Mit den sinkenden Temperaturen im Herbst steigt die Ansteckungsgefahr für Infektionskrankheiten. Dazu zählen Erkältungen und die Grippe ebenso wie eine Infektion mit Covid-19. Experten warnen, die Pandemie komme im Herbst erst richtig in Fahrt, Gesundheitsminister Jens Spahn kündigte in dieser Woche Fieberambulanzen und Schwerpunktsprechstunden an. Sind ein erneuter Lockdown und harte Verhaltensregeln notwendig oder reichen die bisher flächendeckend geltenden Maßnahmen aus: Abstand, Händewaschen und Alltagsmasken? Maybrit Illner lud zum Thema "Der Sommer geht, Corona bleibt – wird der Herbst zum Risiko?" folgende Gäste zum Polit-Talk:
Zum Auftakt von Maybrit Illners Debatte zum Thema Corona herrscht weitestgehend ein Konsens in der Runde: Bisher habe Deutschland die Lage im Griff, mit Blick auf den Herbst müsse man jedoch handeln – aber wie? Bevor es um konkrete Maßnahmen geht, wird zunächst ein grundlegendes Vorgehen ausgelotet. Provokante Thesen und eine hitzige Debatte bleiben an diesem Donnerstagabend bei Maybrit Illner aus. Von einem Impfstoff ist in der Sendung gar nicht erst die Rede. Die kritischsten und deutlichsten Worte zur Corona-Pandemie in Herbst und Winter gibt es zum Ende der Sendung.
Der regierende Bürgermeister der Hauptstadt Berlin, Michael Müller (SPD) will auf besonnenes Vorgehen setzen: "Wir haben die Situation gut beherrscht. Aber jetzt müssen wir sehen, dass wir uns vorbereiten auf eine Zeit, in der es wieder sehr kritisch werden kann." Präventives Handeln lautet die Devise des Berliner Bürgermeisters – ohne dabei vorschnell zu reagieren. Müller erklärt: "Es geht nicht darum, mit Schrot zu schießen, sondern sehr zielgerichtet auch einen Vorratsbeschluss im Senat zu treffen, um gegebenenfalls sehr schnell reagieren zu können." Ute Teichert, Vorsitzende Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, kann Müller da nur zustimmen.
Zwar glaubt auch Volker Wissing, FDP-Generalsekretär, die Pandemie sei derzeit unter Kontrolle, mahnt anhand längst vergangener Maßnahmen jedoch auch Unverhältnismäßigkeit an:
Volker Wissing nimmt im Laufe der Diskussion immer wieder die Haltung vieler Corona-Maßnahmen-Kritiker ein und bemerkt: "Ich will nicht in einem Obrigkeitsstaat leben." Wiederholt plädiert der FDP-Mann dafür, unnötige Grundrechtseingriffe zu verhindern. "So wenig wie möglich, das ist der Geist des Grundgesetzes" – und so lautet auch das Kredo Wissings in der abendlichen Diskussion. An konkreten Vorschlägen für den nahenden Herbst mangelt es dem FDP-Generalsekretär jedoch.
Während Virologin Ulrike Protzer die Pandemie weltweit nicht unter Kontrolle sieht, habe Deutschland die erste Welle gut überstanden. Ein Kollaps des Systems in der Grippesaison könne verhindert werden, wenn die Menschen weiter mitgenommen werden. Doch was ist mit den bisher geltenden Maßnahmen? Während die Corona-App in der Runde schnell als rein technisches Hilfsmittel abgetan wird, das zwar seine Berechtigung habe, jedoch nicht weiter vor dem Virus schütze, stellt sich die Frage: Wie sinnvoll ist die Einführung von Corona-Schnelltests und Fieberambulanzen?
Allgemeinmedizinerin Sibylle Katzenstein setzt sich dafür ein "lebensnah" zu handeln und lenkt die Diskussion von Anfang an auf konkrete Maßnahmen. In ihrer Covid-19-Schwerpunktpraxis testet sie derzeit täglich 200 bis 300 Menschen auf das Virus. 85 davon seien vergangene Woche positiv getestet worden. "Das ist viel", bekundet Katzenstein. Auch wenn die Leute vor ihrer Praxis in Berlin-Neukölln derzeit für terminfreie Tests Schlange stünden, sei die Hürde, an einen Corona-Test zu kommen, generell noch zu hoch. Die Allgemeinmedizinerin fordert: "Der Test muss zum Patienten und nicht andersherum."
Stichwort: Corona-Schnelltests. Bereits innerhalb von 15 Minuten sollen Menschen nach einem Abstrich mit diesen bereits ein Testergebnis bekommen. Antigen-Tests für zu Hause könnten laut Sibylle Katzenstein beispielsweise auch jungen Menschen die Hürde nehmen, sich nach einer Party auf das Corona-Virus zu testen: "Dann muss er nicht zu irgendeiner Autorität gehen – wichtig ist, dass die Patienten 'Autonomie' bekommen."
Während die Diskussion an diesem Punkt von illegalen Partys und Hochzeiten im Rheinland bestimmt wird, wirft Ute Teichert, Vorsitzende Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, ein: "Wir müssen erstmal an Risikogruppen denken und an die Menschen, die wir schützen müssen." Auch Ulrike Protzer spricht sich daraufhin dafür aus, die Tests ressourcengerecht zunächst an Risikopatienten zu verteilen, die sie besonders brauchen. Generell sind Corona-Tests laut Protzer jedoch kein Allheilmittel. Die Virologin erklärt: "Wir können das Virus nicht wegtesten!" Schnelltests und Fieberambulanzen könnten die Testverfahren jedoch zugunsten des Umgangs mit dem Corona-Virus verbessern.
Erst gegen Ende der Sendung wird der Infektionsforscher Michael Meyer-Hermann digital der Sendung zugeschaltet. Im Vergleich zu den anderen Gästen findet Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum in Braunschweig deutlichere und klarere Worte zur aktuellen Situation und zum nötigen Umgang mit der Corona-Pandemie. Mit Verweis auf die steigenden Infektionszahlen seit Juni erklärt er:
Statt den politischen Umgang zu kritisieren, appelliert der Infektionsforscher an das menschliche Verhalten: Statt eines perfekten Systems müsse man mit dem Fehlverhalten der Menschen rechnen und Vorsicht walten lassen. An Lockerungen sei deshalb nicht zu denken. "Es ist der falsche Moment, um darüber zu diskutieren, Fußballstadien zu öffnen. Wir müssen eine Chance haben durch den Winter zu kommen."
Während der Infektionsforscher Lockerungen vollkommen ausschließt, hält Volker Wissing (FDP) einen weiteren Lockdown im Herbst gesellschaftlich und wirtschaft nicht für verkraftbar. Schnellere Tests, da sind sich am Ende alle einig, sind ein guter Weg, um einer zweiten Welle entgegenzutreten. Richtig viel Schwung kommt an diesem Donnerstagabend nicht in die Debatte. Nach einer Runde mit eher schwachen Schluss-Statements gibt Virologin Ulrike Protzer ein Schlusswort, das als beschreibend ernüchterndes Fazit für diese "Maybrit Illner"-Sendung – und für den Corona-Herbst – gelten kann: