stunden mit Kanzlerin Angela Merkel und den anderen Ministerpräsidentinnen und -präsidenten zusammen und beschlossen neue Regelungen.
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Und zumindest Ramelow empfand die Ministerpräsidenten-Runde als sehr konstruktiv. Anders denkt er allerdings über die anschließende Berichterstattung über die Konferenz. Er hat das Gefühl, viele Journalisten würden diese als eine Runde aus "16 Dödeln, die nur durcheinanderreden" ansehen. Das sei natürlich nicht der Fall. Während die "16 Dödel"-These aber eher ein Gefühl des Ministerpräsidenten zu sein scheint, bereitet ihm etwas viel Handfesteres ebenfalls Sorgen: die steigenden Infektionszahlen in seinem Bundesland.
Ramelow war immer wieder als jemand aufgefallen, der für differenziertere Regelungen plädiert hatte und er ist auch ein entschiedener Gegner des allgemeinen Beherbergungsverbots. Dass sich die Corona-Infektionen in Thüringen allerdings verzehnfacht hätten, mache auch ihn "nervös".
Das Beherbergungsverbot und die Maßnahmen der Ministerpräsidentenkonferenz sind das beherrschende Thema der Sendung. Sowohl Ramelow als auch Schwesig wollen beim Thema Beherbergungen eine differenziertere Regelung, die darauf abzielt, dass die Amtsärzte in den Hotspot-Regionen entscheiden, ob ein Mensch reisen darf oder nicht und dass diese Entscheidung nicht an den Urlaubsorten hängen bleibt.
Für differenziertere Betrachtungen spricht sich auch der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut aus. Zwar sagt er:
Das "Ampelsystem" meint dabei die Einführung eines zweiten Schwellenwertes ab einem Inzidenz-Wert, der Zahl der Neuinfektion auf 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen, von über 35. Ab dann sollen neue Maßnahmen greifen, die unter anderem die erlaubten Gruppengrößen im öffentlichen und privaten Raum begrenzen.
Und damit kommt der Virologe zur Differenzierung, denn wenn „Ampelsystem“, dann bitte auch differenziert. Könne man zum Beispiel angestiegene Infektionszahlen auf ein oder wenige Ereignisse wie zum Beispiel eine Hochzeit begrenzen, müsse man keine ganzen Kreise schließen, sagt der Virologe. Eigentlich fordert jeder in der Runde eine differenziertere Betrachtung. Man könnte auch sagen, im Prinzip sind sich alle einig.
Moderatorin Illner ist diejenige, die an manchen Stellen versucht, ein wenig Salz zu streuen. "Wenn wir jetzt also nicht mehr in die Restaurants, in die Bars, in die Clubs gehen sollen, dann wird zuhause gefeiert", setzt Illner zu einer Frage an Thüringens Ministerpräsident an. Ramelow unterbricht sie ein wenig verdutzt. "Verzeihen Sie, wir haben jetzt gar nicht drüber geredet, dass die Menschen nicht mehr ins Restaurant gehen sollen." Man wolle auch, dass die Menschen weiterhin ins Hotel gehen. Es gehe vielmehr darum, dass die Hygienekonzepte funktionieren und dann sollen die Menschen das auch machen. Also in Restaurants und Hotels gehen, meint Ramelow.
Auch den Virologen Schmidt-Chanasit versucht Illner zu kitzeln. "Aber wenn es keine wirksamen Kontrollen gibt, ist dann nicht wieder der Vernünftige der Dumme, einfach, weil er auch bestraft wird?", fragt sie. Doch Schmidt-Chanasit lässt sie auflaufen.
Man könne nur appellieren an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen und hoffen, dass sich möglichst viele an die Regeln halten und an ihre Mitmenschen denken.
Und Schmidt-Chanasit teilt weiter aus. Er sei "ganz vorsichtig" mit einigen Modellen zur Entwicklung der Fallzahlen, zum Beispiel die Modelle, die sagen würden, "wir sind in drei Wochen bei 20.000 Neuinfektionen". Denn man könne das Verhalten der Menschen nicht vorhersagen. Wie sie auf die Meldungen erhöhter Zahlen und neuer Maßnahmen reagieren, wisse man nicht.
Und er erwarte definitiv eine Reaktion auf diese Meldungen, die teilweise "echt Angst machen" würden. Außerdem müsse man seiner Meinung nach in der ganzen Betrachtung von Covid-19 auch die Verhältnismäßigkeit wahren. Einen zweiten Lockdown etwa "kann es nicht geben", sagt Schmidt-Chanasit.
Auch René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamtes Frankfurt, hält die Hochrechnungen der Infektionszahlen für "wertlos". Es sei eigentlich "nicht statthaft", während einer Pandemie solche Berechnungen anzustellen und diese Modelle würden darunter leiden, dass zu viele Einflussfaktoren dahinterstecken, die man nicht alle berechnen könne. Die Kritik an dem Modell ist damit auch indirekt als Kritik an Kanzlerin Merkel zu verstehen, die das Modell von knapp 20.000 Neuinfektionen pro Tag bis Weihnachten vor wenigen Wochen ins Spiel gebracht hatte.
Dann geht es auch noch um die steigenden Fallzahlen an sich und ob die Politik davon überrascht wurde. Ziel der Frage von Illner ist Thüringens Ministerpräsident. Und der ist leicht reizbar. Als Illner ansetzt, dass die Politik von den steigenden Fallzahlen in den Sommerferien und auch jetzt im Herbst überrascht worden wäre, reagiert Ramelow sofort.
Ramelow sagt das gleich zweimal sehr deutlich und auch ziemlich laut. Es sei klar gewesen, dass die Zahlen ansteigen würden. Ihm sei es wichtig, dass man jetzt verstanden habe, keine einheitlichen Lockdowns beschließen zu können, sondern den Gesundheitsämtern lediglich Instrumente an die Hand zu geben, mit denen sie reagieren können. Dass er damit mehr oder weniger das Thema wechselt, fällt dabei nicht mal auf.
Was am Ende bleibt, ist die Einsicht, dass eigentlich alle einer Meinung sind: Differenziertere Betrachtung der Maßnahmen, Beherbergungsverbot umdenken. Und, dass die Hochrechnung der Bundeskanzlerin zwar ein Warnschuss an die Bevölkerung, aber am Ende eigentlich sehr spekulativ war.