An diesem Montag treten die neuen Corona-Maßnahmen in Kraft. Heißt: Es gibt kaum eine bessere Zeit für eine spannende TV-Debatte zu genau diesem Thema. Bei "Anne Will" am Sonntagabend in der ARD sind namhafte Gäste eingeladen – darunter einer der derzeit populärsten Politiker in Deutschland, Markus Söder (CSU).
Und der bayerische Ministerpräsident macht gleich klar, was er von den Maßnahmen, an deren Erstellung er immerhin maßgeblich mitgewirkt hat, hält: Sie seien absolut notwendig. Es gebe zwar eine Alternative und die wäre, die Pandemie einfach laufen zu lassen. Und das sei eigentlich dann doch keine Alternative.
Außerdem in der Runde zu Gast:
Stefan Willich ist Professor an der Berliner Charité und warnt vor den großen Schäden, die nationale Lockdowns seiner Ansicht nach anrichten können. Es ist ein Potpourri schlimmer Vorstellungen und Willich fasst es zusammen:
Sein Ansatz wäre eine differenziertere Betrachtung: Er würde gerade in der Kulturbranche nicht alle Einrichtungen zu machen und auch Freizeitsport an der frischen Luft nicht verbieten. Doch nicht nur die Kulturbranche hat hart zu knabbern, wie sich später in der Sendung nochmal zeigen sollte, auch eine weitere Branche ist stark getroffen: die Hotel- und Gastronomiebranche.
Bislang sind keine "Superspreader-Events" bekannt, die in einem Hotel oder einem Restaurant mit gut ausgearbeitetem Hygienekonzept ihren Anfang nahmen. Und trotzdem gibt es Beherbergungsverbote und dergleichen.
Die Begründung sei etwas "wacklig", sagt auch Moderatorin Will und adressiert Markus Söder, der allerdings die Maßnahmen verteidigt mit dem Hinweis darauf, dass man bei 75 Prozent der Infektionen nicht wisse, woher sie kommen und daher keinen Ort oder keine Branche als "Hotspot" per se ausschließen könne.
Doch egal, wie gut die neuen Regelungen verargumentiert werden – Gegenstimmen gibt es immer. Und manches landet am Ende vor Gericht und dort wird dann über die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit entschieden.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht das zum Beispiel bei manchen Regelungen nicht gegeben. Zumindest notwendig seien sie nicht. Welche sie konkret meint, führt sie allerdings nicht aus, sondern begibt sich lieber in einen kleinen Schlagabtausch mit Markus Söder, der sich selbstverständlich eine breitere rechtliche Akzeptanz der Maßnahmen wünscht.
Dann ist Viola Priesemann, die sich zuvor vornehm zurückgehalten hatte, am Zug. Die Physikerin modelliert unter anderem den Verlauf der Corona-Pandemie. Sie hält einen flammenden Appell dafür, die Infektionszahlen so gut es geht zu senken und zwar mit allen Maßnahmen, die zur Verfügung stehen. Zwar sei derzeit beispielsweise die Sterblichkeitsrate ziemlich gering bei 0,2 bis 0,3 Prozent. "Wenn aber die Krankheit sich gleichmäßig in allen Bevölkerungsgruppen ausbreiten würden, wären wir eher bei 1,5 Prozent Sterblichkeit", betont Priesemann.
Und sie führt aus: "Die Krankenhäuser sind dann irgendwann überlastet, die Gesundheitsämter sind überlastet." Bis hin zum Kollaps. Ihrer Meinung nach braucht es die umfangreichen Maßnahmen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Wenn das nicht gelinge, drohe eine dauerhaft hohe Infektionszahl.
Dann kommt Till Brönner in die Runde dazu. Der Jazz-Musiker konnte seit März Corona-bedingt nur drei Konzerte spielen und er sieht für seine Branche schwarz:
Über eine Million Menschen arbeiten in der Kulturbranche und sehr viele von ihnen würden laut Brönner durch die Corona-Zeit bald Arbeitslosengeld beziehen müssen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger springt Brönner zur Seite, betont, wie unverhältnismäßig sie den "Lockdown" für Kulturschaffende findet. "Das bringt uns doch jetzt wirklich nicht weiter", unterbricht Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sie aber ziemlich schnell und hat damit völlig recht. Denn die Diskussion sollte viel eher dahingehen, wie man die Kulturschaffenden finanziell entlasten und sie durch den Lockdown bringen kann.
Und da scheint nun zumindest eine halbwegs akzeptable Lösung gefunden zu sein: Der Bund will für die angekündigte Entschädigungszahlung von 75 Prozent des Umsatzes den durchschnittlichen Jahresumsatz der Solo-Selbstständigen aus dem vergangenen Jahr als Bemessungsvorlage nehmen. Denn bislang lief die finanzielle Entlastung hauptsächlich über die Betriebskosten und die sind bei vielen Künstlern und Solo-Selbständigen sehr gering.
Dann meldet sich Professor Stefan Willich nochmal zu Wort. Er spricht sich für eine veränderte Betrachtung der relevanten Corona-Statistiken aus.
So sei eine hohe Zahl an Neuinfektionen für viele in der Bevölkerung erstmal gar nicht gefährlich, sondern man müsse auf die schauen, für die es gefährlich werden kann. Er fordert daher, unter anderem mehr auf die Intensivkapazitäten zu schauen. Das bleibt jedoch nicht lange unkommentiert. Viola Priesemann klinkt sich vehement ein.
Sie appelliert noch einmal, dass exponentiell steigende Infektionszahlen selbstverständlich relevant seien. Wenn man die nämlich nicht in den Griff bekomme, gerate schnell alles außer Kontrolle. Bevor sie jedoch noch weiter ausholen kann, muss Moderatorin Will die Sendung beenden – die Sendezeit ist vorüber. Und so bleibt Viola Priesemanns eindringlicher Appell als Mahnung in der Luft stehen.